Kapitel 38

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Elijah

Nach dem Ausbruch

Die Luft im Auto war stickig. Ich fühlte mich eingeengt zwischen Cole, der ein Dauergrinsen auf den Lippen trug und mich damit nur noch nervöser machte. Er wusste, er könnte alles von mir verlangen, und genau das, trieb mir ein mulmiges Gefühl in die Magengegend. Schon eine Minute saß er stillschweigend da und rückte nicht mit der Sprache heraus. Immer wenn ich ansetzte, etwas zu sagen, signalisierte er mir, dass ich ruhig sein sollte. Leider befand ich mich nicht in der Position, mir ein großes Mundwerk zu erlauben. Nicht, nachdem er mich gerade erst aus dem Gefängnis geholt hatte.

Sein Telefon klingelte und innerlich fluchte ich was das Zeug hielt. "Ja, es ist alles gut verlaufen. Er ist draußen." Angestrengt lauschte ich. Mit wem sprach Cole dort von mir? Einem Komplizen? Cole legte auf und wandte sich endlich mir zu. Breit grinste er mich an und ich wünschte mir nichts sehnlicher, als ihm dieses Grinsen aus dem Gesicht zu prügeln.

Ich glaubte, bald den Verstand zu verlieren, wenn er nicht endlich den Mund aufmachte. "Wenn du jetzt verdammt nochmal nicht sofort sagst, was du willst, springe ich aus dem Auto!", knurrte ich und merkte, wie der Fahrer das Tempo beschleunigte. Meine Drohung wirkte also. Cole, dem das Dauergrinsen vom Gesicht gefallen war, fuhr sich über das dreckige T-Shirt.

"Warum denn so schlecht gelaunt?" Spottend klopfte er mir auf die Schulter, als wären wir Freunde. Wütend verzog ich das Gesicht.
"Was willst du?", wiederholte ich meine Worte noch drängender und bedrohlicher.

Als würde er wirklicher überlegen, griff sich Cole an das Kinn und strich über seinen imaginären Bart. "Ich habe dich rausgeholt, damit du deine Familie beschützen kannst. Damit du sie in Sicherheit bringen kannst." Mein Herz hämmerte unkontrolliert gegen meinen Brustkorb.

"Was denkst du denn, was ich von dir möchte?" Er spannte mich weiter auf die Folter und es machte mich irre. Ich traute mich gar nicht, meine Vermutung auszusprechen, ich musste es gar nicht, er konnte es in meinen Augen sehen. Ein Lachen verließ seine Kehle.
"Gute Idee. Aber nein, Avery will ich nicht." Auch wenn es nicht das war, was ich befürchtet hatte, machte sich keine Spur von Erleichterung in mir bemerkbar. Es konnte nur noch schlimmer werden.

"Rate weiter", forderte er mich amüsiert auf. Ihm machte es Spaß, wie ich hier vollkommen ausgeliefert vor ihm saß. Tausende Gedanken schossen mir in den Kopf, aber ich traute mich nicht, auch nur einen davon auszusprechen. Kurz sah ich den Schmerz, den ich damals gesehen hatte, als er mir von dem Tod seiner Schwester berichtet hatte, in seinen Augen lodern.

Ungeduldig wippte ich mit meinem Fuß hin und her und ignorierte weiterhin die Schmerzen an meiner rechten Schulter. In mir brodelte es. "Jetzt spuck es schon endlich aus! Was verlangst du von mir? Was willst du mir nehmen?"
Das Grinsen auf seinen Lippen war wieder zurück.
"Dein Leben."

Hier saß ich nun. In dem gleichen Auto. Nicht bereit zu sterben. Gewaltsam versuchte ich mich aus den Handschellen zu befreien, die mir jegliche Chance nahmen abzuhauen. Cole hatte mich vorgewarnt, mir gesagt, dass ich die letzten Tage genießen sollte. Es gab einen guten Grund, warum ich niemandem davon erzählt hatte, was er von mir verlangte. Mein Leben, für das meiner Familie. Die Entscheidung war mir nicht sonderlich schwergefallen, auch wenn ich keinen blassen Schimmer hatte, ob Cole mich nicht anschwindelte und am Ende doch meine ganze Arbeit zu Fall brachte. Ich hatte meine Familie angelogen. Nicht, weil sie das Unvermeidliche nicht versucht hätten zu verhindern, sondern weil Cole noch am selben Tag, an dem er nicht das bekam, was er verlangte, zur Polizei gegangen wäre und sie über den Aufenthalt meiner Familie aufgeklärt hätte. Das konnte ich keinem der Kinder antun. Ich hatte keine Angst vor der Pistole, sondern davor, dass ich nie wieder die Chance bekäme, sie noch alle einmal wiederzusehen.

Unsanft wurde ich von drei Kerlen aus dem Wagen gezerrt. Cole wusste, dass ich stark war, doch gegen drei von ihnen, in Handschellen gelegt, hatte ich keine Chance. Der Wald, der so grün, so voller Leben blühte, schien auf mich hinabzusehen und mich auszulachen. Ich presste die Lippen aufeinander und ließ mich in die Fabrik, die vollkommen im Schatten und abseits der Stadt lag, zerren.

Für einen kurzen Moment schöpfte ich neue Energie und holte mit meinem Ellenbogen und Bein aus. Schmerzhaftes Stöhnen hinter mir und vom Boden aus, lenkten mich für eine Sekunde ab und schon flog eine Faust direkt auf mein Gesicht zu. Mein Kiefer knackte widerlich und ich stöhnte auf. Die beiden anderen Männer waren bereits wieder auf den Beinen und ein vierter Riese trat aus der Dunkelheit heraus und kam dazu. Ein Tritt in meine Magengrube folgte. Und ein weiterer. Erst nach zwei weiteren Tritten sank ich auf die Knie und krümmte mich vor Schmerz. Ein weiterer Schlag in mein Gesicht folgte und ich spürte, wie ich langsam das Bewusstsein verlor, als mir einer der beiden Männer auf den Kopf schlug. Sie prügelten mir die Seele aus dem Leib.

"Das reicht!" Nur gedämpft nahm ich Coles Schritte war. Ich wurde augenblicklich losgelassen und auf einen Stuhl gezerrt. "Du siehst schrecklich aus." Angewidert verzog er das Gesicht. Meine Sicht war verschwommen und ich spürte meinen linken Arm nicht mehr. Meine aufgeplatzte Lippe pulsierte schmerzhaft. Cole schwieg mich an und dann hörte ich das bekannte Geräusch der entsicherten Pistole. Sogar verschwommen konnte ich erkennen, wie seine Hand wild zitterte.

"Es tut mir leid, dass ich deiner Schwester nicht helfen konnte", gab ich rau von mir. Er presste mir den Lauf der Pistole direkt an meine Schläfe, doch ich fühlte mich viel zu benommen, um die Angst zu verspüren, die jeder an meiner Stelle hätte. "Ich weiß, du hasst mich. Ich würde dich auch hassen, wenn ich eine Schwester hätte und du ihr nicht geholfen hättest."

"Sei Still", brüllte er mich an. Das ich von seiner Schwester sprach, quälte ihn.
"Mein Tod wird sie nicht wieder zum Leben erwecken, Cole." Ich schluckte. Mein Hals brannte. Einfach alles brannte. Ich wusste, dass sein Finger am Abzug zuckte. Er war kurz davor. "Jahrelang habe ich mir Vorwürfe gemacht. Ich dachte auch eine Zeit lang, ich hätte es verdient, als eingesperrtes Monster in einer Zelle zu schmoren, aber das habe ich nicht. Es war alles wert. Ich habe Kindern ein neues, besseres Leben geschenkt und auch wenn es für deine Schwester schon zu spät war..." Ich hielt inne und lauschte Coles Schluchzern. "...und ich es mir nie verzeihen werde, bin ich mir sicher, ihr wäre es bei uns gut ergangen. Auch meine Entschuldigungen bringen sie nicht zurück, aber lass dafür nicht die anderen Kinder leiden, für die es noch eine Zukunft gibt." Meine Stimme versagte. "Ich bitte dich hier zum allerletzten Mal, lasse nicht zu, dass meiner Familie etwas passiert. Versprich mir, dass du dafür sorgst, dass die Eltern der Kinder sie in Ruhe lassen. Versprich mir, dass sie ihre gerechte Strafe bekommen." Flehend drehte ich unter Schmerzen meinen Kopf zu ihm. Tränen strömten über seine Wangen und der Druck auf meinen Kopf verstärkte sich. Ich schmeckte den metallischen Geschmack in meinem Mund. Ich biss mir auf die Lippe, nur um meine Zähne nur noch tiefer in die frische Wunde zu graben.

Ich wollte nicht sterben. Ich wollte nicht, dass sich eine Kugel durch meinen Schädel bohrte und mich auslöschte. Averys Gesicht erschien vor mir in Gedanken. Ihr erschrockenes Gesicht, als sie mich zum ersten Mal gesehen hatte. Unser erstes Date auf dem Dach, mit Pizza und Wasser, und zu guter Letzt, die Kinder und meine Freunde, die sie sofort ins Herz geschlossen hatten. Diese Kugel würde mich nicht auslöschen, nein, meine Familie würde sich für immer an mich erinnern. Das Lächeln auf meinen Lippen, kam so unerwartet, dass es umso schwerer war, es aufzuhalten. Coles verwirrte Miene half nicht dabei, es verschwinden zu lassen, aber mein heftiges Husten das darauffolgte.

"Ich verabscheue dich, Elijah Jackson und ich hasse dich noch mehr dafür, dass ich dir nicht die ganze Schuld an dem Tod meiner Schwester geben kann. Am meisten hasse ich dich aber dafür, dass ich dich nicht töten kann. Ich kann es einfach nicht! Ich sehe meine Schwester vor Augen, die mir sagt, ich darf es nicht. Immer und immer wieder. Ich kann sie nicht enttäuschen!", schrie er hysterisch. Mein Herzschlag setzte für einen Moment aus. Dann schrie Cole erneut und warf die Pistole mit voller Wucht auf den Boden. Ich konnte nicht glauben, was er tat. Er löste die Handschellen und stieß mich unsanft auf den Boden.
"Ich will dich nie wiedersehen. Ich an deiner Stelle, würde mich beeilen, wenn du nicht willst, dass mein Komplize deine Familie ausschaltet", rief er mir verbittert hinterher, doch ich war schon längst mühsam aufgestanden und humpelte in Richtung des Lichts, das durch den offenen Türspalt schien. Es war wie ein Strahl Hoffnung und Erleichterung zugleich, der mich nicht genügend Schmerz fühlen ließ, um mich aufzuhalten.

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