Vor einigen Jahren, mit 16 müsste es gewesen sein, hatte ich eine mittelschwere Depression. Und nein, das sage ich nicht weil ich eins von diesen aufmerksamkeitsgeilen Tumblr Mädchen bin die über die ach so schlimme Welt rumheulen. Es wurde von zwei Psychiatern offiziell diagnostiziert und mehr oder weniger erfolgreich behandelt. Ich weiss auch nicht warum es kam, irgendwann war es als ob alles immer weniger Sinn macht. Als ob irgendjemand die Welt grau anmalt. Es war eigentlich nur eine Frage der Zeit. Meine halbe Familie mütterlicherseits hat mit psychischen Problemen zu kämpfen, es ist also genetisch bedingt. Und das ist besonders scheisse. Denn du weisst nicht wann es dir gut oder schlecht geht, es ist Zufall. Selbstmordgedanken hatte ich nie direkt, aber an meinem tiefsten Punkt war mir einfach irgendwie alles gleichgültig. Ich bekam mehrere Medikamente, ging meinen Eltern mal wieder unglaublich auf die Nerven und mein Therapeut wollte mich sogar mal zwangseinweisen lassen. Meine Eltern haben ihn jedoch angebettelt mich weiter normal zu behandeln (Was sollten denn die Leute von mir denken...) Aber irgendwann ging es dann besser. Ich weiss nicht wie, aber ich hab mich da so halbwegs rausgerungen. Ich würd nicht sagen dass ich "geheilt" bin, falls das überhaupt geht. Aber ich kann mich zusammenreißen, mehr oder weniger.
Es ist kurz nach 1 Uhr und ich gucke in 3 Decken eingerollt zum vierten Mal Haus des Geldes auf Netflix. Dabei esse ich 5 Minuten Nudeln und trinke Eistee. Ein typischer Samstagabend. Zoey ist mit ein paar Leuten die ich nicht kenne im Club und postet alle zwei Minuten irgendwelche Partybilder auf Snapchat. Meine Eltern sind schon früh schlafen gegangen. Mein Vater hat Frühschicht im Dienst und muss deswegen bereits um 3 Uhr Morgens aufstehen. Der Arme. Ich strecke mich und gähne. Nein, es ist Samstagabend. Ich darf noch nicht schlafen. Ich bin 19, ich muss raus. Was erleben. Nochmal gähne ich. Aber schlafen geht vor. Gerade schalte ich den Fernseher aus, da klingelt mein Handy. Capi. Sofort bin ich hellwach. "Ja?" Sage ich. "Was geht" Ich höre sofort heraus dass er dezent high ist. "Du schaffst es auch immer mich vom Schlafen abzuhalten" Er lacht. "Süss du gehst jetzt schon schlafen" Ich werde rot und nuschel beleidigt irgendwas in den Hörer. Er redet weiter. "Komm mal raus, ich warte hier" Sofort springe ich zum Fenster und meine Augen werden tellergross. Sein Audi steht direkt vor unserer Haustür, er parkt direkt neben dem Auto meiner Eltern. "Was zum...ich kann nicht...ich bin im Pyjam...was soll d..." "Beeil dich mir ist kalt" Nuschelt er. "Ich bin noch im Pyjama und...und..." Stammel ich. Er unterbricht mich. "Mir egal was du anhast" Sagt er mit einem freundlichen Tonfall. Ich hasse spontane Aktionen. Deswegen frage ich mich gerade umso mehr wieso ich mir die Zähne putze, mir einen Hoodie drüberwerfe, etwas Parfüm auftrage und wie eine Besessene durch das Treppenhaus runterlaufe. "Hättest du nicht vielleicht paar Stunden früher Bescheid sagen können?" Fauche ich ihn so leise wie möglich an als ich mich auf den Beifahrersitz fallen lasse. Capi grinst. "Kannst ruhig lauter reden, deine Eltern sind im Haus drinne" Wir fahren los, in seinem Mundwinkel hängt wie fast immer eine Kippe. "Und was hast du vor" Frage ich. "Was soll ich vorhaben" "Ja du bist ja wohl nicht ohne Grund vor meinem Haus aufgekreuzt" "Keine Ahnung wollt dich nochmal treffen undso" Ich sage nichts und muss kurz grinsen. Wir fahren entspannt durch Berlin, reden mal wieder über Gott und die Welt, hören Musik, rauchen und suchen verzweifelt nach irgendwelchen Fressbuden die noch aufhaben. Das meine Eltern jeden Moment wach werden können, ist mir egal. Ich fühle mich als ob die Zeit still steht, im mehr oder weniger Positiven Sinne. Allerdings tut sie das nicht, denn als ich irgendwann auf die Uhr gucke ist es schon halb 3. "Fuck, ich muss wieder nachhause um 3 steht mein Vater auf" Capi schaut ungläubig auf meine Handyuhr, als ob er selber nicht glaubt dass die Zeit so schnell vergangen ist. "Geht klar" Wir machen uns auf den Rückweg, ich schaue gedankenverloren aus dem Fenster. Überall die altbekannten Häuser meines Wohnblocks. Hier ist keiner mehr wach, alle schlafen. Als wir an einer roten Ampel halten, sehe ich ein ziemlich jung aussehendes Mädchen. Sie ist dünn, schwankt von der einen Bürgersteigseite auf die andere und hält sich an einer Laterne fest. Dann fällt sie zu Boden. Sie ist komplett besoffen. Und alleine. "Ach du Scheisse, wie alt ist die, 12?" Capi schaut verstört grinsend aus dem Fenster. Ich gucke genauer hin. "Oh mein Gott" Meine Augen werden groß. "D-Das ist Zainab. Meine Schwester" Capi zischt leise 'Fuck' und fährt rechts ran. "Lass sie zu dir nachhause mitnehmen, dusch sie einmal kalt ab, das hilft" Sagt er. Verzweifelt fahre ich mir durch die Haare. "Nein, das geht nicht. Mein Vater müsste jeden Moment aufstehen. Fuck, Fuck, Fuck..." Ohne zu überlegen reisst Capi die Fahrertür auf. "Dann müssen wir eben zu mir"
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