Kapitel 53

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„Ich bin 21 Jahre und kann verdammt nochmal über mich selbst entscheiden und ich habe keinen Bock länger hier rumzusitzen und sex and the city zu glotzen. Verdammt, ich gehe doch nur in den Club nebenan und versuche einen freien Kopf zu bekommen!"

Es waren drei Tage vergangen, seit ich in Karl Wohnung aufgewacht war. Seitdem hatte ich mich zumindest ein wenig in Karls Haushalt integriert, um zumindest ein wenig Gegenleistung zu bringen. Immerhin durfte ich bei ihm wohnen, obwohl mir klar war, dass das keine dauerhafte Lösung war.

Das Verhältnis zwischen uns war zwar immer noch angespannt und es ärgerte mich, dass er mir nur grobe Einblicke in den Zwist mit seinem Bruder, ausgelöst durch Maya gegeben hatte, aber immerhin verhielt er sich hier nicht wie das letzte Arschloch.

Nur gerade schaute er mich an, als hätte ich den Verstand verloren. Frustriert schmiss ich meine Hände in die Luft, wobei das lange Shirt, was ich mir von Karl geliehen hatte, wie Flügel unter meinen Armen flatterte. Ich war sicherlich ein sehr seriöser Anblick.

„Nur weil du nicht mehr aussiehst wie eine Leiche, heißt das nicht, dass du wieder gesund bist. Du brauchst Ruhe. Außerdem lässt du dir doch gerne sagen, was du zu tun hast."

Ich schnaubte. „Aber doch nicht von dir." Karl lachte auf, wurde aber dann wieder schlagartig ernst. Ich fand es ja nett, dass er sich um mich sorgte, aber mich zu bevormunden... das ging deutlich zu weit.

„Ich verbiete es dir. Wehe du gehst in diesen Club..."

„Sonst was?"

Ich sah ihn herausfordernd an. Karl schwieg und ich warf die Tür hinter mir zu. Mit wütenden Schritten eilte ich ins Gästezimmer und griff nach den Sachen, welche ich vor wenigen Tagen beim Stammtisch angehabt hatte. Inzwischen waren sie frisch gewaschen und ordentlich zusammengelegt.

Kein passendes Outfit für einen Club, aber ich wollte Karl nicht auch noch um neue Sachen bitten müssen. Ich hatte in den letzten Tagen schon genug beansprucht gehabt. Besonders bei Amazon prima hatte ich ein wenig zu tief in die Tasche gegriffen, nur das es nicht meine Tasche war.

Aber wer hatte den auch bitteschön Amazon prime, wenn es doch Netflix gab. Also war es auch irgendwie Karls Schuld. Trotzdem hatten all die Filme und Serien mich nur für kurze Zeit ablenken können.

Du musst mit Liam reden. Oder zurück nach Deutschland.

Ich verdrängte den Gedanken und zog mich an. In meiner Handtasche fand ich einen roten Lippenstift und tupfte mir ein wenig von der grellen Farbe auf die Wangen, um zumindest ein wenig lebendiger auszusehen.

Dann zog ich meine Lippen nach und betrachtete das Ergebnis im Spiegel. Ich war blasser als sonst, was mich aber kaum störte. Das dunkle Kleid betonte meine Kurven und ich öffnete die Schnürung im Dekolletee, um ein wenig mehr Ausschnitt zu zeigen.

Das Halsband hing immer noch um meinen Hals und ich hatte mich an das Gefühl des schweren Metalls an meiner Haut gewöhnt. Um ehrlich zu sein mochte ich es sogar. Es war, als hätte ich zumindest ein was, was ich nicht verlieren konnte.

Karl konnte das Halsband nicht ausstehen, doch nach einigen missglückten Versuchen, das kleine Schloss mit seinem Möchtegern-Dietrich-Set aufzubekommen, hatte er es irgendwann aktzeptieren müssen.

Ich gehöre nur zu Liam.

Ich griff nach meiner Handtasche und verließ ohne nochmal zu Karl ins Wohnzimmer zu gehen das Haus.

Ich fröstelte leicht, als ich raustrat und schlang meinen Mantel fester um mich, doch die frische Luft klärte meinen Kopf und ich atmete tief ein. Heute Abend würde ich nur Tanzen und mich amüsieren. Ich hatte wirklich genug Zeit damit verbracht gehabt, mir Gedanken zu machen.

Ich lief mit großen Schritten den von Laternen ausgeleuchteten Weg lang und eine gewisse Vorfreude machte sich in mir breit.

Ich bin immer noch das Mädchen, was ich vor Liam war. Er mag mich berührt haben, aber ich lasse mich von niemanden verändern.

Ein Lächeln schlich sich auf mein Gesicht, als ich die grellen Lichter des Clubs mit den großen Neonbuchstaben über dem bewachten Eingang, die das Wort LOWFIRE in die Nacht leuchteten sah. Im Internet wurde der Club mit den besten Rezessionen bewertet.

Du hattest eindeutig zu viel Freizeit in den letzten Tagen, dass du dir sogar Bewertungen durchgelesen hast Olivia...

Ich zeigte dem breitschultrigen Mann am Eingang meines Ausweises und trat ein. Wummernde Musik empfing mich und ich fühlte wie mein Herz im Beat der Musik zu schlagen begann. Ohne groß zu überlegen, legte ich meinen Mantel ab und stolzierte mich erhobenen Kopf zur Tanzfläche.

Auf die anderen Gäste wirkte ich in meinem langen Kleid sicherlich prüde. Überall sah ich Frauen in Stofffetzten, die nur das Nötigste bedeckten, aber das war mir ziemlich egal. Für mich zählte nur der Moment und ich hatte so oder so nicht vor jemanden hier zu gefallen.

Ich drängelte mich durch die Tanzenden Pärchen und schloss meine Augen. Mein Körper begann ganz automatisch sich im Rhythmus zu bewegen.

Der Song verklang und einige Besucher verließen die Fläche und ein paar betraten sie wieder. Der DJ legte neu auf und ich jubelte innerlich, als ich das Lied erkannte.

Comme si je n'existais pas
Elle est passee a cote de moi
Sans un regard, reine de Saba
J'ai dit Aicha, prends, tout est pour toi.

Das Lied hatte meine Mama früher oft gehört und ich sang in Gedanken den Text mit. Vergessen war für einen kurzen Moment der Schmerz und die Zwickmühle, in welcher ich mich momentan befand. Ein Mann stellte sich vor mich und streckte mir mit einem einladenden Lächeln die Hand entgegen.

Ohne groß darüber nachzudenken ergriff ich sie und wir begann zu Aicha, Aicha, ecoute-moi zu tanzen. Mit ausgelassenen Bewegungen bewegten wir uns geschickt an den verschwitzen Körpern der anderen vorbei.

Ich versuchte meinen Gegenüber immer entschuldigend anzulächeln, als ich ihn versehentlich auf die Füße trat. Anscheinend beherrschte er einen einfachen Cha-Cha-Schritt besser als ich, aber ihn schienen meine Missgeschicke egal.

Und das Lied endete.

RosegoldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt