Kapitel 10

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Elenor

Meine Nervosität stieg mit jedem Schritt den ich weiter in das Klassenzimmer machte. Meine Klassenkameraden waren zu sehr untereinander beschäftigt, um mich überhaupt wahrzunehmen. Vielleicht war das auch besser so. Ich wollte Kontakte knüpfen, aber ich wusste auch, dass es nicht leicht werden würde. Ich musste meiner Tante beweisen, dass ich das konnte – auch ohne Stimme.

Ich ließ meinen Blick durch das Klassenzimmer wandern. Es war einfach unglaublich. Ich hatte diese Räume sonst nur in Filmen gesehen. Ich zählte die Schüler. Es waren nur neun- viel weniger als in den High-Schoolfilmen, jedoch verständlich, da das hier eine Privatschule war, für die meine Tante einiges an Geld hinblätterte. Mein Wunsch, auf eine öffentliche Schule zu gehen, war ihr dann doch zu weit gegangen und ich hatte mich mit dem Bestmöglichen abgefunden, damit sie es sich nicht doch anders überlegte.

Ein Mädchen hatte mich entdeckt und machte auch ihre Freunde auf mich aufmerksam. Ich ließ mich auf den noch freien Platz sinken und versuchte den Blicken auszuweichen. "Ist das nicht das Mädchen, das mit diesem heißen Bodyguard gekommen ist?", hörte ich eine weibliche Stimme flüstern. Sie sprachen von Evan, der es wahrscheinlich kaum erwarten konnte, mich endlich loszuwerden. Ich wurde nicht wirklich schlau aus ihm. Manchmal war er kalt und unnahbar, und dann, ganz plötzlich wieder freundlich und legte mir seine Hand auf den Rücken. Ich musste zugeben, seine plötzliche Berührung hatte mich überrascht.

"Ja, der sieht echt gut aus. Ob er wohl eine Freundin hat?" Es war nicht wirklich überraschend, dass das Mädchen plötzlich vor mir stand und auf mich hinabschaute, als wäre mir etwas vom Frühstück im Gesicht hängengeblieben. "Du musst neu sein. Ich bin Emily." Erwartungsvoll blickte sie mir entgegen und wirkte verwirrt, als ich mein Notizheft aufschlug.
Ich bin Elenor. Schön dich kennenzulernen.
Ein ersticktes Lachen kam ihr über die Lippen. Jetzt war ich diejenige, die verwirrt aussah. Hatte ich etwas falsch gemacht? "Hat es dir die Sprache verschlagen?" Sie schien meine Stummheit für einen schlechten Scherz zu halten.

Ich schrieb weiter.
Ich bin stumm.
Ihr Lachen verstummte urplötzlich. "Das... das... entschuldige." Sie verschwand so schnell wieder auf ihrem Platz, dass ich keine Chance hatte, noch etwas auf mein Heft zu schreiben. Etwas enttäuscht schaute ich mich nach ihr um. Warum hatte sie sofort die Flucht ergriffen? War es, weil sie sich schlecht wegen des Scherzes fühlte, oder doch, weil sie mit jemandem wie mir nichts zu tun haben wollte? Emily hielt den Kopf gesenkt und ich blickte in ein unverschämtes Grinsen. "Nimm es ihr nicht übel", rief mir der blonde Junge zu und verkniff sich ein Lachen. Was fand er denn so witzig?

Ich bemerkte schnell, dass die letzten Jahre vollkommen isoliert zu verbringen, ein großer Fehler war. Ich fühlte mich wie ein Alien unter den quatschenden Mädchen und den scherzenden Jungs. Ich war eigentlich niemand, der sich schnell unterkriegen ließ, aber in diesem Moment bevorzugte ich es, nicht weiter auf den Kommentar des Jungen einzugehen.

Ein Lehrer in Hemd und mit Brille betrat den Raum pünktlich und legte seine Bücher auf dem Pult ab. Er schaute sich um, und lächelte kurz, als er mich entdeckte. "Wir haben eine neue Schülerin. Elenor." Da meine Tante dem Rektor schon erklärt hatte, dass ich nicht sprach, kam ich ungeschoren an einer Vorstellung, die definitiv ein schlechtes Ende genommen hätte, vorbei. "Ich bin Mr. Scott", stellte er sich vor und fing sofort an, mit dem Unterricht fortzufahren. Zum ersten Mal war ich dankbar für meinen strengen Lehrer, der mich Zuhause unterrichtet hatte. Obwohl Mathe nicht das Fach war, in dem ich glänzen konnte, kam ich gut mit. Langsam aber sicher stieg meine Laune wieder an und ich hatte sogar Spaß beim Lösen der Aufgaben – jedenfalls bis ich einer Rechnung nicht folgen konnte, und dazu gezwungen war, mit meinem Notizheft zu kommunizieren. Es war mir bisher noch nie peinlich gewesen, aber bei dem Blick den mir Mr. Scott zuwarf, fühlte ich mich unwohler als jemals gedacht dabei. Auch wenn ich es nach seiner Erklärung immer noch nicht ganz verstanden hatte, nickte ich einfach, damit er endlich weiterging.

Revenge - Für das Licht in der Dunkelheit Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt