Kapitel 40

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Elenor

"Komm mein Schatz, wir gehen ein wenig raus in den Garten." Freudig hüpfte ich auf, nahm meine Mutter bei der Hand und folgte ihr aus meinen Zimmer, das ich seit gestern nicht mehr verlassen hatte.

"Mrs Wesley, soll ich Ihnen einen Bodyguard rufen?" Meine Mutter schüttelte dankbar den Kopf. "Vielen Dank, Rodger, das wird nicht nötig sein, wir gehen nur ein wenig in den Garten." Sie trat einen Schritt näher an Rodger heran und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Sie wollte, dass er Dad anrief.
"Darf ich auch mit Dad reden?" Sie strich mir zärtlich über den Kopf.
"Ein anderes Mal mein Schatz." Enttäuscht spielte ich mit dem Saum meines rosa Kleides, folgte ihr jedoch schweigend und ohne einen großen Aufstand zu machen in den Garten. Es war Frühling und die Blumen blühten wie noch nie in dem großen Vorgarten. Es war ein Anblick, der jedem kleinen Mädchen gefalle würde, dass gerne Blumenkränze bastelte. Stolz pflückte ich ein paar der Blumen und hielt sie meiner Mutter unter die Nase. Ihre wunderschönen braunen Locken verfingen sich dabei so sehr, dass die kleine Blume in ihren Haare stecken blieb und ich mich unterhaltener fühlte als jemals zuvor. Verzweifelt versuchte sie sie aus ihrem Haar zu befreien, doch erst ich, mit meinen kleinen Fingern, schaffte es.
"Schau, deswegen ist es so wichtig, immer die Ruhe zu bewahren", sagte sie, nahm meine Hand und trat durch das große Tor.

"Wann kommt er wieder?", fragte ich vorsichtig, im Wissen darin, dass meine Mutter immer traurig wurde, nachdem ich sie über Dad ausfragte. "Schon bald, er muss noch einiges erledigen, aber danach hat er nur Zeit für uns." Sie kniete sich nieder, strich mir sanft über die Wange und umschloss die Kette mit ihren Fingern. "Wir kommen schon zu zweit zurecht, oder? Wir sind Powerfrauen", rief sie und entlockte mir damit ein Lächeln. "Na komm schon", forderte sie mich auf, meine Hand auf ihre zu legen.

Es war erschreckend, wie aus dem nichts ein Schatten über uns legte. Ein Mann, mit schwarzem Hoodie und der Kapuze tief ins Gesicht gezogen, stand hinter meiner Mutter. Er sah aus wie ein Riese im Gegensatz zu mir. "Mom", sagte ich ängstlich, versuchte mich an ihren Schultern festzuhalten, doch sie sprang auf, zog mich hinter sich und trat einen Schritt zurück. "Was willst du hier."
"Du weißt was ich getan habe. Du darfst Todd nichts davon erzählen."

"Ich muss es ihm erzählen. Sonst stirbt ein unschuldiger Mann." Es war die Hysterie in ihrer Stimme, die mich beunruhigte. "Und jetzt verschwinde. Bitte."
"Das kann ich nicht zulassen." Seine Stimme bereitete mir Gänsehaut. Der Gegenstand in der Hand des Mannes glänzte in der Sonne, fest umgriffen, schubste er mich mit der anderen Hand hinter meiner Mutter zu Boden. Schmerzhaft kam ich mit dem Gesicht auf, tastete nach der Schramme an meiner Nase und spürte, wie mir eine heiße träne die Wange hinunterlief. Seine Kapuze rutschte dabei nach oben. Seine dunklen Augen würde ich nie wieder vergessen können, die harten Gesichtszüge. Er stach zu und das Messer blieb in der Brust meiner Mutter stecken, ehe er es herauszog und sie gefolgt von meinem unendlich schmerzvollen Schrei zu Boden glitt. Ich konnte sehen, wie sie die Hand nach mir ausstreckte, doch es waren nur noch leblose Augen die nach mir schauten. Ich schluchzte, unfähig mich zu bewegen, und der Mann rannte. Ich verfolgte ihn mit meinem Blick, solange, bis mich die Dunkelheit einholte.

"Er ist es", krächzte ich erneut. Dieser Mann auf dem Bild hatte meine Mutter getötet. Diese Augen, diese Gesichtszüge, ich kannte sie, konnte sie endlich zuordnen. Die anderen verstanden nicht, was ich damit ausdrücken wollte. Hastig und mit bebenden Fingern tastete ich meinen ganzen Körper nach meinem Handy ab. Es fiel mir aus der Hosentasche und ich bückte mich und versuchte es verzweifelt zu greifen, doch es rutschte mir immer wird aus den Fingern. Ich konnte mich erinnern. Große, starke Hände griffen nach meinem Arm und zogen mich samt meinem Handy wieder auf die Beine. Evan schaute mich an. War es Sorge, die ich erkennen konnte? Er strich mir über den Rücken und ließ mich nicht los. Wie eine Stütze bot er mir Halt, als ich sie am meisten brauchte.

Ich tippte und verließ mich darauf, dass Evan nicht loslassen würde. Immer wieder verschrieb ich mich und auch den Satz, den sie zu sehen bekamen, war nicht perfekt.
"Dieser Mann neben meinem Vater hat meine Mutter getötet."
Es war die Stille, die mir Angst machte. "Unmöglich", raunte Evan. "Unmöglich", wiederholte er, ohne mich anzusehen. "Evan", versuchte es Thea, doch er hielt sie auf, indem er die Hand nach ihr ausstreckte und sie sanft, doch bestimmt, an der Schulter festhielt. "Du musst dich irren." Ich schüttelte den Kopf. Das war nicht möglich. Warum glaubte er mir nicht.? Es konnte ihm doch gleichgültig sein, wer der Mann war. Demnach schien es jedoch nicht. Evan war völlig aufgelöst und als er mich unsanft an den Schultern packte, mich einmal durchschüttelte, war ich mir sicher, dass irgendetwas nicht stimmen konnte. "Er hat sie nicht umgebracht. Mein Vater hat deine Mutter nicht umgebracht. Das macht gar keinen Sinn."

Sein... Jetzt sah ich es. Die Ähnlichkeit, die Gesichtszüge, er sah seinem Vater mehr als nur ähnlich. Und da war sie wieder. Die Angst.

Eine Träne, die nicht mehr für Bedauern und Angst hätte sein können, floss meine Wange hinunter und tropfte auf Evans Hand, die meine Schulter immer noch fest im Griff hatte. Das Entsetzen in seinem Gesicht war schrecklich. Doch ich konnte nichts anderes empfinden, nicht nachdem er mich so sehr an seinen Vater erinnerte. Ich wollte ihm nicht wehtun. Auch nach allem was er mir angetan hatte, hatte ich das nicht gewollt. Ich wollte nicht, dass es sein Vater war. Ich wollte es nicht, weil ich immer noch in Evan verliebt war. Ja, ich spürte es. Jedes Mal, wenn er mich ansah. Doch ich wusste nicht mehr, was ich empfinden sollte. Es war wie, als gäbe es kein Gefühl mehr, welches zu ihm passte. Ich konnte ihn nicht lieben. Ich durfte nicht. Und der Schmerz in seinem Blick war dennoch so unerträglich. "Evan. Dein Vater war nicht immer der netteste Mann. Ich will nichts behaupten, aber es wäre ein Motiv, warum Wesley deine Eltern umgebracht haben könnte."

Endlich ließ Evan von mir ab. "Das glaubst du nicht wirklich."
"Glaubst du es denn?" Theas Gegenfrage warf Evan nicht aus der Bahn. Er schwieg. "Die Ermordung von Elenors Mutter ist genau sieben Jahre her. Er hat schon immer mit dir trainiert, aber ich kann mich genau daran erinnern, dass es ab einem bestimmten Punkt nicht mehr nur ums Kämpfen ging. Nein, er hat dir beigebracht, wie man schießt. Evan, wir müssen in Betracht ziehen, dass es stimmt, was Elenor sagt. Sie erinnert sich daran, deinen Vater gesehen zu haben."

"Elenor war ein Kind."
"Das was sie gesehen hat sieht nicht jedes Kind, Evan."
Er war ihm klar. Evan kam auf mich zu, meine Beine zitterten und ich konnte mich nicht kontrollieren. Als er seinen Arm nach mir ausstreckte, wich ich zurück.

"Denkst du, ich würde dir wehtun?", fragte er verletzt. Es war zu viel, alles war zu viel. Tränen liefen ununterbrochen meine Wange hinunter, unfähig auch nur ein Wort zu sagen. Ich war wieder gefangen in meinem Schweigen und erfüllt von Angst und Schrecken. Ich konnte sehen, wie Evans Augen sich mit Tränen füllten.
"Mein Vater war kein Mörder. Er kann keiner gewesen sein. Er war nicht immer der beste Vater, aber er war kein verdammter Mörder, der die Mutter eines kleinen Mädchens umgebracht hat!" Ich konnte mir vorstellen was er gerade empfand, doch ich war zu erschöpft. Ich wollte ihn in den Arm nehmen, aber da war diese Angst. "Er war kein Mörder!", brüllte Evan. Ich zuckte zusammen und Evan, der sich nicht länger kontrollieren konnte, warf die Vase vom Tisch und erstarrte im gleichen Moment, als sie in tausend Teile zersplitterte. Ich hielt mir die Hände vors Gesicht, wollte keine Splitter abbekommen, aber der Schmerz war trotzdem da. Und zum ersten Mal schwieg Evan mit mir.

Revenge - Für das Licht in der Dunkelheit Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt