25-3 Chaoten in Berlin

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"Herr Bam wie stehen sie zu folgendem Thema...", stellte die Interviewerin Ju die nächste Frage und ich schielte kurz zu Marius herüber. Da unser Halbasiate ein Interview in Berlin gab und er zwei Begleitpersonen mitnehmen durfte, hatte er kurzerhand uns gefragt und nun saßen wir hier und filmten das ganze ein wenig. Oder eher gesagt, Marius filmte. Mein Blick huschte über sein Gesichtsprofil und ich grinste leicht. Er hatte sich konzentriert über die Kamera gebeugt, seine Zunge leicht nach draußen gestreckt und die Stirn in Falten gelegt. Irgendwie niedlich wie er so dasaß.
Innerlich seufzend sah ich auf das Zeug vor mir. Papierkram, yay. Ein wenig lustlos fing ich wieder an zu arbeiten. Ach man, irgendwie hatte ich keine Motivation...
Kurzerhand griff ich zu Marius herüber und verschränkte meine Finger mit seinen, was ihn kurz aufschauen und lächeln ließ. Nun doch etwas motivierter, arbeitete ich still weiter, während die Minuten langsam verstrichen.

Irgendwann beendete die Reporterin dann doch das Interview und verabschiedete uns freundlich, bevor wir entlassen waren und das Gebäude verließen.
"Äh...Hanna, wann geht eigentlich unser Flug zurück?", erkundigte sich Ju und starrte auf den Alexanderplatz vor uns. Sofort wühlte ich in meiner Tasche und zog schließlich die Buchungsbestätigung unserer Flüge heraus: "18:57 Uhr."
Etwas irritiert sah ich auf mein Handy. Es war noch nicht einmal 15 Uhr...
Das Interview ging doch schneller als geplant.
"Und was machen wir jetzt?", fragte Marius ratlos und vergrub seine Hände in seinen Hosentaschen. "Deine Eltern haben doch ein Cafe hier, oder?", wandt sich Ju an mich, "Wir könnten sie besuchen und Kaffee trinken gehen."
"Äh ja, klar.", antwortete ich und zog meine Tasche ein wenig höher, "Ist eigentlich auch gar nicht weit von hier."
"Dann los.", grinste Ju und setzte sich voller Euphorie in Bewegung, während ich ihm skeptisch hinterher blickte.

"Andere Richtung."

Abrupt blieb er stehen und drehte sich um. Verlegenheit hatte sich in sein Grinsen gemischt: "Oh..."
"Na das kann ja heiter werden...", seufzte ich und zog Marius am Ärmel seines Pullovers hinter mir her. Dieser schien nämlich gerade ziemlich abwesend zu sein.
"Angst davor deine Schwiegereltern wiederzusehen?", lachte Ju und ging neben uns her, die Hände in seinen Jackentaschen vergraben.
"Was?", reagierte mein Freund nun endlich und sah ihn an.

"Ob du Angst vor deinen Schwiegereltern hast."

Für einen kurzen Moment huschte Marius' Blick zu mir: "Nein, gar nicht...Ich hab nur über was nachgedacht."
Er sah unseren Freund eindringlich an und versuchte ihm anscheinend irgendwas zu verstehen zu geben.
Daraufhin entgleisten Ju kurz die Gesichtszüge, bevor er eine undeutliche Bewegung machte und Marius fragend anblickte. Und dieser schien es verstanden zu haben, denn er nickte langsam.
"Werde ich auch noch eingeweiht?", fragte ich mit einer hochgezogenen Augenbraue und starrte weiterhin auf mein Handy, den Chat mit meinen Eltern geöffnet. Ich hatte ihnen soeben geschrieben, dass wir vorbei kommen würden.
"Männersachen.", bekam ich nur von Ju als Antwort und ich seufzte leicht, bevor ich Marius' Hand ergiff und die Beiden zum Cafe meiner Eltern führte.

Ich mochte das Cafe.
Es lag etwas abseits der katastrophal befahrenen Straßen, sodass man nicht ständig den argsten Verkehr vor der Nase hatte.
Gemütliche Sessel und Sitzecken in einem sanften Beigeton luden zu einer Pause bei Kaffee und Kuchen ein. Auch der Rest des Cafes war in einer netten Kombination aus Braun- und Beigetönen gehalten.
Das für mich gewohnte Klingeln der Tür erklang, als wir das Cafe betraten und sofort stieg mir der Geruch von Muffins in die Nase. Stimmt heute war ja Dienstag. Und da gab es hier immer Muffins.
Suchend huschte mein Blick durch das Cafe und im nächsten Moment entdeckte ich meine Mama hinter der Theke.
Zielstrebig ging ich auf sie zu und blieb grinsend davor stehen: "Naaaaa?"
Ein freudiger Ausdruck erschien auf ihrem Gesicht und ich lief schnell um die Theke herum. Liebevoll nahm sie mich in den Arm und drückte mich an sich: "Schön, dass du uns auch mal besuchen kommst."
"Finde ich auch.", lächelte ich. Da ich ja quasi am anderen Ende von Deutschland lebte, sah ich meine Eltern leider nicht so oft und umso schöner war es, wenn ich sie dann traf.
"Du hast letzte Woche nicht angerufen.", ergänzte meine Mama und verschränkte die Arme, während wir uns zu Ju und Marius, die mittlerweile auch Gesellschaft von meinem Papa bekamen, gesellten.
"Ja...ich hatte wirklich viel zu tun...", entschuldigte ich mich und sah zwischen den Beiden hin und her, bevor ich von meinem Papa ebenfalls in eine Umarmung gezogen wurde, "Hallo Papa."
Währenddessen wurden auch Ju und Marius von meiner Mama begrüßt: "Schön euch auch mal wiederzusehen."
"Freut uns auch.", erwiderte Ju höflich. Neugierig legte sie ihren Kopf schief: "Habt ihr eigentlich alle so viel zu tun?"
"Naja, mehr oder weniger. Aber Hanna hat momentan noch die Aufgaben einer Kollegin übernommen und hatte deswegen keine Zeit.", stärkte mir Marius den Rücken.
Grinsend sah ich zu ihm: "Aber ich habe da jemanden ganz tollen, der aufpasst, dass ich mich nicht überarbeite."
"Möchte auch sein.", lachte mein Papa und machte sich auf dem Weg zur Theke, meine Mama und mich im Schlepptau.
Zufrieden lehnte ich mich an die Seite des Tresens, während meine Eltern wieder anfingen die Bestellungen abzuarbeiten. Schließlich waren wir nicht die einzigen Gäste hier.
"Und wie läuft es sonst so?", erkundigte sich meine Mama und betätigte einen Knopf an der Kaffemaschine.
Hilflos zuckte ich die Schultern: "Was soll ich sagen? Ich habe tolle Freunde, einen genialen Job, ein Dach über dem Kopf und einen wunderbaren Freund. Mehr brauche ich nicht."
"Freut uns trotzdem als Eltern zu hören.", warf mein Papa ein und stellte einen Kaffe auf einem Tablett vor mir ab, "Der ist für Marius. Jus Bestellung kommt auch gleich." "Geht klar.", nickte ich und starrte in die Tasse.
Kritisch musterte mich meine Mama: "Kann es sein, dass du abgenommen hast? Isst du genug?"
Lächelnd verdrehte ich die Augen. Irgendwie kam es mir so vor, als ob die meisten Mütter und Großmütter nur darauf achteten.
Aber vielleicht hatte ich ja abgenommen, wer weiß? Nur dann nicht von zu wenig Essen, sondern von anderen Dingen...
"Keine Sorge, ich passe auf mich auf.", versicherte ich ihr, "Und Marius ist ja auch noch da."

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