Ich fand mich in einem dunklen Raum wieder. Eine Glühbirne baumelte an der Decke und warf ein schwaches Licht auf den Kellerboden. Ich wusste wo ich war. Es war nicht das erste Mal, dass ich diesen Raum vor mir sah. Ein leises Wimmern kam aus einer Ecke und ich erkannte es sofort wieder. Lou. Ich wollte zu ihr rennen, doch ich konnte nicht. Meine Füße waren wie festgeklebt an dem kalten Boden. Ich war barfuß. Es war kalt. Dann ein erneutes Wimmern. "Lou", schrie ich aus voller Kehle. Es erinnerte mich an den Schrei, den ich ausgestoßen hatte, als ich Lou nicht auf ihrem Zimmer hatte vorfinden können.
Eine Tür wurde aufgeschlossen und ein großer Mann trat ein. Ich erkannte ihn wieder. Es war der Mann der meine Mutter erschossen hatte. Wut keimte in mir auf, doch wechselte in pures Entsetzen als ich Lou erkannte. Gefesselt und geknebelt. Ihre Haare waren nass und hingen ihr wirr in das Gesicht. Ihre Arme hingen kraftlos an der Seite. Es war zu grausam. Ich hörte wie sie schluchzte und spürte dann, wie etwas in mir brach. Der Mann machte einen Schritt auf sie zu. Sie versuchte an die Wand zu rutschen, doch er packte sie bevor sie es schaffen konnte. "Fass sie nicht an du Bastard!", knurrte ich, doch er hörte mich nicht. Er packte ihren dürren Arm nur noch fester. Ich spürte einen Kloß tief in meinem Hals. "Letzter Versuch, Süße. War es dein Vater? War er es?" Lou schwieg, doch in mir schrie alles. Er sollte sie loslassen, verdammt. Er sollte ihr nicht so nahekommen. Ich wollte ihn umbringen. So sehr. Er durfte mir nicht auch noch meine Schwester nehmen. Verzweifelt versuchte ich mich aus den unsichtbaren Handschellen zu befreien. 'Du musst sie beschützen.'
Der Mann holte aus. Nein. Mir blieb die Luft weg. Und dann das schreckliche Klatschgeräusch. Ich brüllte. "Ich werde dich umbringen! Ich werde dich in Stücke reißen!" Lou schluchzte erneut. "Es tut mir so leid, Engel. So schrecklich leid." Mein ganzer Körper bebte. Ich wollte ihn dafür büßen lassen. Als ich im nächsten Moment den metallischen Gegenstand in seiner Hand entdeckte, brannten bei mir alle Sicherungen durch. "Nein! Nein!"
Ich schreckte auf. Mein ganzer Körper schmerzte. Mein schweißnasses T-Shirt klebte an meinem Körper und meine Stirn war nicht trockener. Lou. Ich wurde langsam irre. Ich legte eine Hand auf meine Brust. Mein Herz klopfte immer noch wie verrückt. Ich wagte einen Blick auf die Uhr. Es war erst kurz vor vier, doch ich wollte nicht mehr schlafen. Ich musste nur an den schrecklichen Traum denken und schon war ich hellwach. Ich schlug die Decke beiseite, schnappte mir frische Klamotten und trottete zum Bad. Ich schälte mich aus den nassen, nach Schweiß stinkenden Klamotten und stieg in die Dusche.
Ich stellte das Wasser so kalt ein, dass neben der schmerzenden Kälte kein Platz mehr für andere Gedanken war, die ich verzweifelt versuchte aus meinem Kopf zu verbannen. Leider brachte die Kälte nicht ihren erwünschten Effekt mit sich. Das Gesicht des Mannes aus meinem Traum, und was er Lou wohlmöglich antat, schlichen sich immer wieder hinein. Ich dachte nicht darüber nach, dass ich jemanden aufwecken könnte und schlug mit geballter Faust gegen die Wand. Reiß dich zusammen. "Ich kann nicht, Dad. Ich kann es einfach nicht", murmelte ich verzweifelt. Ich wollte ihn niemals enttäuschen und trotzdem hatte ich es so oft getan. Was brachten mir die vielen Partynächte jetzt? Warum hatte ich die Zeit nicht einfach mit Lou verbracht?
Ich schlang mir ein Handtuch um die Hüfte, trocknete meine Haare ab und schlüpfte anschließend in Boxershorts. Zurück in meinem Zimmer, schmiedete ich einen Plan, wie ich möglichst unauffällig Fragen an Elenor stellen konnte. Fragen über ihren Vater. Mein klingelnder Wecker war das Zeichen, dass es Zeit war, mich in Schale zu schmeißen.
Die Sonne warf ein Licht in mein schrecklich eingerichtetes Zimmer und ich nahm mir vor, dass schwarze Jackett auszuziehen, sobald ich Elenor in die Schule gebracht hatte.Ich hatte mich nicht getäuscht, es war ein sehr heißer Tag und die Sonne brannte auf meinem Rücken. Ich eilte die Treppen hinunter und sah schon Mr. Golden, den Chauffeur von dem mir Mrs Wesley berichtet hatte. Er lehnte an dem perfekt geparkten Rolls-Roys und bewegte sich auch nicht, als ich vor ihm zum Stehen kam. "Sie sind der neue Bodyguard von Elenor Wesley?"
"Ja, der bin ich." Ich reichte ihm meine Hand, die er nickend entgegennahm und schüttelte.
"Ich bin Louis."
"Evan."Ich entdeckte Elenor, die mit langsamen Schritten, beinahe verunsichert, auf uns zukam. "Guten Morgen." Ich versuchte meine vermutlich dunklen Augenringe mit einem sanften Lächeln zu kaschieren. Elenor nickte wie immer nur freundlich. Louis hielt ihr die Tür auf und sie stieg ein. Ich joggte einmal um den Wagen und stieg auf der anderen Seite ebenfalls ein. Obwohl zwischen uns noch ein gutes Stück Abstand war, vernahm ich den süßlichen Duft ihres Perfüms. Die Uniform die sie trug und der Pferdeschwanz, ließen sie nur noch jünger wirken, als sie ohnehin schon aussah.
"Sind Sie aufgeregt?" Ihr Kopf schellte zu mir und Louis startete den Wagen. Es war wieder nur ein Nicken ihrerseits zu erkennen. Für einen kurzen Moment glaubte ich, genau diese Sehnsucht in ihren Augen zu sehen, die auch ich immer verspürt hatte. Die Sehnsucht nach einer normalen Schule und vor allem nach einem normalen Leben. Nur einen Moment später sah ich aber wieder in die Augen des Mörders meiner Eltern. Rasch wandte ich meinen Blick von ihr, als könnte sie in meinen Augen das Verlangen sehen, ihren Vater zu töten. "Es wird schon alles gut laufen." Ich war kein Naturtalent darin, andere Menschen aufzubauen oder sie aufzumuntern. Mein Versuch musste sich schrecklich erbärmlich und fehl am Platz anhören, trotzdem hörte und sah ich, wie sie laut ausatmete und die Finger in den Sitz krallte. Die Fahrt über schwieg ich. Ich hatte kein Thema das ich ansprechen wollte. Eigentlich wollte ich gar nicht mit ihr sprechen. Immerhin konnte ich schlecht einfach sagen: "Hey, dein Vater hat meine Eltern umgebracht und meine Schwester entführt. Ich würde ihn gerne töten. Könntest du mir sagen, wo er sich aufhält?"
Wusste sie überhaupt von den Geschäften und Taten ihres Vaters? Unterstützte sie ihn darin? War sie genau so krank? Sie sah viel zu unschuldig für die grausigen Taten ihres Vaters aus, aber steckte nicht in jedem von uns eine dunkle Seite?
Der Wagen kam zum Stehen und Louis öffnete Elenors Tür, um ihr beim Aussteigen zu helfen. Sie fuhr sich noch einmal über den blauen Rock und wartete auf mich. In all den Filmen die ich jemals über Bodyguards gesehen hatte, stand dieser immer direkt hinter dem Mädchen – also tat ich genau das. Einige Menschen hatten sich im Hof versammelt und quasselten mit ihrem Nachbarn. Es war recht amüsant, wie ich immer nur Wortfetzen mitbekam und mir somit einiges zusammenreimte.
Es war nicht überraschend, dass uns fast alle komische Blicke zuwarfen. Nicht jeder kam mit einem persönlichen Beschützer zur Schule. Ich übersah auch nicht die schmachtenden Blicke, die mir einige der Mädchen zuwarfen. Genervt verdrehte ich die Augen und richtete diese wieder auf Elenor. Nervös knetete diese ihre Hände und warf anschließend einen Blick auf den Stundenplan. Sie drehte sich kurz zu mir um und wies mit ihrem Finger auf die erste Stunde. Raum 112. Am liebsten wäre ich einfach gegangen. War es denn wirklich nötig, dass ich sie bis zum Klassenzimmer begleitete? Sollte ich etwa noch mit in ihre Unterrichtsstunde kommen und sie die Zeit über auf meinen Schoß sitzen lassen? Ein Blick zu Louis verriet mir, dass er immer noch einen Blick auf uns warf, und ich, wenn ich diesen Job behalten wollte, dazu gezwungen war, sie zu begleiten.
Gentlemanlike hielt ich ihr die Schultür auf und wir beide traten in den großen Flur. Ich ignorierte weiterhin die seltsamen Blicke, und legte eine Hand auf Elenors Rücken, um sie schneller nach vorne zu drängen. Unter meiner Berührung zuckte sie sofort zusammen und trat einen Schritt vor, um etwas Abstand zwischen uns zu schaffen. Ich verkniff mir jeden Kommentar, der mir gerade durch den Kopf schoss, und lief in ihrem Tempo weiter. Vor Raum 112 schaute sie noch einmal zu mir auf. "Wann haben Sie heute aus?" Sie wies erneut auf ihren Stundeplan. "Okay, warten Sie hier im Gebäude. Ich werde Sie wieder hinausbegleiten." Hastig zückte sie ihren Block und einen Stift und kritzelte etwas auf das Papier. Nicht nötig. Ich schaffe es auch alleine hinaus. Ich schnaubte. "Das bezweifle ich nicht. Trotzdem besteht Ihre Tante darauf." Elenor rollte mit den Augen und verschwand in dem Klassenzimmer. Endlich. Ich konnte endlich anfangen an meinem Plan zu feilen.
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Revenge - Für das Licht in der Dunkelheit
Mystery / ThrillerBAND 1 Seine Schwester entführt von dem meist gejagten Verbrecher Amerikas. Seine Eltern vor seinen Augen ermordet. Evan will nur noch eins: Seine Schwester aus den Fängen der Dunkelheit befreien und Rache nehmen. Er hat nur eine Chance. Doch wird e...