Kapitel 35

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„Folgen Sie mir junges Fräulein."

Skeptisch durchquerte ich an Karls Seite den Eingangsbereich, nicht ohne noch einen letzten Blick zu der Blondine am Empfang zu werfen. Sie tupfte mit einem Taschentusch unter ihren Augen rum, vermutlich um die dicke Schicht Fondation nicht zu zerstören.

Kopfschüttelnd stellte ich mich mit gebührendem Abstand zu Karl in den modernen Aufzug. Mit einem kleinen Ruck setzte dich der Apparat in Bewegung und die Stadt wurde klein unter uns.

„Woher kommen Sie?"

Eine unscheinbare Frage, aber in Karls Blick sah ich eine Hinterlistigkeit, wie man sie von Gauklern kannte. Ich entschloss mich nicht zu antworten und blickte einfach nur stur weiter aus dem Fenster. In meinem warmen Wintermantel hätte es mir hier drinnen viel zu warm sein müssen, aber die Anwesenheit dieses Mannes hatte mir eine Gänsehaut beschert.

Ich hörte wie Karl auf mich zutrat und spürte kurz darauf wie er meine Jacke packe und mich gewaltsam zu ihm umdrehte. Seine Mine war wutverzerrt und seine Augen durchdrangen mich wie Giftpfeile ein wehrloses Tier.

„Und ich dachte mein Bruder wäre es, der dir Manieren beibringen müsste."

Zu dem Unwohlsein in meinem Körper gesellte sich Angst und ich atmete erleichtert ein, als sich die Türen des Fahrstuhles öffneten. Karl ließ mich wiederstrebend los und eilte voraus, zu einer dunklen Tür am Ende des Raumes.

Ohne zu Klopfen riss er das Portal auf und mir offenbarte sich ein Blick auf ein ordentliches Büro und einen in seine Arbeit vertieften Liam. Ich stürmte an Karl vorbei und Liam sah verwirrt, dann besorgt auf.

„Ist etwas passiert Olivia?"

Ich konnte nur den Kopf schütteln und dann Nicken, weil ich an Karls Übergriff denken musste. Liam sah an mir vorbei, entdeckte seinen Bruder und sein Körper spannte sich an. Ohne ihn zu sehen, wusste ich das Karl wieder falsch lächelte.

„Ich habe sie nur abgefangen, als die drauf und dran war unsere zauberhafte Sekretärin runter zu machen."

„Aha. Sonst noch etwas?"

Liam wirkte genervt und ein wenig erschöpft. Ich wunderte mich, dass das Verhältnis zwischen den beiden Brüdern so kalt war. Ich ließ mich in den Stuhl vor Liams Schreibtisch fallen und mir wurde wieder warm. Hier war ich sicher.

„Durchaus Liam. Es fehlen noch deine Unterschriften für die Übergabe."

„Ich habe von Anfang an klargestellt, dass es zu einer Solchen nicht kommen wird. Ich kaufe dir mit Freude deine Anteile für die doppelte Summe ab, aber ich lasse nicht zu, dass du das hier zerstörst."

„Aber wo wäre denn da der Spaß?"

Mit diesen Worten schlenderte Karl aus dem Büro und zog die Tür leise ins Schloss. Fassungslos starrte ich auf das dunkle Holz und wandte mich dann zu Liam. Er fuhr sich mit den Händen übers Gesicht und sah mich mit einem undefinierbaren Ausdruck an.

„Warum bist du hier petite lune?"

„Mir war langweilig."

Liam lachte leise auf und erhob sich anmutig.

„Und da dachtest du dir, du kommst einfach mal unangekündigt vorbei und wir trinken einen Tee? Du siehst was du von deiner Naivität hast. So hattest du immerhin die Gelegenheit meinen fantastischen Bruder kennen zu lernen."

In seiner Stimme schwang deutlich die Verärgerung und Ironie mit, trotzdem spürte ich wie aufgewühlt er war.

„Warum ist er so?"

Liams Augen wurden undurchdringlich und ich bekam wie so oft keine Antwort auf meine Frage. Ich fühlte mich fehl am Platz und wollte wieder in Liams Wohnzimmer. Sehnsüchtig blickte ich aus dem großen Fenster.

„Gib mir noch ein paar Minuten, dann gehen wir. Ich hatte für heute genug ärgerliche Vorkommnisse. Du kannst dich während dessen auf das Sofa dort setzten."

Mir wurde warm in meinem Mantel und ich war froh, als ich an Liams Seite endlich raus in die kalte Winterluft trat. Unser Atem wandelte sich vor unseren Augen in kleine Wolken um und wir schlenderten durch die erleuchteten Straßen von Paris.

„Herr?"

Liam wandte seinen Blick mir zu und seine nachdenkliche Mine musterte mich aufmerksam.

„Gehen wir nach Hause?"

Ein kleines Lächeln bildete sich auf seinem Gesicht und er schüttelte den Kopf.

„Wir gehen etwas essen."

Neugierig folgte ich seinen schneller werdenden Schritten, bis wir vor einem kleinen Restaurant hielten und von einem Kellner an der Eingangstür begrüßt wurden. In einem fließenden Französisch bestellte Liam Weißwein und wir setzten uns an einen Tisch für zwei.

„Ich weiß nicht was ich davon halten soll, dass du einfach so in mein Büro gekommen bist Olivia. Einerseits verärgert es mich und ich hätte dich vorhin sofort an Ort und Stelle übers Knie legen können und ich hätte dich dann auf meinem Schreibtisch genommen, bis du nichtmehr nach Hause hättest laufen können."

Ich sah wie sich sein Brustkorb hob und wie er sich mit einer schnellen Geste durch das blonde Haar fuhr.

„Und andererseits Herr."

„Immer noch so frech. Andererseits bin ich froh über diese Ablenkung, sonst hätte ich die halbe Nacht dort verbringen müssen."

Der Kellner kam erneut und reichte uns die Karte und ich vergrub verzweifelt mein Gesicht in meinen Händen. Was bitteschön war ein selle de chevreuil rotie sauce a la creme, oder ein paupiettes de veau aux morilles?

Liam lachte und beugte sich mit einem fiesen Grinsen zu mir, um mir etwas ins Ohr zu bestellen.

„Brauchst du Hilfe kleine Sklavin?"

Noch bevor ich hätte antworten können, kam der Kellner und Liam bestellte mit ein paar komplexen Sätzen.

„Was ist, wenn ich nicht mag, was sie für mich bestellt haben?"

„Unwahrscheinlich. Hier schmeckt fast alles vorzüglich."

„Und was ist, wenn ich Vegetarier bin, oder eine Laktoseintoleranz habe?"

„Ebenso unwahrscheinlich und hör endlich auf so vorlaut zu sein, sonst vergesse ich mich hier noch."

Obwohl die Worte hart waren, glich seine Stimme einem frohen Plauderton. Ich spürte Liams Nähe als er sich zu mir rüber lehnte und dann seine schwere Hand auf meinen Oberschenkel legte. Fassungslos schoss mein Blick zu ihm, als er seine Hand über meine dicke Strumpfhose wandern ließ. Wir waren in der Öffentlichkeit.

„Sei froh, dass es Winter ist kleine Sklavin."

Mit diesen Worten erreichten seine warmen Finger meinen Schritt und rieben über den Stoff.

RosegoldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt