75-Auszuhaltende Stille

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Der wohlige Duft von Pizza erfüllte meine Wohnung, doch ich hatte keinen Hunger. Irgendwie war mir die Lust an Pizza vergangen. Oder überhaupt die Lust an irgendwas.
Mit einem frustrierten Seufzen ließ ich mich auf mein Sofa fallen und stellte die Pizza auf dem Tisch ab.
Aber ich hatte es Vince versprochen...
Grübelnd sah ich die Pizza an. Man musste eine Pizza genießen... Und es war unfair ihr gegenüber, sie sich ohne Appetit irgendwie rein zu zwingen. Naja...vielleicht später...
Lustlos schnappte ich mir meinen Laptop und fing an das Skript für mein neues Video zu schreiben. Auch wenn ich momentan nicht danach aussah, als könnte ich mich so vor eine Kamera stellen, ich musste irgendwas machen. Und es war eine gute Möglichkeit mich wenigstens ein bisschen abzulenken. Schließlich konnte ich nicht immer die beleidigte Leberwurst spielen und mich in meiner Wohnung verkriechen. Und wegen einem Typen, würde ich mir ganz bestimmt nicht mein Leben kaputt machen...
Auch wenn der Typ die Liebe meines Lebens und wahrscheinlich auch mein Leben war...
Eine Weile arbeitete ich still vor mich hin, immer wieder zu der Pizza schielend, doch Hunger verspürte ich keinen. Hätte ich mir eigentlich denken können. In den letzten Tagen war es nicht anders. Schade um die Pizza.
Das charakteristische Klicken meiner Wohnungstür erklang und erschrocken sah ich zu der Stelle. Meine Finger verkrampften sich und ich spannte meinen Körper an, bereit aufzuspringen. Meinen Laptop stellte ich auf dem Tisch ab.
Aber es klang eher wie als wäre die Tür aufgeschlossen wurden...
Und das ging nur mit einem Schlüssel...
Und den hatte nur Einer...
Ein brauner Haarschopf war als Erstes hinter der Tür zu sehen, bevor sich die Person weiter hinein wagte. Vorsichtig und bedacht betrat Marius die Wohnung, sein Blick schnellte zu mir und er sah mich entschuldigend an. Eine Weile hielten wir den Blickkontakt, bevor er die Tür schloß und langsam auf mich zukam.
Reflexartig schlang ich meine Arme um meine Knie und rutschte weiter in die Ecke des Sofas, doch er ließ sich einfach an das andere Ende fallen, sodass es für mich weniger unangenehm war und sah mich mit einem reumütigen Blick an: "Ich weiß, dass du nicht mir redest und ich habe es auch nicht anders verdient, schätze ich."
Sein Blick fiel auf seine Hände, die er unruhig knetete. Ausdruckslos starrte ich ihn an, während er seufzte: "Aber ich halte das nicht mehr aus. Ja, ich habe Mist gebaut und ja, du bist sauer auf mich, verstehe ich. Aber ich will mit dir zusammen sein und ich will wieder bei dir sein. Du musst mich nicht beachten, du musst nicht mit mir reden. Bitte lass es einfach nur zu, dass ich da bin." Eine Sekunde verstrich, in der ich über seine Worte nachdachte.
Er wollte nicht, dass ich mit ihm redete...
Er wollte nicht, dass ich auf ihn reagierte...
Er wollte einfach nur hier bleiben...
Aber war das wirklich so eine gute Idee?
Ich wusste doch nicht einmal, ob ich ihn wieder wegschicken oder ihn näher bei mir haben wollte...
Doch Marius' bittender Blick bohrte sich in mich und mit einem leichten Schulterzucken, widmete ich mich wieder meinem Laptop.
Sollte er doch machen was er wollte, ich würde schon klarkommen. Und wahrscheinlich war das auch ein guter Schritt in Richtung Versöhnung.
Und tatsächlich lächelte er leicht und zückte sein Handy, während wir wieder in Schweigen verfielen. Ein Schweigen, welches auf seltsame Weise sogar auszuhalten war. Es war nicht angenehm, es war nicht unangenehm, es war einfach nur auszuhalten.
"Vince hat mir schon erzählt, dass du nichts isst.", erklärte Marius auf einmal und sah mich vorwurfsvoll an. Ja, du auch nicht, so wie ich dich kenne...
Augenrollend nahm ich mir ein Pizzastück und biss hinein, nur um ihn dann mit einer hochgezogenen Augenbraue anzusehen. War er jetzt endlich zufrieden? Und wie war das noch mit dem 'Wir müssen nicht miteinander reden'?
Obwohl, er hatte es ja nur mal erwähnt, ich hätte ja nicht reagieren müssen.
Und anscheinend hatte er sein Ziel erreicht, denn er lehnte sich entspannt zurück und widmete sich wieder seinem Handy.
Aber Marius musste doch auch was essen... Und mit Pizza konnte man ihn immer locken. Auch wenn ich gerade mit ihm schmollte, versuchte ich dennoch eine gute und fürsorgliche Freundin zu sein. Schließlich musste ich Marius irgendwann auch mal einholen. Und er tat alles, damit das mit uns wieder funktionierte und ich wollte es ja auch, also konnte ich auch etwas dafür tun.
Wortlos schob ich den Pizzakarton in seine Richtung und räusperte mich auffordernd, was ihn wieder aufblicken ließ.
Ein überraschtes Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus, bevor er sich ebenfalls ein Pizzastück schnappte und genüsslich hineinbiss. Da hatte anscheinend jemand Hunger...
"Ich liebe Pizza.", nuschelte er mit vollem Mund und ich runzelte belustigt meine Stirn. Irgendwie war er schon süß, wie er da so saß und seine Pizza mampfte.
Ziemlich fertig, aber süß.
Plötzlich bemerkte er, dass ich ihn beobachtete, worauf er nervös lachte, "Dich liebe ich auch."
Bam.
Dieser Satz traf mich ziemlich unvorbereitet.
Ich meine, er hatte mir das schon oft gesagt, aber das hier war gerade etwas Anderes.
Immerhin hatten wir uns ziemlich mies gestritten. Und immerhin war ich diejenige, die nicht mit ihm redete, also musste er das nicht sagen. Und trotzdem lag verdammt viel Ehrlichkeit in seiner Stimme.
Etwas überfordert hörte ich auf zu kauen und starrte ihn nur an, doch Marius ging darauf nicht ein und aß in aller Seelenruhe seine Pizza weiter.
Er liebt mich.
Immer noch.
Trotz dem ganzen Mist, der zwischen uns stand.

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