Elenor öffnete mir schon geschminkt und fertig angezogen die Tür. Ich konnte ihr die Nervosität ansehen. Ich erinnerte mich daran, wie es mir in den Fingerspitzen gekribbelt hatte, als ich mich das erste Mal gegen den Willen meines Vaters rausgeschlichen hatte. Er hatte es nie erfahren. "Bereit?" Ich wartete nicht auf ihre Antwort, wusste, dass sie nicken würde. Mein Blick lag wie von selbst wieder auf dem eingerahmten Bild. Rendel hatte es verdient, im Gefängnis zu schmoren, aber seinen Tod wünschte ich keinem. Ich wollte nicht, dass es so kam, aber die Straßen waren sicherer ohne ihn. Wenn ich Elenor anschaute, war es nicht schwer zu erkennen, dass sie nicht wirklich wusste wer er war und was er getan hatte. Ob das bei ihrem Vater genauso war, musste ich wohl noch herausfinden.
Seit unserem Gespräch im Badezimmer, wirkte sie irgendwie anders. Sie beobachtete mich genauer, beinahe so als wüsste sie etwas. Aber das war unmöglich. Auch ihr plötzliches Zurückweichen beim Frühstück war mir nicht entgangen. Irgendetwas beschäftigte sie, doch ich hatte keine Ahnung was. Ich griff nach ihrem Rucksack und reichte ihn ihr. Für einen kurzen Moment berührten sich unsere Hände, doch sie zuckte nicht zurück.
"Ich verschaffe dir zwei Stunden, danach gehe ich zu deiner Tante und erzähle ihr, dass du nicht da bist." Unsicher und plötzlich doch zögernd, blickte sie zu mir auf. Ihr war von Anfang an klar, dass ich ihr zwar helfen, aber nicht meinen Job verlieren wollte. Aber ihre Tante musste es so oder so erfahren, wenn Elenor wirklich wollte, dass sie es endlich verstand. "Sicher, dass du das machen willst? Noch bist du nicht aus dem Haus." Ich wettete, sie würde einen Rückzieher machen, doch ich täuschte mich. Sie nickte, die Lippen fest aufeinandergepresst.
"Dominic schwirrt hier bestimmt irgendwo herum. Du wirst aus dem Badefenster klettern", erklärte ich, als wir unten ankamen. "Wenn deine Tante kommt und frägt, warum du nicht beim Frühstück bist, sage ich ihr, dass dir schlecht ist und Tina bei dir ist." Ich spürte Elenor dicht hinter mir und konnte auch spüren, wie sich ihre Anspannung auf mich übertrug. Zum Glück hatte ich Tina einweihen dürfen, die Mrs Wesley davon abhalten würde, nach Elenor zu sehen. Jedenfalls so lange, bis ich ins Spiel kam, und meinem Job nachgehen würde.
Im Badezimmer angekommen, richtete sich das brünette Mädchen vor mir, noch einmal den Pferdeschwanz und strich sich die Bluse glatt. Sie sah anders aus als sonst. Erwachsener und endlich bereit, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Und ich wusste, wie schwer das sein konnte, wenn deine Familie etwas ganz Anderes von dir verlangte. Ich hatte mehr für sie übrig als Hass. Ja, ich bewunderte sie für ihren Mut und hasste sie für ihren Vater. Und das gab eine Mischung aus die Gefühlen, die nicht nur verwirrend, sondern auch kräftezerrend waren.
"Hast du Geld für ein Taxi?" Elenor nickte und öffnete das Fenster. Es war nicht allzu hoch. Mit einem kleinen Sprung war sie schon unten und schaute erneut zu mir hoch, – ich lehnte mich aus dem Fenster – kramte einen Zettel aus ihrer Tasche und hielt in hoch. Danke, war darauf geschrieben und entlockte mir ein leichtes Schmunzeln.
Es verlief alles nach Plan. Mrs Wesley kaufte mir die Geschichte mit der kranken Elenor ab und hielt sich auf Tinas Bitte, dass Elenor bestimmt noch sauer sei, zurück. Ebenfalls wie geplant, bat mich Tina in Anwesenheit von Mrs Wesley darum nach Elenor zusehen, da sie die Hände voll zu tun hatte. Meine gespielte Empörung über Elenors Verschwinden, fiel Mrs Wesley vor Wut erst gar nicht auf. "Das glaube ich nicht! Sie ist so undankbar!"
"Es gibt bestimmt einen Grund", versuchte Tina Elenor zu verteidigen, doch Mrs Wesley kochte vor Wut. "Dominic, sag Louis Bescheid! Wir fahren zur Schule!" Dominic gehorchte ihr wie ein Schoßhund und verschwand sofort draußen. "Darf ich Sie begleiten?" Mrs Wesley griff nach einer bestimmt ein Vermögen kostenden Tasche. "Wenn Sie unbedingt wollen", erwiderte sie harsch, noch immer wütend.Louis blickte mir dankend entgegen, als er realisierte, dass er nicht mit Dominic und Mrs Wesley allein im Auto sitzen musste. Mrs Wesley ließ keine Minute verstreichen, ohne zu wiederholen, wie enttäuscht sie doch war und dass Elenor ein blaues Wunder erleben konnte. In mir brodelte ein Verlangen, ihr an den Kopf zu werfen, dass sie nicht wusste wie furchtbar es war, wenn man eingesperrt war. Eingesperrt zwischen Verpflichtung und Verzweiflung. Elenor und ich waren uns in diesem Punkt ähnlicher als gedacht, und es fiel mir zum ersten Mal wirklich auf. Ich fühlte mich so, als müsste ich nicht nur sie, sondern auch mich verteidigen. Trotzdem verließ kein Wort meinen Mund.
Louis hatte noch nicht einmal richtig angehalten, da sprang Karen auch schon aus dem Wagen. Dominic und ich folgten ihr mit schnellen Schritten. Er vermutlich, weil er nicht verpassen wollte, wie Mrs Wesley Elenor mit sich zerrte und ich, weil ich Schlimmeres verhindern wollte. Wir stürmten in das Sekretariat ohne anzuklopfen. Mrs Wesley verlangte unfreundlich nach dem Stundenplan ihrer Nichte. "Sie sind gerade draußen auf dem Hof hinter der Schule. Dort findet meist der Kunstunterricht statt", teilte uns die blonde Frau mittleren Alters mit. Und schon hetzten wir weiter. Einige junge Mädchen erfreuten sich an dem Anblick von Dominic und mir und tuschelten bis wir nach draußen auf den Hof verschwanden.
Erst konnte ich Elenor zwischen der kleinen Horde Jugendlicher nicht erkennen, aber dann fiel sie mir ins Auge. Und ich lächelte unbewusst. Mrs Wesley verschlug es die Sprache, als sie Elenor entdeckte, auf dem Gras sitzend, um sie herum eine kleine Gruppe von Mädchen und lachend. Elenors Lachen war echt. So echt, dass die eigentlich so zähe Frau neben mir zusammenzuckte. Elenors Blick schweifte zu uns. Blitzschnell stand sie auf, blickte ihrer Tante entgegen. Die Frau, die plötzlich Tränen in den Augen hatte. Elenors Blick huschte zu mir und ich zwinkerte ihr zu. Es war alles gut. Das schien auch sie zu bemerken und kam auf uns zu. Vor ihrer Tante blieb sie stehen, die sich räusperte. "Du darfst weiter zur Schule gehen. Trotzdem war dein Verhalten falsch. Du hast zwei Wochen Hausarrest." Elenors Lächeln wurde breiter und sie fiel ihrer Tante um den Hals. Ein Stich durchfuhr meine Brust. Da war sie wieder, diese schreckliche Wut. Was würde ich wohl dafür geben, um meine Eltern noch einmal in den Arm nehmen zu können?
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Revenge - Für das Licht in der Dunkelheit
Mystery / ThrillerBAND 1 Seine Schwester entführt von dem meist gejagten Verbrecher Amerikas. Seine Eltern vor seinen Augen ermordet. Evan will nur noch eins: Seine Schwester aus den Fängen der Dunkelheit befreien und Rache nehmen. Er hat nur eine Chance. Doch wird e...