Kapitel 35

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5 Jahre zuvor

"He, du bist Elijah, oder?" Der Blondschopf vor mir hob sich den Rucksack auf die Schultern, in dem es bekannt klapperte – Spraydosen- und schaute mich erwartungsvoll an.
"Wer will das wissen?", erwiderte ich und warf einen kurzen Blick auf meine Armbanduhr. Ich war schon spät dran, wenn ich meinen Termin bei Steven einhalten wollte. Heute stand das wohl größte Tattoo an, das endlich meinen ganzen Rücken bedecken sollte. Außerdem hatte ich Jack versprochen, den neusten Actionfilm mit ihm zu sehen.

"Cole", antwortete er und machte einen weiteren Schritt auf mich zu. "Ich weiß, wer du bist", sagte er schließlich. "Ach wirklich?" Ich zog eine Augenbraue in die Höhe, obwohl sich doch ein Fünkchen Panik in mir bekanntmachte. Es war unmöglich.

"Ich beobachte dich schon seit Wochen. Du gehst hier jeden Freitag vorbei." Tatsächlich konnte auch ich mich daran erinnern, ihn ein paar Mal hier gesehen zu haben. Er war immer dort und auch der Künstler der gigantischen Graffitiwand.
"Und warum beobachtest du mich?"

Ich wurde aus dem Jungen, der ungefähr einen Kopf kleiner als ich war, nicht schlau. Wieso hatte ich nicht bemerkt, dass er mich beobachtete?
"Du redest manchmal mit dem Leader der Gang in der ich bin." Ich wusste sofort welche Gang er meinte. Ich nickte, das konnte ich wohl kaum abstreiten.

"Ja, ich bitte ihn manchmal um Hilfe", gab ich zu. Ich tat es nicht gerne, aber um über die Runden zu kommen war meist schwerer als gedacht. Für einen Moment verzog Cole das Gesicht. "Hör zu, ich bin mir nicht sicher und vielleicht hältst du mich danach für komplett bescheuert, aber ich habe nicht nur einmal bei eurem Gespräch zugehört. Ihr habt von einem Jack geredet und ich werde das Gefühl nicht los, dass es derselbe Jack ist, der seit Monaten in den Nachrichten läuft."

Ich hielt für einen kurzen Moment die Luft an und schluckte schwer. Ich hielt ihn nicht für komplett bescheuert – nein, dieser Junge war schlau- aber auch komplett lebensmüde, seinen Gangleader zu belauschen und es auch noch zuzugehen.

"Ich habe ein Problem und ich brauche deine Hilfe", sagte er rasch und tat damit genau das Gegenteil von dem, was ich erwartet hatte. Er wollte nicht zur Polizei? Ich hatte immerhin nichts abgestritten.

"Hilfe?" Ich legte meine Stirn in Falten. "Ja, ich habe schon seit Wochen recherchiert. Jacks Eltern sind wohl nicht so gute Leute, wie sie es vorgeben." Es erschreckte mich, wie viel er wusste. Wie nahe er dran war, mein Geheimnis zu lüften. Niemals sollte es geschehen.

"Meine Schwester und ich leben bei einer Pflegefamilie. Sie behandeln uns schrecklich, aber niemand will uns dort rausholen." Ich sah wie er sein Gesicht zu einem verbitterten Lächeln verzog. Langsam wurde mir bewusst, in welche Richtung seine Bitte gehen würde.

"Du willst also, dass ich euch dort raushole?", sprach ich meine Vermutung aus. Cole schüttelte mit dem Kopf. "Nur meine Schwester. Ich kann nicht einfach von der Bildfläche verschwinden, nicht nachdem was ich alles getan habe, aber sie. Ich möchte, dass sie in Sicherheit ist."

Mein Termin bei Steven war schon fast vergessen.
"Cole, ich kann verstehen, dass du möchtest, dass sie in Sicherheit ist, aber so einfach geht das nicht." Er fuhr sich durch das Haar.
"Das heißt du hilfst mir nicht?" Enttäuscht ließ er den Rucksack wieder zurück auf den Boden fallen.

"Doch", sagte ich rasch. "Ich brauche aber ein paar Tage Zeit." Coles Gesicht hellte sich auf. "Okay."

"Ich möchte sie morgen treffen. Kannst du sie hierherbringen?" Eifrig nickte er. "Gut, dann bis morgen." Ich kehrte ihm den Rücken zu und griff nach meinem Telefon, um meinen Termin abzusagen. Immerhin hatten Brian und ich eine neue Entführung zu planen.

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