Kapitel 1

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Mein Blick glitt aus dem Fenster, runter auf den Betonboden. Es war hoch, keine Frage. Doch es war machbar. Mein Plan war durchstrukturiert und es konnte nichts schieflaufen. Es durfte nichts schieflaufen. Aus dem Fenster, über den Baum, auf den Boden und rennen was das Zeug hält. Das konnte doch nicht so schwer sein. Oder?

Ich war unsicher, ob mich nicht sofort jemand abfangen würde, sobald ich unten stand. Möglich wäre es. Doch dieses Risiko musste ich eingehen, denn ich würde es keine Sekunde länger hier aushalten.

Seitdem mich die Polizei förmlich zu meinem Vater geschliffen hatte, in der Annahme, ich sei von meinem Entführer besessen und unsterblich in ihn verliebt, obwohl er schlecht für mich war, hatte mich mein Vater keine Sekunde aus den Augen gelassen und das Haus durfte ich auch nicht verlassen.

Jede Stunde klopfte er an der Tür, um sicher zu gehen, dass ich noch da war und auch wenn er glaubte, ich würde nicht bemerken, wie er nachts in mein Zimmer schlich, um mich zu kontrollieren, bekam ich es jedes Mal mit.

Gina hatte versucht ihm klar zu machen, dass er das Falsche tat, doch auch sie konnte ihn nicht zur Vernunft bringen. Obwohl Gina nett zu mir war und mich unterstützte, wusste sie nichts von meinem Fluchtplan. Zu sehr hatte ich davor Angst gehabt, dass sie es ihm doch erzählen würde.

Das Einzige, was ich mit mir nahm, war der Rucksack auf meinem Rücken. Alles andere könnte ich besorgen.

Ich war bereit. Mehr als bereit. Ich musste zurück. Ich hatte Elijah versprochen, mich um seine Organisation zu kümmern und das, würde ich auch tun, darauf konnte er sich verlassen.

Meine nun nur noch bis zur Schulter gehenden Haare, hatte ich mir so gut wie es ging, nach hinten gebunden, damit sie mir nicht im Gesicht hingen, während ich den Baum hinunterkletterte. Ich war mir sicher, dass meine einfache Jeans, bei meinem Klettererlebnis kaputtgehen würde. Ich war noch nie zuvor einen Baum hoch, geschweige denn hinuntergeklettert und hatte es in der Zukunft eigentlich auch nicht vorgehabt.

Ein Klopfen ließ mich zusammenzucken und in Windeseile schloss ich das Fenster, warf den Rucksack in die nächste Ecke und legte mich nichtsahnend in mein Bett. Mein Vater betrat den Raum und schaute sich verdächtig um. Er hatte doch nichts von meinem Plan mitbekommen?

Er blickte auf meine kurzen Haare und musterte sie kritisch.

"Es gibt gleich essen, sei pünktlich."

Seine abwertende Stimme hallte durch den Raum und ich nickte nur mit dem Kopf, ehe er das Zimmer verließ. Na endlich.

Ich griff nach dem Rucksack und schulterte ihn schon zum fünften Mal an diesem Tag. So oft hatte ich gekniffen. So oft hatte ich mich nicht getraut aus dem Fenster zu klettern und von diesem Ort zu verschwinden. Doch jetzt würde ich nicht mehr zögern.

Meine zitternden Hände öffneten das Fenster und mit wackligen Beinen stieg ich auf die Fensterbank. Ich blickte in die Tiefe und das, hätte ich mir lieber verkneifen sollen. Leichte Panik ergriff mich. Ich war noch nie wirklich aus einem Fenster geklettert, aber so schwer konnte es wohl kaum sein.

Immer noch hielt ich mich am geöffneten Fenster fest und traute mich nicht, nach dem breiten Ast vor mir zu greifen. Wenn dieser mich nicht halten würde, würde ich mehrere Meter in die Tiefe stürzen. Der Gedanken daran, ließ mich erschaudern.

Ich schloss für einen kurzen Moment die Augen und atmete tief durch. Jetzt oder nie.

Ich löste die eine Hand und umklammerte den breiten Ast. Er schien stabil zu sein. Jedenfalls noch. Ich griff fester zu, ehe ich die andere Hand löste und leicht ins Schwanken kam. Hastig umklammerte ich auch mit ihr den Ast. Das war knapp gewesen.

Mit einem großen Schwung, schwang ich mein linkes Bein auf den Ast, zog mich mit aller Kraft weiter und saß wenige Sekunden später sicher auf ihm. Erleichtert klammerte ich mich fest. So schwer wie gedacht, war es nicht.

Der nächste Ast war weiter unten, doch das Schlimmste hatte ich überstanden. Denn ab jetzt, ging es nur weiter hinunter. Ich ließ mich hinuntergleiten bis ich nur noch an meinen Armen hing und meine Beine auf dem anderen Ast abstellte. Dies wiederholte ich noch einmal, ehe ich absprang und mit beiden Beinen auf dem Boden landete.

Stolz auf mich, blickte ich um mich. Niemand da. Also schnell weg von hier.

Ich joggte um das Haus und duckte mich. Sobald ich die Straße erreicht hatte, fing ich an zu rennen. Mein nächstes Ziel war der Bahnhof. Sobald ich glaubte, weit weg genug von dem Haus zu sein, blieb ich stehen und gönnte mir eine kurze Verschnaufpause. Ich hatte es tatsächlich geschafft, wenn mich nichts mehr aufhielt.

Den restlichen Weg lief ich in zügigen Schritten. Als ich den Bahnhof erreichte, war er beinahe menschenleer und ich völlig außer Atem. Es war gerade Mittagszeit und die meisten Menschen aßen gerade Mittag. Nur ich nicht. Und es würde auch noch eine Weile dauern, bis ich meinen Magen mit etwas Essbarem füllen könnte.

Es würde nicht lange dauern, bis mein Vater bemerkte, dass ich nicht zum Essen kam und nachsehen würde, wo ich den blieb.

Unruhig, wippte ich von einem Fuß auf den anderen. Ich schaute auf die Anzeigetafel. Noch zwei Minuten.

Ängstlich blickte ich um mich. Der Zug hatte Verspätung und mittlerweile hatte Phil bestimmt schon bemerkt, dass ich fort war und er wusste, dass es nur einen Ort gab, an den ich wollte.

Ich öffnete meinen Rucksack und zog meine Kappe heraus. Es war Elijahs Kappe, die er an dem Tag getragen hatte, an dem er verhaftet wurde. Ich setzte sie auf meinen Kopf, um nicht sofort erkannt zu werden.

Mehrere Autos parkten auf dem Parkplatz direkt neben dem Bahnhof. Eines der Autos kam mir bekannt vor. Es war das Auto meines Vaters. Mist!

Panisch zog ich die Kappe tiefer ins Gesicht. Er durfte mich nicht erkennen. Zu meinem Glück, kam der Zug gerade in die Station gerollt und hielt vor mir. Zügig stieg ich ein, ohne nachzusehen, ob es auch wirklich der Richtige war.

Ich setzte mich auf einen freien Platz am Fenster. Vorsichtig blickte ich hinaus und konnte sehen, wie Phil sich im Kreis drehte und umschaute. Doch es war zu spät. Erleichtert atmete ich die angestaute Luft aus. Der Zug fuhr los und ich würde bald dort sein, wo ich hingehörte.

Bei Elijah.

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