70-Bereit?

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"Ich brauch mal 'ne Pause.", seufzte ich entschuldigend und ließ mich auf den freien Stuhl neben Vince fallen. Hier saß sonst immer Marius... Sofort fuhr ein kalter Schauer über meinen Rücken und ich sah betreten auf die Tischplatte.
"Alles gut bei dir?", fragte Vince bemitleidend und legte eine Hand auf meinen Arm, "Du siehst ziemlich blass aus."
"Morgen kommt Marius wieder.", erklärte ich ausdruckslos, "Und ich habe keine Ahnung wie ich reagieren soll."
Ich wusste es wirklich nicht.
Ich hatte eine Woche Zeit gehabt mir etwas zu überlegen. Und jetzt hatte ich gar nichts. Ich stand immer noch am Anfang.
Am Anfang von was auch immer.
"Bist du noch sauer auf ihn?", hakte Vince nach.
"Schon irgendwie. Ich meine, wie kommt er auf die Idee, dass ich ihn mit Passi betrügen könnte? Verstehst du? Mit Passi! Schlimm genug, dass er mir Untreue vorwirft, aber Passi ist sein bester Freund. Das ist doch vollkommener Schwachsinn!", erklärte ich und schlug mit der Hand leicht auf den Tisch. Und verzweifelt war ich auch noch. Die Situation überforderte mich komplett. Auch wenn mir fast jeder geraten hatte einfach auf mein Bauchgefühl zu hören. Und das sagte, dass ich weiter auf ihn sauer sein sollte. Zumindest für eine Weile.
"Dann sag ihm das.", riet Vince, "Aber du musst schon zugeben, in letzter Zeit hast du fast mehr Zeit mit Passi, als mit Marius verbracht."
Ich weiß, ich weiß....
Ich hatte echt Mist gebaut.
Ratlos blies ich die Luft aus meinen Wangen: "Ich habe alles irgendwie ein wenig vernachlässigt."
"Und vor allem dich in letzter Zeit.", konterte Vince, "Du siehst aus, als könntest du gleich auf dem Boden schlafen und so wie ich dich kenne, hattest du letzte Woche gar keinen Schlaf. Du bist blass, deine Augen sind rot und geschwollen, wahrscheinlich hast du des Öfteren geweint. Du zitterst mamchmal und es ist schon eine Weile her, dass ich dich essen sehen habe."
"Ist auch eine Weile her...", gab ich klein bei und zog den Kopf ein, "Entweder vergesse ich es oder ich habe keinen Appetit."

"Kann ich auf der einen Seite verstehen, auf der anderen Seite musst du was essen."

Seufzend sah ich ihn an: "Ich weiß...ich versuch's, ok?"

"Und um noch einmal auf dein Problem mit Marius zurückzukommen...er hat mir schon vor einer Weile gesagt, dass er das Gefühl hat, dass ihr euch langsam voneinander entfernt. Und dass er Angst hat, dass du ihn vielleicht verlässt, weil du ja nicht einmal mehr versuchst in seiner Nähe zu sein oder du zumindest den Anschein machst, als ob es dir egal wäre. Aber seine Reaktion und seinen Vorwurf fand ich persönlich trotzdem ziemlich übertrieben."

Frustriert fuhr ich mir durch die Haare: "Naja das wäre das Naheliegenste, weil Passi ja einfach da war....deswegen kann man ihm ja nicht einmal böse sein...sollte ich mich schlecht fühlen, weil ich es trotzdem bin?"
"Nein. Und dir nimmt es auch keiner übel, wenn du ihm das auch zeigst und deinen Ärger nicht einfach verdrängst. Und so wie ich dich kenne, wirst du echt Probleme haben ihm wieder zu vertrauen.", antwortete Vince und lehnte sich zurück, "Ich weiß dass dich falsche Unterstellungen ziemlich kränken."
"Spielst du auf das Missverständniss zwischen Marius und mir an, als er dachte, dass ich was mit Ju habe?", fragte ich trocken.
"Nicht direkt, aber ja.", schmunzelte er leicht, "Und ich denke er wird es auch verstehen."
"Und was ist wenn ich ihm nie wieder vertrauen kann?", fragte ich leicht panisch.
Doch sofort schüttelte Vince den Kopf: "Das wird nicht passieren."

"Sicher?"

"Sicher.", lächelte er aufmunternd, "Fühlst du dich jetzt besser?"
"'Von der einen Sorge befreit und gleich in die Nächste geworfen.' trifft es wohl eher.", seufzte ich müde.
"Hmmmm....", machte Vince nur, bevor er aufstand und zur Tür lief, "Sitzen bleiben."
Und schon war er verschwunden und ließ mich etwas verwundert zurück.
Eine Weile verging und ich fragte mich schon, ob ihn irgendetwas gefressen hatte, als er wieder mit einem schelmischen Grinsen auf der Bildfläche erschien. Seine Hände hatte er hinter seinem Rücken versteckt, während er sich wieder neben mich fallen ließ. Neugierig zog ich eine Augenbraue nach oben, bevor er seine Hände nach vorn zog und die Sache auf den Tisch legte.
Eine Tafel Schokolade.
Sofort erschien ein Lächeln auf meinem Gesicht: "Du bist süß."
"Ich hab dich einfach gern.", lachte er und brach ein Stück der Schokolade ab, "Und ich kann dich nicht so traurig sehen. Und Schokolade soll dagegen ja schließlich helfen."
Damit reichte er mir die süße Köstlichkeit und grinsend nahm ich sie ihm ab, bevor ich ein Stück abbiss.
"Also, bereit für morgen?", fragte Vince und schob sich ebenfalls ein Stück in den Mund.
"Nein.", erklärte ich ehrlich, "Aber das werde ich wohl nie sein."

Effekt oder Defekt?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt