Kapitel 43

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"Und was machen wir hier nochmal genau?", fragte ich Lia, die mich aufgeregt von einem Laden in den anderen zog. Seit ungefähr 4 Stunde wanderten wir jetzt schon in diesen viel zu großen Einkaufscenter herum, aber sie rückte nicht mit der Sprache raus. "Du brauchst etwas schönes zum anziehen.", sagte sie jetzt schon zum zehnten Mal. "Und wofür.", fragte ich weiter. "Das wirst du schon sehen.", lächelte sie. Augenversprechend folgte ich ihr in den nächsten Laden, wo sie anscheinend sofort etwas fand. "Hier.", in der Hand hielt sie ein wunderschönes schwarzes Kleid, das etwas enger war und mit kleinen Edelsteinen verziert war. "Lia spinnst du. Damit erfriere ich. Wir haben Winter, nicht Sommer.", rief ich aus, wofür ich bloß einen genervten Blick kassierte. "Na gut, gib her.", murmelte ich mürrisch. Gleich darauf fand ich mich auch schon in der Umkleide wieder. "Ich hab geschafft, ich habs geschafft.", hörte ich Lia draußen singen. Lächeln schüttelte ich den Kopf bevor ich mich umzog.
Als ich mich im Spiegel sah stockte ich. Es sah wunderschön aus, wirklich wunderschön. Mein Blick glitt weiter hinunter. Eine bittere Erkenntnis machte sich in mir breit, als ich realisierte, dass das Kleid Spaghettiträger hatte. Mir stockte der Atem als ich meinem Arm ansah. "Ich kann das nicht tragen.", flüsterte ich. "Hast du was gesagt Kathrin?", fragte Lia von draußen. Ich konnte ihr nicht antworten. Dafür war ich zu abgelenkt. Erst als der Vorhang auf die Seite gezogen wurde blickte ich auf. Mein Herz blieb stehen, als Lia eintrat. Tausende Gedanken schossen mir durch den Kopf, als sie begann mich von oben nach unten zu Mustern. "Dieses Kleid sieht wunderschön aus.", murmelte sie. Ihre Aufmerksamkeit lag voll und ganz darauf. Schnell versteckte ich meine Arme hinter meinen Rücken. "Aber ich kann es nicht kaufen!", widersprach ich ihr. Überrascht sah sie mich an.  "Wieso denn nicht? Es ist wie für dich gemacht. Falls es dir zu teuer ist, dass ist mein Weihnachtsgeschenk an dich.", begann sie zu reden. Traurig schüttelte ich den Kopf. Lia dürfte bemerkt haben dass etwas nicht stimmt, denn sie sah mir tief in die Augen. Ich denke es war an der Zeit sie aufzuklären. Ich war bereit mich endlich zu öffnen. "Wir müssen reden.", brachte ich mit brüchiger Stimme heraus. Angst war ihr ins Gesicht geschrieben, als sie begann zu nicken. "Okay.", nuschelte sie. Verkrampft begann Lia zu lächeln. Ich wusste, dass sie versuchte für mich stark zu sein, was mir halt gab.
Der Weg zu mir nachhause verlief still und ohne Worte. Die Blicke die Lia mir zuwarf übersah ich jedoch nicht. Wir beide waren in unseren Gedanken versunken. Erst als wir bei uns ankamen tauchte ich wieder ins hier und jetzt. "Soll ich uns einen Kakao machen?", fragte ich sie, um die Stimmung ein wenig zu lockern. Lia schüttelte nur den Kopf. Na gut. Gemeinsam gingen wir hinauf in mein Zimmer, wo wir uns auf mein Bett fallen ließ. "Katze, was ist los?", ihre Stimme klang sanft und weich. Sie wollte mich nicht bedrängen. Ich begann zu seufzen.  "Ich werde dir alles erzählen Lia. Du bist die erste Person, der ich mich anvertraue.", erklärte ich ihr. Ich hörte sie schlucken, bevor sie nickte. Einmal atmete ich noch tief ein, bevor mein Hirn begann alle Erinnerungen, die ich verdrängt hatte, wieder herauszukramen.

Flashback

"Der Film war langweilig.", nörgelte ich, als wir das Kino verließen. Mein Vater warf mir einen amüsierten Blick zu. "Ach. Und warum hast du dich dann an mich gekuschelt, so als würde es um dein Leben gehen?", lachte er. Gespielt wütend sah ich ihn an. Musste er mich jetzt verraten. "Und war dieser Kinobesuch jetzt so schlimm?", meine Mum legte ihren Arm um meine Schulter. "Nein... ", gab ich kleinlaut von mir. Bis vor kurzem hatte ich mich noch gestreubt mit meinen Eltern in Kino zu gehen, einfach weil ich es uncool fand, dennoch war ich froh, dass wir doch gefahren waren. "Na dann kommt.. Ab nachhause.", mein Vater sperrte das Auto auf und stieg ein. Meine Mutter und ich folgten. "Fahren wir wirklich schon heim?", fragte ich enttäuscht. Mein Vater bog auf die Landstraße. Es war bereits dunkel. Ein dicker Nebel zog sich über die Landschaft. "Was dachtest du denn? Schau auf die Uhr.", meinte meine Mutter. Mein Blick fiel auf die Uhr vor mir. Halb zehn. "Können wir nicht noch essen gehen?", nervte ich. Ich sah meinen Vater durch den Rückspiegel in die Augen. Er drehte sich zu meiner Mutter und sah ihr tief in die Augen. "Erfüllen wir ihr den, Wu...... ", er schien so abgelenkt, dass er nicht merkte wie uns ein Auto entgegen kam. Die Scheinwerfer erleuchteten unser Auto. "Papa.", schrie ich, danach ertönte ein Crash. Mein Vater lenkte scharf nach links, weswegen wir von der Fahrbahn ankamen. Ein Schrei entwich meiner Kehle, als wir den Graben hinunterfuhren. Alles spielte sich wie in Zeitlupe ab. Meine Mutter klammerte sich an meinen Vater, der verkrampft das Lenkrad in der Hand hielt. Ich schützte meinen Kopf mit meinen Händen. Immer wieder begannen wir uns zu überschlagen, bis wir von einem Baum gestoppt wurden. Eine Zeitlang herrschte Stille. Niemand sagte etwas. Vorsichtig öffnete ich meine Augen. Ich sah an mir herunter, um festzustellen, dass ich noch lebte. Bis auf ein paar Kratzern ging es mir gut. "Oh Gott. Papa. Wir sind unten.", ich war wie benommen, als ich versuchte aus meinem Sicherheitsgurt zu kommen. Das klappte jedoch erst beim zweiten Mal. "Papa?", wieso waren sie so ruhig. Hier stimmte etwas nicht. Vorsichtig lehnte ich mich nach vorne. Überall lagen Glassplitzer. Blut klebte an den Innenwänden des Autos.  "Mama? Ihr könnt eure Augen aufmachen.", ich drehte mich zu meiner Mutter. Mein Herz begann mir gegen die Brust zu schlagen. Ihr Kopf hing schlaff nach unten. Ihre braunen langen Haare klebten ihr im Gesicht. "Mama?", panisch begann ich sie zu schütteln. Alles in mir verkrampft sich. "Komm schon. Mach die Augen auf. Schau mich an. Du darfst nicht......du kannst mich. Mama", meine Finger zitterten, als ich ihr die Haare aus dem Gesicht Strich. Sie hatte überall Kratzer, aus denen Blut kam. "Papa mach doch was. Mama Rea......", ich drehte mich zu meinem Vater. Er lag auf dem Lenkrad. Seine Augen waren weit aufgerissen. Ich sah die Angst noch immer. Die Panik und die Schuld. Nein. "Papa. Nein. Das ist nicht lustig.", er reagierte nicht. Tränen rannen meine Waage hinunter. Ich riss meine Türe auf, um aus diesem Auto raus zu kommen. Meine Beine zitterten und mein Schädel brummte. "Komm schon. Bitte. Lasst mich nicht hier. Ihr seit doch alles was ich habe. Ich liebe euch doch. Ich brauche euch. Ich weiß ich bin manchmal unerträglich, aber ich kann nicht ohne euch.", meine Stimme brach. Die Erkenntnis, die sich in mir breit machte zerfetzte mein Herz. "PAPA! MAMA! LASST MICH NICHT ALLEINE. HILFE. WIR BRAUCHEN HILFE!", kreischte ich, bevor ich mich nochmal meinem Vater zuwand. Ich sah ihn genau an. Prägte mir alles ein, jede Kleinigkeit, damit ich ihn niemals vergessen könnte, bevor ich zu Boden sank. Die Tränen strömten aus meinen Augen. Mein Herz fühlte sich an, als würde es brechen. Tausende Szenen schossen mir durch den Kopf. Von mir und meinen Eltern, Schöne wie Schlechte. "Hier sind sie.", ertönte eine Stimme, die ich nicht mehr wirklich wahrnahm. Ich war schuld. Ich hatte meine Eltern umgebracht. Ich hatte das Wichtigste in meinem Leben verloren.

Flashback Ende

"Zeugen riefen die Polizei und die Rettung. Der Mann, der uns hineingefahren war wollte fliehen, wurde aber aufgehalten. Er war stark alkoholisiert. Hätte ich meinen Vater nicht abgelenkt, hätte er früher reagieren können. Dann würden sie noch leben.", Stille Tränen liefen meine Wange hinunter. Mein Blick war starr an die Wand gerichtet. "Obwohl sie Rettungskräfte schnell da waren, kam jede Hilfe zu spät. Niemand weis, wieso ich unverletzt geblieben bin. Sie vermuten, dass mein Vater das Auto mit Absicht so gelenkt hat, dass ich kaum etwas spüren würde. Deswegen habe ich überlebt.", erklärte ich. Lia, vor mir, hörte mir leise weinend zu, bevor sie mich in den Arm nahm. "Du kannst nichts dafür. Selbst wenn du ihn nicht ablenkt hättest. Das Auto wäre trotzdem gekommen. Niemand, wirklich niemand, hätte das verhindern können." Fest drückte sie mich an sich. Es tat gut, das alles endlich einmal auszusprechen. "Das war noch nicht die ganze Geschichte, Lia!"

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