melodien

32 | Liebe

⏯: Capital Bra-Птица

Als ich klein war, hatte meine Mutter manchmal Panikattacken.
Ich war zu klein um zu verstehen warum oder was das überhaupt bedeutet.
Es war sogar ziemlich beängstigend.
Aber ich musste ja irgendwie mit der Situation umgehen.
Vor allem wenn ich mit ihr in dem Moment alleine zuhause war, was damals oft vorkam.
Mein Vater hat mir, auf eine für kleine Kinder mehr oder weniger verständliche Art und Weise, erklärt wie ich in einer solchen Situation handeln muss.

"Capi"
Sage ich möglichst bestimmt.
Mein Kopf dröhnt und ich packe mir mit schmerzverzerrtem Gesicht an die Schläfe. Meine Nase brennt und ich habe das Gefühl nicht richtig schlucken zu können.
"Vladislav"
Wiederhole ich mich, versuche mich fokussieren zu können obwohl es mir ebenfalls ziemlich beschissen geht.
Nur ihm sicher weitaus mehr.
Er sitzt immer noch an der Wand.
Zitternd, die Beine an den Körper gezogen.
Er ringt nach Luft und versucht krampfhaft mich anzugucken.
"A-alles ist okay"
Stammel ich mit zittriger Stimme und lasse mich vor ihn sinken.
"D-du bist nicht allein"
Alles um mich herum dreht sich und ich habe das Gefühl dass meine Nase immer stärker brennt.
Ich versuche den Schmerz zu verdrängen,
schaue ihm mitten in die Augen.
Dicke Tränen rollen ihm über die blassen Wangen.
"Zähle jeden deiner Atemzüge"
Das hat bei meiner Mama immer am meisten geholfen.
Man wird quasi gezwungen sich auf eine Aufgabe zu konzentrieren und kann gleichzeitig wieder runterkommen, bekommt klaren Kopf.
"Eins"
Nuschel ich und lehne mich neben ihm an die Wand, beobachte seine Schnappatmung.
Mir ist so kalt, ich bin schweissgebadet und mein Kreislauf könnte jeden Moment einsacken.
"Zwei"
Ich nehme seine verkrampfte Hand, ganz vorsichtig. Er lässt es zu.
"Drei"
Er röchelt und sein Gesicht ist schmerzverzerrt, die Augen weit aufgerissen.
"V-Vier"
Bringt er unter größter Anstrengung hervor.
Ab dem Zeitpunkt kann er mehr oder weniger selbst weiterzählen, er versucht sich zu fokussieren.
Krallt sich in meine Hand fest.
Mir ist übel, ich würde am liebsten kotzen aber ich kann ihn jetzt nicht loslassen.
Ich weiss nicht wann, wahrscheinlich nach zehn Minuten oder so normalisiert sich seine Atmung etwas, ihm geht es aber nicht wirklich besser.
Tränen laufen ihm ununterbrochen über das kantige Gesicht, er wimmert und wischt sich mit einem Gefühl von Scham und Wut seine Hand übers Gesicht.
Ich sitze daneben, sage nix, gucke ihn nicht mal an. Starre nur nach gerade aus.
Es ist als ob sich alles um 180 Grad gedreht hätte.
Eben war alles so leicht, so schwerelos.
Jetzt ist alles wie immer.
Und nicht mal die teuerste Luxus Suite, der modernste Jacuzzi oder alles Geld und Fame der Welt kann einen so wirklich glücklich machen.
Im Endeffekt sitzt der stinkreiche Milliönär genauso heulend im Bad wie ein armer Hartz Vier Empfänger.
Ich lehne mich an Capi.
Drücke ihn an mich, spüre ihn an mir.
Er schaut wimmernd weg, wahrscheinlich will er nicht dass ich ihn weinen sehe.
Aber das ist mir egal.
Er nimmt meine Hand, ich greife sie so fest als ob ich Angst hätte er könne sie jemals loslassen.
Er schnieft, wischt sich mit der anderen Hand die vielen Tränen vom Gesicht.
Dann schauen wir gemeinsam mit leerem Blick geradeaus auf die geflieste Marmorwand.
Jetzt tut nichts mehr weh, jetzt will ich nicht mehr das High von eben zurück.
Ich fühle gar nix.
Schaue nur auf diese beschissene, Marmorwand mit den noch beschisseneren goldenen Engelchen drauf die alle zusammen wahrscheinlich so viel wie ein Kleinwagen kosten.
Ich drehe mich kurz zur Seite, schaue ihn vorsichtig an.
Er bemerkt dies offenbar.
Unter seinen Augen sind tiefe, dunkle Augenringe und er ist kreidebleich.
Wie eine Leiche.
Dann spüre ich auf einmal seine kalten Lippen auf meinen.
Ganz kurz, flüchtig.
Fast schon ängstlich.
Wir schauen uns kurz in die Augen, dann erwiedere ich es.
Öffne meinen Mund, ebenfalls nur ganz zurückhaltend.
Ich schließe meine Augen, er umfasst meine Hand nun ganz leicht.
Es ist zwar nicht unser erster Kuss, aber der erste bei dem Gefühle im Spiel sind.
Und das ist besser als jede Droge dieser Welt.