Kapitel 2

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Ich griff nach meinen Klamotten, die sich im ganzen Zimmer verteilten. "Ach, komm, lass den Scheiß, Evan!", versuchte mich Rider nun doch davon abzuhalten, von hier zu verschwinden. Ich hatte nicht erwartet, dass er mir so hinterherlief. Er wusste, dass ich mich in Gefahr bringen würde, doch hatte ich ihm nicht schon oft genug gesagt, wie egal mir das war?

"Wo willst du denn hin?", fuhr er fort und griff nach einem meiner Shirts. "Ich finde schon was", gab ich genervt von mir und riss ihm den weißen Stoff aus der Hand. "Du bist doch verrückt", stieß Rider schon beinahe verzweifelt aus und raufte sich die Haare. "Bitte, Evan, sag mir, dass du nicht so dumm bist und weitersuchst."

Mit diesem Satz hatte er das Fass zum Überlaufen gebracht. "Halt die Klappe! Was weißt du schon! Ich liebe meine Schwester und ich werde sie nicht aufgeben. Sie zählt auf mich. Ich habe ihr immer versprochen sie zu beschützen und dieses Versprechen habe ich gebrochen. Also sei gefälligst ruhig und kümmere dich um deinen eigenen Kram!", blaffte ich mal mit brüchiger, mal mit fester Stimme.

Verdutzt und als wäre ich vollkommen irre, starrte mich Rider kopfschüttelnd an. Er konnte es nicht verstehen. Er würde es nicht verstehen. "Dann bleib wenigstens hier, bis du einen Plan hast, wie du diesen Mann finden kannst."

Unordentlich stopfte ich die restliche Kleidung in meinen Rucksack. "Das hast du vor zwei Monaten auch gesagt und ich habe nichts erreicht. Ich weiß immer noch nicht, wo sie Lou festhalten und von hier aus werde ich das auch nie erfahren."

Ich hatte meine Zeit schon viel zu lange verschwendet. Ich hatte auf Rider gehört und meine Schwester somit im Stich gelassen. Sie war bei einem der meist gesuchten Verbrechern der Welt, der vor nichts zurückschreckte und dieser Gedanke, jagte mir einen eiskalten Schauer über den Rücken. Ich musste nur an die vielen Alpträume denken, in denen ich von der Folterung meiner eigenen Schwester geträumt hatte und schon bekam ich eine Gänsehaut.

Wieso hatte sich Dad nur mit diesem Wesley angelegt? Was genau hatte er getan, um diesen Mann so wütend zu machen? Woher wusste Wesley überhaupt von unserem Geheimnis? So viele Fragen denen ich erst nachgehen würde, sobald Lou direkt neben mir saß. Gesund und vor allem lebendig.

"Du willst also wirklich gehen?" Ich lachte auf, obwohl mir gar nicht danach war. Rider war nicht immer der Hellste, aber damit hätte er doch rechnen müssen. Spätestens dann, als ich gestern den Boxsack von der Decke geholt hatte. Ich war am Ende mit meinen Nerven. Die Alpträume quälten mich und ich war ratlos.

Stumm musterte mich Rider weiter und ich kannte diesen Blick. Er verheimlichte etwas von mir. "Was?", fragte ich aufdringlich und hielt inne in meiner Bewegung.

"Ich schätze bevor du gehst, muss ich dir etwas zeigen." Misstrauisch legte ich die Stirn in Falten. Mit einer Handbewegung signalisierte er mir, dass ich ihm folgen sollte. Wenn das wieder einer seiner erbärmlichen Versuche war, mich vom Gehen abzuhalten, konnte er es dieses Mal vergessen. Ich hatte meine Entscheidung getroffen und dass schon vor fünf Monaten.

Wir liefen bis in sein Arbeitszimmer. Überrascht ließ ich meinen Blick durch den Raum schweifen. Er hatte mich immer gebeten, seine Angelegenheiten, seine Angelegenheiten bleiben zu lassen. Ich hatte mich an diese Bitte gehalten und hatte nie dieses Zimmer betreten. Dass er mich jetzt freiwillig hineinließ, ließ mich stutzig werden.

Rider, der durch seinen Bart viel älter als fünfundzwanzig aussah, wühlte in seinen Akten, die unordentlich auf einem Stapel sortiert waren. Rosalie, seine Hausfrau, gab sich jede Mühe, dass Haus ordentlich zu halten, doch bei zwei Männern im Haus, war es nicht immer einfach.

Ich wusste schon, als Rider meine Familie das erste Mal Zuhause besucht hatte, dass er gut in seinem Job war, auch, wenn nicht immer alles legal war, was er abzog. Doch die vielen Ordner die sich in seinen Regalen stapelten und beinahe alle davon einen Stempel und das Wort Erledigt trugen, zeigte nur noch mehr, wie viele Aufträge er bekam.

Schweigend überreichte er mir eine Mappe und als ich sie öffnete und den Namen des schönen Mädchens, das darauf abgedruckt war, las, blieb mir die Luft weg und ich glaubte, ich musste mich setzen. Elenor Wesley. Siebzehn Jahre alt. Tochter von Todd Wesley. Sobald der Schock vorüber war, stieg nur noch die Wut in mir an. Mit einem lauten Knall schlug ich die Mappe zu. "Wie lange hast du die schon?", knurrte ich und sah deutlich, wie Rider schluckte.

"Wie lange hast du die schon?", wiederholte ich dieses Mal etwas lauter und mit mehr Nachdruck. Ich konnte sein Zögern schon spüren und das Ticken der Uhr an der Wand wurde immer lauter.

"Seit zwei Monaten." Er hatte den Satz gerade ausgesprochen, da sprang ich auch schon auf ihn wie ein wildes Tier. Seine Knochen gaben ein widerliches Knacken von sich, als ich ihn gegen die Wand drückte. Meine Hände umschlossen seine Kehle fest und ich drückte zu. Röchelnd versuchte er sich zu befreien, doch ich war blind vor Wut. Ich wollte ihn umbringen.

"Hör auf, Evan, du bringst mich um", krächzte er. Meine Wut war unkontrollierbar, doch nach einem Schlag mit der Faust, mitten in sein Gesicht, konnte ich endlich von ihm ablassen.

Mit schmerzverzogenem Gesicht richtete er sich den Kiefer. "Wie konntest du das nur vor mir verheimlichen?", warf ich ihm vor und wollte am liebsten gleich wieder auf ihn losgehen. In mir loderte ein Feuer.

"Ich wollte nicht, dass du losziehst und irgendwelche Dummheiten anstellst. Ich wusste sofort, dass du in diesem Mädchen die Chance sehen würdest, an Wesley ranzukommen." Er versuchte sich zu verteidigen. Seine Taten zu rechtfertigen, doch dafür gab es keine Entschuldigung.

"Das ist keine Entschuldigung! Seit verdammten Monaten sitze ich hier, ohne Plan was ich tun soll und da gibt es auch nur ein Fünkchen Hoffnung, dass ich durch dieses Mädchen an ihren Vater und somit an meine Schwester rankomme und du verheimlichst es vor mir!", brüllte ich. Rider zuckte unmerklich zusammen und hob abwehrend die Hände in die Höhe. Meine Vorwürfe schienen aber nichts mehr in ihm auszulösen. Er bereute es nicht. Er bereute seine Entscheidung kein bisschen.

"Ich bringe dich um." Ich raufte mir durch die Haare. "Nein, das wirst du nicht tun." Und damit hatte er vollkommen recht. Ich war zu feige für so etwas. Hätte ich damals nur zur Pistole gegriffen, als es noch nicht zu spät gewesen war, doch ich hatte es nicht getan. Ich war ein Feigling, der zugelassen hatte, dass seine Schwester entführt wurde und wenn ich ehrlich war, machte ich mir die meisten Vorwürfe.

Ich war schuld. Schuld an allem.

"Du kennst meine Meinung. Du kennst auch das, was ich an deiner Stelle tun würde." Ja, ich wusste, was Rider tun würde. "Aber ich schätze, wir sind uns in diesem Thema nicht einig. Du weißt, zu wem du gehen musst", sagte Rider und fasste sich an den schmerzenden Rücken, als er die Mappe vom Boden aufhob, die ich fallen gelassen hatte, als ich auf ihn losgegangen war und händigte sie mir aus.

Tatsächlich wusste ich, zu wem ich gehen musste. "Vielleicht rufst du mich an, wenn du zurück und noch am Leben bist. Ich schätze, dann haben wir was zu feiern. Viel Glück." Rider glaubte nicht daran, dass ich lebendig wieder zurückkommen würde, doch das kümmerte mich einen feuchten Dreck.

Ich wandte mich ab, ohne noch etwas zu sagen und schloss die Arbeitstür hinter mir. Ich hatte lange genug gewartet. Und ich war mir in meinem Leben noch nie so sicher bei einer Sache gewesen. Louisiana, ich komme.

Revenge - Für das Licht in der Dunkelheit Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt