Kapitel 15

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Elenor

Mein Bauch tat weh, wie so oft, wenn ich daran dachte, wie viele Menschen in dem Gebäude waren, zu dem wir fuhren. Meine Tante hatte den Ort für die Gala sofort verlegt, nur damit niemand mitbekam, was gerade Zuhause los war. Ich verabscheute ihre Geheimnistuerei, und dass ich eine Stunde mit Evan in diesem Wagen verbringen musste, machte es nicht wirklich besser.

Ich hielt wie immer den Sicherheitsabstand zwischen uns ein, erst recht, da mir mein Kleid immer viel gewagter in seiner Näher vorkam. Dabei hatte ich es dieses Mal sogar selbst aussuchen dürfen. Natürlich aber nur, wenn es meine Tante davor gesehen und als angemessen abstempelte. Und das hatte sie. Es war in einem schönen dunkelrot und hatte einen nicht allzu tiefen Ausschnitt. Es reichte bis fast auf den Boden, wenn ich stand und ich fühlte mich wirklich... gut darin. Hübsch. Zum ersten Mal seit langem wieder.

Auch wenn ich auf Evans Meinung keinen Wert legen sollte, hatte mich sein kurzer, desinteressierter Blick, nach dem er für ungefähr eine Sekunde ein Auge auf mich geworfen hatte, irgendwie verletzt. Er war ein gutaussehender Mann und sein schwarzer Anzug saß wie immer wie angegossen, also ja, vielleicht legte ich doch Wert auf seine Meinung und hätte mich über ein Kompliment seinerseits gefreut. Doch seit wir losgefahren waren, starrte er aus dem Fenster und bewegte sich kaum. Ich konnte weder Smalltalk führen, noch irgendetwas anderes tun, um die Stimmung zu lockern.

"Sie sehen heute wirklich hübsch aus, Elenor." Dankend nickte ich Louis zu und wusste, dass er es durch den Spiegel erkennen konnte. Ich mochte Louis. Er arbeitete schon seit vielen Jahren für meine Familie und hatte mich auch schon einige Male ohne die Erlaubnis meiner Tante herumgefahren, als mir Zuhause alles einfach zu viel geworden war. Er war immer nett zu mir und es wirkte fast so, als hätte er nie einen schlechten Tag.

Ich schaute aus dem Fenster und erkannte den schwarzen Wagen, in dem meine Tante saß. Sie hatte darauf bestanden, alleine zu fahren. Fast alleine. Dominic war immer dort, wo auch sie war. Wahrscheinlich quälte sie ihn gerade mit ihrer Rede, die sie immer auswendig lernte. Sie hatte mir schon mehrere Male erklärt, dass ich bei solchen Galas immer besonders charmant herüberkommen musste. Erst recht, weil ich weder mit meinem Humor, noch anderen stimmlichen Dingen punkten konnte.

Die restliche Fahrt verbrachte nicht nur ich, sondern auch die beiden Männer stumm. Einige Male hatte Louis versucht Witze zu reißen, um mir meine Nervosität zu nehmen. Das tat er jedes Mal. Aber es wirkte nicht. Für einen Moment glaubte ich, dass mir Evan einen Blick von der Seite zuwarf. Und ich war mir noch sicherer, dass er auf meine Hände starrte, die ich einfach nicht stillhalten konnte. Diese Veranstaltungen waren der blanke Horror.

Der Wagen kam zum Stehen und meine Panik stieg, als mich der Blitz einer Kamera blendete. Es war doch eine private Veranstaltung. Wie zum Teufel wussten diese Paparazzi immer, wo sie sein mussten? Ich spürte, wie Evan nach meiner Hand griff und mich vor meiner Schnappatmung befreite. "Ich gehe zuerst raus. Danach steigen Sie von meiner Seite aus und schon sind Sie schneller in diesem Gebäude, als Sie denken." Ich konnte nur hoffen, dass er Recht hatte. Evan stieß die Tür auf und drückte einen Mann beiseite, der sich schon beinahe ins Auto lehnte.

"Verschwinden Sie!" Das Blitzlichtgewitter legte los, bevor ich überhaupt ausgestiegen war. Wie gelähmt weigerte ich mich, auszusteigen. Jedenfalls so lange, bis Evan meinen Arm packte und ich eine Sekunde später an seine Brust gedrückt, draußen stand. Sofort erinnerte ich mich an die Nacht des Einbruchs, rücke ein Stück fort, doch wurde sofort wieder von Evan zurückgezogen. Während Evan uns mit seinen Ellenbogen den Weg freikämpfte, kniff ich die Augen zusammen, um das grelle Licht nicht sehen zu müssen. Dann war es auf einmal leise.

"Sie können die Augen wieder aufmachen." Ich öffnete ein Auge nach dem anderen und war überrascht, als das einzig leuchtende in diesem Raum, die Lampe über mir war. Erleichtert atmete ich aus und traute mich erneut einen Blick auf Evan zu werfen. Er war weder aus der Puste, noch sah er so aus, als wäre es anstrengend gewesen, mir die aufdringlichen Menschen vom Hals zu halten. Er wirkte völlig gelassen und richtete sich mit einem kurzen Handgriff das Hemd. Er hatte sich schon den ganzen Tag seltsam verhalten und könnte ich, hätte ich ihn gefragt warum.

Mein Herzschlag normalisierte sich wieder und ich schaute mich kurz in dem Flur der Villa um. Es war eines der vier Häusern die meine Tante besaß. Eines, so hatte sie es mir erzählt, hatte ihr mein Vater geschenkt. Ob es wohl dieses hier war? Ich kannte den Mann, der mich eigentlich hätte aufziehen sollen, nicht besonders gut. Einige Jahre, vor dem Tod meiner Mutter, hatten wir ein sehr inniges Verhältnis genossen, doch das war lange vorbei. Ich konnte mich kaum noch daran erinnern, wie er wirklich aussah, so lange schien sein letzter Besuch schon her. Ich hatte mich daran gewöhnt und trotzdem wünschte ich mir manchmal nichts sehnlicher, als dass er einfach durch unsere Haustür spazieren würde und mit mir Brettspiele spielte, so wie wir es früher getan hatten.

"Sind Sie bereit?" Evan streckte mir seinen Ellenbogen entgegen, auf den ich zögerlich starrte, mich aber doch einhakte. Hinter der großen Tür befanden sich die wichtigsten Leute für meine Tante und dennoch wollte ich am liebsten von hier verschwinden. Der Türsteher in feinem Anzug, öffnete uns die Tür und wir traten in den großen Saal ein, der angemessen geschmückt war. Sofort lagen alle Blicke auf mir und die der jungen und sogar alten Frauen vor allem auf Evan. Er würdigte keine Frau auch nur eines Blickes und ich war irgendwie froh darüber, dass er nicht vorhatte, zu der nächsten Schönheit in diesem Raum zu rennen und sie nach ihrer Nummer zu fragen.

Überall sah ich Haute-Couture-Kleider aus Seide und Tüll und fühlte mich plötzlich nicht mehr so hübsch wie im Auto. Ich konnte mir denken, was in den Köpfen der Geschäftsfrauen und Männern vorging. Da ist das Mädchen das nicht spricht. Ich glaubte sogar, jemanden genau diese Worte flüstern zu hören. Ich legte das antrainierte, charmante Lächeln auf, das ich sogar im Schlaf konnte. Evan neben mir bemühte sich nicht, freundlich auszusehen. Das sollte er auch nicht. Er musste bedrohlich wirken. Und das hatte er definitiv drauf. Nicht nur einmal hatte er mich eingeschüchtert, und dass ich ihm gerade einmal bis zur Schulter reichte, machte es nicht besser. Ich musste neben ihm genauso aussehen, wie mich andere Leute auch beschrieben. Klein und hilflos. Aber das war ich nicht und ich hasste es, dass das niemand verstand.

Der Kronleuchter an der Decke war noch größer als Zuhause und warf ein Licht auf das Buffet, das mich förmlich anlächelte. Lydia Parker, eine Frau mit der meine Tante schon seit Jahren Geschäfte machte, kam geradewegs auf mich zu und ich befreite mich hastig aus Evans Arm.

"Elenor, wie schön dich zu sehen." Ihr Lächeln war so unecht, dass mir erneut schlecht wurde. Ich konnte sie nicht ausstehen, weil ich genau wusste, was sie hinter meinem Rücken sagte. Freundlich nickte ich ihr zu. Später würde ich meiner Tante mit reuevollem Blick erklären, dass ich meine Schreibutensilien vergessen hatte. Sie glaubte mir diese Lüge schon lange nicht mehr, zwang mich aber auch nicht dazu, mich mit ihren Geschäftspartnern zu unterhalten. Ich konnte ihr nicht im Geringsten erklären, wie sehr mich die abschätzigen Blicke verunsicherten, wenn ich mit Blatt und Papier kommunizierte. Wenigstens hier wollte ich es vermeiden. Hier fühlte ich mich auch ohne dies Blicke unwohl genug.

"Du siehst echt toll aus." Ich wies auf ihr Kleid, dass beinahe den gleichen Rotton wie meines hatte und zeigte einen Daumen nach oben. "Du sprichst immer noch nicht?", gespielt mitleidig tätschelte sie mir die Schulter, als wäre ich ein Kind, das gerade sein Eis fallen gelassen hatte. Ich wusste nicht warum, aber Evan rückte in diesem Moment einen Schritt nach vorne und reichte Lydia seine Hand.

"Guten Abend, ich bin Evan Thomson." Geschmeichelt nahm sie seine Hand entgegen und zischte kurz auf, als er ihr etwas zu fest die Hand schüttelte. "Lydia Parker", brachte sie unter zusammengebissenen Zähnen hervor und versuchte sich verzweifelt aus Evans Hand zu befreien. Ich unterdrückte mir ein Lachen und grinste nur, als sie es schaffte und sich mit schnellen Schritten auf zu meiner Tante machte, die gerade eingetroffen war.

Evan wollte schon gehen, um sich ein Glas Wasser zu holen, doch ich hielt ihn am Arm zurück. Sein Blick traf meinen und ich formte mit meinem Mund das Wort Danke. Ein ehrliches Lächeln, oder wohl eher Grinsen, legte sich auf seine Lippen und ich war froh, dass er endlich nicht mehr so aussah, als würde ihn diese Veranstaltung mehr quälen als mich. "Das ist doch mein Job, oder?" Er machte dennoch eine halbe Verbeugung und kam einen Schritt näher. "Sie sehen heute Abend übrigens sehr hübsch aus.", wisperte er in mein Ohr und verschaffte mir damit eine Gänsehaut.

Revenge - Für das Licht in der Dunkelheit Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt