Kapitel 14

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Evan

Mir war von der ersten Sekunde klar, dass es Elenor war, die dort draußen im Flur stand und auf eigene Faust versuchte den Eindringling – mich – zu schnappen. Sie war so schrecklich naiv. Glaubte sie wirklich gegen einen Einbrecher anzukommen? Das konnte unmöglich ihr Ernst sein. Ich wollte ihr am liebsten eine Lektion dafür erteilen, dass sie so unvorsichtig war, aber der Wunsch nicht aufzufliegen, war wohl doch größer.

Ich öffnete die Tür des Büros ganz langsam und spähte durch den Spalt. In der Dunkelheit konnte ich nur eine zierliche Silhouette auf dem Gang erkennen und schloss damit Mrs Wesleys Bodyguard aus. Ihre zackigen Bewegungen kamen aus Angst. Sie schaute sich wie verrückt um und als sie mir den Rücken zukehrte, erkannte ich meine wahrscheinlich einzige Chance. Schneller als sie sich auch nur bewegen konnte, packte ich sie und presste ihr eine Hand auf den Mund, damit sie nicht losschrie und alle aufweckte.

Ihr Rücken war an meine Brust gepresst und ich hoffte, dass sie meinem schnellen Herzschlag keine Beachtung schenkte. Ihr ganzer Körper bebte und ihre zu Anfang starre, erschrockene Haltung, wechselte in panische, zappelnde Bewegungen. Mein Griff verstärkte sich nur noch mehr und nahm ihr jede Fluchtmöglichkeit. Ich spürte wie etwas Warmes auf meine Hand tropfte. Es war eine Träne. Ihre Träne. Sie verkrampfte sich in meinen Armen, zitterte und sackte in der nächsten Sekunde in sich zusammen.

Dank meinem festen Griff, landete sie nicht geradewegs auf dem Boden. Ich tastete nach ihrem Puls nur um sicher zu gehen. Ihre Haut fühlte sich warm unter meinen Fingern an und ein Gefühl, das sich wie Mitgefühl anfühlte, versuchte ich vergebens abzuschütteln. Es war ihre Schuld. Sie hätte nicht herumschnüffeln dürfen. Aber war es nicht meine Schuld, dass sie eine Panikattacke überwältigt hatte? Aber was hätte ich schon anderes tun sollen?

Ich griff mit der anderen Hand unter ihre Kniekehlen und hob sie hoch. Sie war federleicht. Gemeinsam mit ihr wandelte ich durch die Gänge und stieß ihre Zimmertür mit meinem Fuß auf. Ich legte sie auf dem Bett ab und wollte sie gerade zudecken, als ich ihr hochgerutschtes T-Shirt entdeckte, der einen Streifen ihrer nackten Haut freigab. Es war nur ein Streifen und trotzdem war es eine verlockende Einladung sie zu berühren. Ich verbat es mir selbst. Ich würde sie nicht betatschen. Ihr Gesichtsausdruck war weich und ich glaubte, dass mir zum ersten Mal auffiel, wie hübsch sie eigentlich war. Volle Lippen. Eine kleine Narbe die ihre Nase nicht perfekt machte, aber ihrem Gesicht nicht die gegebene Schönheit nahm und weiche Gesichtskonturen.

Rasch griff ich nach der Decke und zog sie über ihren Körper. Ich durfte nicht so über sie denken. Mein Verlangen war völlig fehl am Platz. Sie war die Tochter eines Mörders. Die Tochter des Mörders meiner Eltern. Auch wenn sie nie zur Waffe gegriffen hatte, konnte man nie wissen. Steckte nicht in allen von uns etwas von unseren Eltern? Das, was sie uns beibringen? Wer konnte mir schon sagen, mit wem ich es dort vor mir zu tun hatte? Ich schaute mich nicht noch einmal um, sondern verschwand nach draußen auf den Balkon.

Elenor

Meine Schläfe pochte wie wild. Ich schlug die Decke beiseite und fuhr mit kreisenden Bewegungen über meine Schläfe. Was war gestern Nacht passiert? Ich erinnerte mich daran, dass ich Geräusche gehört hatte, als ich aus der Küche mit einem Glas Wasser gelaufen war. Ich wollte erst gar nicht nachschauen, doch so dämlich wie ich war, wollte ich meine Feigheit überwinden.

Ich erinnerte mich, wie ich vor Schreck das Glas fallen gelassen hatte und dann – wie von der Tarantel gestochen sprang ich auf. Ein Mann hatte mich angegriffen und ich war vor Panik einfach umgekippt. Aber wie war ich dann in meinem Zimmer gelandet? Unmöglich hatte er mich hierhergebracht. Hatte mich Dominic etwa bewusstlos auf dem Boden gefunden? Nein, er hätte sofort einen Krankenwagen gerufen. Angeekelt fuhr ich mir über das Gesicht und erinnerte mich noch ganz genau daran, wie mir dieser Mann seine große Hand auf den Mund gepresst hatte.

Ich vernahm die aufgebrachte Stimme meiner Tante von draußen. Sie schimpfte mit irgendjemandem. Ich griff nach einer Strickjacke und huschte nach draußen. Je näher ich dem Büro meiner Tante kam, desto lauter wurde ihre Stimme. "Wie konnte das nur passieren?"
"Ich weiß es nicht. Ich habe wie jeden Abend meine Runde gemacht. Dort war niemand." Es war Dominic der versuchte, seinen Job zu retten.

Die Tür zum Büro stand einladend offen und ich schlug mir die Hand vor den Mund, als ich das Chaos sah. Der Safe, eine Schublade und einige Mappen lagen auf dem Boden. Zwei Polizisten in Uniform schauten sich genauer um und versuchten vergeblich meine aufgebrachte Tante zu beruhigen. "Elenor", rief sie, als sie mich entdeckte. Sie nahm mich sofort in den Arm, und obwohl ich immer noch sauer war, wollte ich sie in diesem Moment nicht von mir stoßen.

"Es scheint so, als wäre der Einbrecher nach ihrem Geld her gewesen. Da er ihren Safe aber nicht öffnen konnte, müssen sie sich keine Sorgen machen." Das Geld war meiner Tante egal. Er hätte alles nehmen können, nur nicht ihre Unterlagen. Diese waren Überlebenswichtig für sie. Manchmal glaubte ich sogar, sie waren ihr wichtiger als ich.

"Ich verstehe nicht, wie er überhaupt reinkommen konnte. Die Alarmanlage war heute Morgen noch an", erklärte Dominic. Meine Tante warf einen Blick auf mich und ich wusste was mir blühte. Es war meine Schuld. "Hast du dein Fenster offengelassen, Elenor?" Mit einem leichten Nicken bestätigte ich ihre Vermutung.
"Wie oft habe ich dir schon gesagt, du sollst es über die Nacht geschlossen lassen? Wie oft Elenor?" Ihre Vorwürfe waren berechtigt und um zu diskutieren bräuchte ich einen Stift und Papier. Keines von beidem hatte ich bei mir. Ich wollte ihr erzählen, dass ich mich wie in einem Käfig fühlte, wenn das Fenster zu war, doch ich konnte nicht.

Nur der Gedanke daran, dass ein völlig Fremder durch mein Fenster geklettert war, verursachte eine Gänsehaut auf meinem Körper. "Ist es für Sie in Ordnung, wenn wir uns Ihr Zimmer anschauen?", fragte mich einer der Polizisten und ich nickte. Es war mir unangenehm, ihnen meinen wohl privatesten Raum zu zeigen, aber es war auch meine Schuld.

Sie kontrollierten das Fenster besonders lange und bestätigten, dass es durchaus möglich war, dass der Einbrecher von meinem Zimmer aus in das Haus gelangen war. Mein Blick fiel auf meine Geldbüchse, in die ich immer das Geld legte, das nach einem Einkauf übrigblieb. Sie war leer. Geld. Der Einbrecher war also wirklich hinter dem Geld her gewesen. Das konnte meine Tante ja nur beruhigen.
Die Polizisten versprachen, später noch Spezialisten kommen zu lassen, die sich um die Spuren kümmern würden. Mit einem Handschütteln verabschiedeten wir uns.

Es klingelte und Rodger eilte zur Tür, um diese zu öffnen. Ein ziemlich verwirrter Evan kam uns entgegen, der den beiden Polizisten hinterherschaute. Er trug wieder einen Anzug, der ihm ausgesprochen gut stand. "Was ist denn hier los?" Meine Tante klärte ihn über das Geschehen auf und mir entging nicht, wie sein Blick immer wieder zu mir huschte. "Entschuldigen Sie, dass ich nicht da war, um Ihre Nichte zu beschützen."
"Ich habe Ihnen freigegeben, also ist es ja wohl nicht ihre Schuld", gab meine Tante nicht ganz so freundlich zurück, wie es vielleicht angemessen gewesen wäre.

Rodger kam zurück mit einem Tuch, mit dem sich meine Tante erst einmal ihre Stirn abtupfte. Sie war viel zu aufgebracht um zu realisieren, wie aufgewühlt ich eigentlich war. Ich war in den Armen eines Einbrechers bewusstlos geworden und hatte keine Ahnung, wie ich zurück in mein Zimmer gekommen war. Wenn das mal nicht ein Grund zur Beunruhigung war. "Soll ich die Gala für heute Abend absagen?", fragte Rodger, doch sie schüttelte nur mit dem Kopf. "Nein. Auf keinen Fall. Es werden wichtige Leute heute Abend da sein. Ich kann keinen schlechten Ruf riskieren." Natürlich war sie viel zu stolz, um abzusagen. Niemals würde sie sich einen Fehler erlauben. Leider erlaubte sie auch mir keinen. Über mein offenes Fenster würde sie mir noch wochenlang Vorwürfe machen.

"Mr Thomson, auch wenn uns die Polizei Entwarnung gegeben hat, erwarte ich, dass Sie heute ganz besonders auf Elenor aufpassen."
Evans Haltung ähnelte der eines Soldaten, der gerade einen Befehl entgegengenommen hatte. "Sie können sich auf mich verlassen."

Revenge - Für das Licht in der Dunkelheit Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt