Kapitel 14

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Als ich in den Gemeinschaftsraum trat, war Brian schon dabei, einige seiner Sachen in eine Tasche zu befördern. Er war wohl derselben Meinung wie ich. Wir konnten hier unmöglich bleiben.

Lola versuchte beinahe schon verzweifelt die Kinder in Schach zu halten. Nicht wenige von ihnen schoben Panik. Olivia weinte. Tyler stellte eine Frage nach der anderen. Es tat weh, denn wir wussten alle, dass dieses Zuhause auch den Kindern ans Herz gewachsen war.

Lucy fehlte und als ich mich umblickte, konnte ich sie auf der Treppe sitzen sehen. Sie hatte den Kopf in den Schoß gelegt und ich befürchtete, dass auch sie feuchte Wangen hatte. Auch als ich mich neben sie setzte, wollte sie mich nicht ansehen.

"Was ist los, Lucy?" Als ich ihr sanft über den Rücken strich, huschte ihr Blick endlich zu mir. Sie hatte zwar nicht geweint, aber ich konnte ihr ansehen, dass sie traurig war.

"Ich vermisse Elijah", gab sie leise zu. Es konnte niemand außer mir hören. Und ich verstand sie.

"Als er hier war, gab es fast nie Probleme und er hat immer dafür gesorgt, dass alles gut lief", fuhr sie fort. Ich wusste, dass sie damit nicht sagen wollte, dass wir unfähig oder schlechter als Elijah waren.

Sie hatte recht. All die Verantwortung überforderte mich. Ich war nicht so wie Elijah. Auch Brian, Lola, Jack oder Mason waren nicht so wie er. Ich wusste nicht, wie er es zustande brachte, dass sobald er in den Raum kam, alle ruhiger wurden.

Damals, als wir alle in der Küche festgesessen waren, weil die Polizei vor der Tür stand, hatten alle Kinder Ruhe bewahrt. Ich hatte mich gefragt, ob es an Elijah lag. Jetzt hatte ich keine Zweifel mehr daran.

Während er Olivia in wenigen Minuten beruhigen konnte, scheiterte Lola in diesem Moment kläglich daran. Auch Lucy schien sich sicherer zu fühlen, wenn Elijah da war. Mir ging es nicht anders. Ich fühlte mich schlecht, weil ich nicht bemerkt hatte, wie sehr auch Lucy Elijahs Verhaftung belastete. Es war schon lange her, dass ich mir wirklich Zeit mit ihr alleine genommen hatte.

"Wir bekommen das alles wieder hin. Versprochen. Elijah wird auch wieder zurückkommen. Es braucht nur alles seine Zeit." Ich versuchte nicht nur ihr, sondern auch mir selbst Mut zu machen. Elijah war ein Kämpfer. Wenn er es nicht schaffen konnte, wer dann?

Lucys sanftes Nicken überzeugte mich jedoch wenig. "Du weißt doch, ich werde alles daransetzen, dass er wieder freikommt."

Als ich Lucy leicht kitzelte, entlockte ich ihr ein herzhaftes Lachen. Sie versuchte vergeblich meine Hände fortzuziehen. Ich zog ihren Kopf auf meine Schulter und strich ihr über das Haar.

"Geht es jetzt wieder?" Auf meine Frage nickte sie nur, doch als sie anschließend lächelnd mit Tyler verschwand, wusste ich, dass es ihr wirklich besserging. Es war mir wichtig, dass sie noch nichts davon erfuhr, dass ihr Vater in der Stadt war. Es war vielleicht nicht fair, wenn ich es ihr weiterhin verheimlichte, doch ich konnte sie nicht noch zusätzlich damit belasten.

Nicht nachdem ich wusste, wie schlecht es ihr ging.

"Wie geht es jetzt weiter, Brian." Elijah hatte Brian und mir das Ruder überlassen. Wir mussten eine Lösung finden. Eine dauerhaft akzeptable Lösung. "Ich bin mir nicht sicher. Heute Nacht werden wir auf jeden Fall noch hier Schlafen. Vielleicht auch noch morgen. Je nachdem, wie schnell das Ausziehen funktioniert."

Brian atmete die angestaute Luft aus. Es fiel ihm sichtlich schwer, alles hinter sich zu lassen.

"Wo werden wir unterkommen?" Es war nicht darüber zu diskutieren, dass wir etwas Großes brauchten, wenn wir alle unterkommen wollten.

"Elijah hat schon für Notfälle gesorgt. Er hat einen Freund, der uns eines seiner Gebäude für eine gewisse Zeit zu Verfügung stellen würde. Wir haben es immer für Notfälle im Auge", erklärte er mir.

Wir hatten Glück, dass an alles gedacht worden war, wenn es mal brenzlig werden sollte.

Die Nacht kam mir schrecklich kalt vor. Ich vergrub mich in der Decke, die eigentlich Elijah gehörte. Sie roch noch leicht nach ihm. Als Lola mir angeboten hatte, sie zu waschen, hatte ich sofort, vielleicht etwas zu schnell, verneint. Sie hatte mich nur ausgelacht und meine Wangen hatten sich rosa verfärbt. Ich atmete tief ein und versuchte mein unkontrollierbares Zittern unter Kontrolle zu bringen. Ohne Erfolg.

Wie sehr ich mir doch wünschte, Elijah würde in diesem Moment neben mir liegen. Alles war so kompliziert und ich wollte einfach nur, dass er mir ins Ohr flüsterte, dass alles gut werden würde. Alle anderen schliefen seelenruhig. Ich verstand nicht, wie sie nach diesem aufbrausenden Tag, so friedlich schlafen konnten.

Ich lag in Elijahs Bett wie ein Häufchen Elend und ich konnte nur hoffen, dass niemand vor mir aufwachte und mich so entdeckte. Ich wollte nicht so schwach aussehen, wie ich mich tatsächlich fühlte.

Als ich durch die Gänge trottete, fühlte ich mich ausgelaugt. Ich hatte die Nacht über nicht viel geschlafen. In meinen Träumen hatte sich mein Alptraum immer wieder erneut abgespielt. Wie als hätte jemand ständig auf Repeat gedrückt.

Mason lehnte an der Fensterbank und nahm einen Schluck aus seiner Tasse. Er hatte mich noch nicht bemerkt. Nach unserem Neuanfang, hatten wir kein Wort miteinander gewechselt. Ich war mir unsicher, ob er nicht schon wieder anderer Meinung war und alles gestern nur ein Scherz gewesen war.

Er schien nicht anwesend zu sein und ich wollte nicht diejenige sein, die ihn aus seiner Tagträumerei riss. Er musste müde sein. Bevor ich eingeschlafen war, hatte ich noch gehört, wie er Jack, der gerade von einem Treffen mit Liv zurückkam, aufgeklärt hatte, was gestern passiert war. Jack war zu dem Zeitpunkt in der Uni gewesen und Brian hatte sich geweigert ihn anzurufen und ihn somit von seinem Studium abzuhalten.

Während Mason einfach seine Ruhe hier genoss, brauchte ich etwas ganz Anderes. Mason bemerkte mich auch nicht, als ich aus der Tür, in die frische Luft trat.

Den Weg, welcher an der Graffitiwand vorbeiführte, war ich schon lange nicht mehr gegangen. Als ich davor Halt machte, musste ich sofort an die Situation denken, in der mich Elijah vor Cole gerettet hatte. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich ihn noch nicht ausstehen können. Der restliche Weg war mir so bekannt, dass ich erst bemerkte, dass ich ihn gelaufen war, nachdem ich vor dem alten Haus stand.

Ich hatte es die letzten Tage gemieden, dorthin zurückzukehren, da ich Angst davor hatte, was ich fühlen würde, sobald ich auf dem Dach stand, auf dem mein schlimmster Alptraum wahr geworden war. Doch in diesem Moment, wollte ich einfach nur von dort den Sonnenaufgang beobachten. Ich wollte dieses Gefühl zurück, welches ich verspürt hatte, als Elijah und ich dort oben gesessen waren.

Und das tat ich auch. Als ich mich an den Rand setzte und meine Beine in der Luft baumeln ließ, fühlte ich mich so sicher und geborgen wie lange nicht mehr. Ein unbeschreibliches Gefühl. Ich blickte zurück und musste augenblicklich an unser erstes Date denken. Wir hatten nur Pizza gegessen und trotzdem hätte ich mir nichts Besseres vorstellen können.

Eine Träne fand den Weg auf den Boden und ich wischte mir die restlichen fort. Ich vermisste ihn so schrecklich und ich kam mir vor wie ein Schwächling, weil ich so oft weinte. Doch diese Gefühle ließen sich einfach nicht abstellen.

Ein Rascheln ertönte von unten. Sofort wischte ich mir die restlichen Tränen fort und stand auf. Kurz kam Panik in mir hoch, doch ich riss mich zusammen. Ich konnte nicht immer in Angst leben. Das Nächste was ich hörte war, dass jemand die Treppe hinaufstieg und die Tür zum Dach öffnete.

Ich konnte nur den Kopf der Person sehen, welcher durch die Kapuze eines Pullovers verdeckt wurde.

Prisoned Monster Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt