Kapitel 24

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"Avery, wach auf, wir sind da." Ich wurde unsanft an der Schulter gerüttelt und konnte die Augen nur mit großer Mühe öffnen. Anscheinend war ich von dem gestrigen Tag so geplättet, dass ich während der Autofahrt einfach eingeschlafen war.

Es dauerte einige Sekunden, bis Masons Gesicht nicht mehr verschwommen und unklar war und ich schaffte, auszusteigen. Noch etwas benommen taumelte ich einen Schritt vorwärts und rieb mir mit der flachen Hand über das Gesicht. Wie hatte ich nur einschlafen können? Und das nach so einem Erlebnis wie gestern.

Henry war derjenige, der mich stützte. "Geht es wieder?" Er nahm einen großen Schluck aus seinem Kaffeebecher, der wahrscheinlich das einzige Mittel war, das ihn die ganze Nacht über wachgehalten hatte. Die Sonne war noch nicht ganz aufgegangen und das sanfte Licht, das auf uns hinabfiel, wirkte wärmend auf mich.

"Ja, es geht wieder, danke." Mason hatte sich mittlerweile wieder ins Auto gelehnt und war ab der Hälfte seines Körpers in dem kleinen Wagen verschwunden. Er war dabei Lucy zu wecken, die genauso wie ich, einfach eingeschlafen war. Müde trottete diese aus dem Auto und rieb sich verschlafen über die Augen. Und obwohl ich geschlafen hatte, ließ ich mich von ihrem Gähnen anstecken.

Ein weiteres Auto kam hinter uns zum Stehen. Ziemlich laut, zu laut für meine pochende Schläfe, schlug Jack die Autotür zu und öffnete die hintere für die Kinder. In einem schnellen Tempo kam eines nach dem anderen raus. Es fehlten nur noch Lola und Brian mit Keaden und Luis.

Ich erlaubte mir, mich endlich umzuschauen. Ein großes Gebäude, vielleicht etwas größer als unseres, erstreckte sich vor uns. Eine zierliche, wirklich hübsche Frau, trat heraus und streckte einladend die Hände nach uns aus. "Schön das ihr hier seid." Ihr High Heels verursachten laute Geräusche auf dem steinigen Boden und ich fragt mich, wie sie es schaffte mit diesen Schuhen auf solch unebenem Boden zu laufen. Sie war ein Naturtalent darin. Keiner ihre Schritte wirkte wackelig oder gar verunsichert. Das machte sie definitiv nicht zum ersten Mal.

Wie auch bei Liv, fühlte ich mich von der schönen Frau eingeschüchtert, sobald sie direkt vor mir stand. Ich wollte nicht eifersüchtig werden, aber der Gedanke daran, dass Elijah ausgerechnet sie ausgewählt hatte, um uns Unterschlupf zu gewähren, ließ ein Gefühl in mir aufkommen, das ich noch gar nicht kannte. Auch wenn es gar keinen Grund dafür gab. Sie war keine Bedrohung für mich.

Vielleicht war ich auch etwas neidisch auf ihre perfekte Figur, doch wer wusste schon, was im Inneren schlummerte. Vielleicht dieselben Selbstzweifel die auch ich hatte. "Du musst Avery sein?" Ihre weißen Zähne strahlten mir entgegen. Ich versuchte mich an einem herzhaften Lachen, war aber wohl noch zu müde dazu. Wie ich wohl aussehen musste? Bestimmt wie eine zerzauste Hexe. Ob Henry und Mason sich über mich lustig gemacht hatten, weil ich so seltsam beim Schlafen ausgesehen hatte? So unwahrscheinlich kam mir dieser Gedanke gar nicht vor.

"Ja, die bin ich." Das jeder schon wusste, wer ich war, war schon lange nichts mehr Neues. Elijah brachte wohl wirklich nicht oft fremde Mädchen mit nach Hause und weihte sie in seine illegale Arbeit ein. Zum Glück. Ich wollte die Einzige bleiben.

"Schön dich auch endlich mal kennenzulernen. Ich bin Georgia." Ja, gorgeous war sie auf jeden Fall. Als Antwort nickte ich ihr nur zu. Keine Ahnung warum, aber ich hielt es für besser, wenigstens für eine Minute den Mund zu halten. Vor allem dann, wenn ich noch nicht ganz wach war und alles möglich von mir geben könnte.

"Und du musst Lucy sein." Lucy kannte Georgia also auch noch nicht. Lucy nickte mindesten genauso müde wie und kam einen Schritt näher. "Wo sind wir hier?" Wartend auf eine Antwort, blickte ich zu Georgia, die sich den hochgebundenen Zopf richtete. "Sehr abseits der Stadt. Elijah hat mich und Reese damals nicht ohne Grund gefragt, ob er in brenzligen Situationen mit seiner Familie hierherkommen könnte. Dieser Waldabschnitt wird so gut wie nie besucht. Hier seid ihr sicher." Etwas beruhigt war ich schon, dass wir nichts zu befürchten hatten, aber genauso sehr vermisste ich unser altes Zuhause jetzt schon. Dort hatte ich mich noch ein wenig mit Elijah verbunden gefühlt. Das hier, war mir völlig fremd.

Georgia bat uns hineinzukommen. Erst jetzt bemerkte ich Lola dicht hinter mir und Brian der weiter weg bei den Kindern stand. Wann waren die denn angekommen? Ich staunte nicht schlecht, als wir das Haus betraten. Man erkannte sofort, dass hier, genauso wie bei uns, auch mal etwas anderes als ein modern eingerichtetes Haus gewesen war.

"Reese zeigt euch eure Zimmer." Ein gutaussehender Mann, nicht viel älter aussehend als Georgia, kam die Treppe hinuntergeschlendert und machte vor uns Halt. Als Begrüßung wuschelte er Tyler durch das schwarze Haar und strahlte uns mit demselben Zahnpasta Lächeln entgegen. "Das ist Reese, mein Mann."

Reese drückte Georgia einen flüchtigen Kuss auf die Lippen und angeekelte Töne verließen die Münder der Kinder. Die beiden passten wirklich zusammen. Mal wieder fiel mir auf, wie verschieden Elijah und ich eigentlich waren. Trotzdem könnte ich mir niemand besseren vorstellen. Ein leichtes Tippen auf meiner Schulter, riss mich aus den Gedanken.

"Kann ich mit der reden?" Es war Jack der mir ins Ohr flüsterte und mich etwas stutzig machte. Ich folgte ihm ein Stückchen weiter weg von der Menschenmasse und blickte erwartungsvoll in seine Richtung. "Es gibt einen Grund, warum ich gestern früher nach Hause gekommen bin." Er machte mich nur noch neugieriger, indem er mich warten ließ.

"Gestern, als ich mit Liv in einem Restaurant war, kam auf einmal so ein seltsamer Mann zu mir und hat mir diesen Brief in die Hand gedrückt." Er zog ein Stück gefaltetes Papier aus der Innentasche seiner Jacke. "Er ist von Lisa." Urplötzlich wurde mir schrecklich warm und seine Worte hallten in meinem Kopf nach. Die drogensüchtige Lisa. Die Lisa, die meine Mutter ermordet hatte.

"Was steht drin?" Meine Stimme war leise und kratzig, als ich sie wiederfand. Mein Mund trocken. "Sie meint, sie könnte uns helfen und dafür sorgen, dass ihr Mann und dein Vater uns in Ruhe lassen, wenn du sie besuchen kommst." Die Luft blieb mir weg und ich glaubte zu hörte, wie das Blut durch meine Adern rauschte.


10k! Und neues Kapitel! Yay!
Was glaubt ihr, wird Avery es schaffen, Lisa zu besuchen?

Prisoned Monster Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt