Kapitel 19

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Elenor

Ich wusste doch, dass mir Evans Geruch bekannt vorkam. Ich hatte gerätselt und war auf keine Lösung gekommen. Hatte mir gedacht, er kam mir nur so bekannt vor, weil ich andauernd neben Evan herlief. Doch das war es nicht. Nein. Erst als sich seine Finger um meine Taille schlossen, schoss es mir in den Kopf. Ich erinnerte mich an den Griff des Einbrechers. Und als mich sein Duft dann umhüllte, war es mir klar. Evan war der Einbrecher gewesen. Doch es ergab gar keinen Sinn. Vielleicht doch, wenn er sich nach Reichtum sehnte. Aber bezahlte ihm meine Tante denn nicht genug?

Meine Gedanken kreisten wie wild, um die unterschiedlichen Gründe, warum er es getan haben könnte. Für mich stand eines fest: Ich würde mich von ihm fernhalten. Er schien gefährlicher als ich erahnt hatte. Wer konnte schon wissen, was er eigentlich vorhatte. Ich musste meiner Tante davon erzählen. Andererseits wollte ich es nicht. Ich war immer noch sauer, und ein Teil in mir fand es gerecht, dass sie bestohlen wurde. Aber hatte er nicht auch mir etwas gestohlen? Wegen Evan war ich vor Schreck ohnmächtig geworden. Doch was, wenn ich doch falschlag? Vielleicht war ich schon so irre, dass ich mir alles nur einbildete, verzweifelt nach Antworten suchte, die ich einfach nicht finden konnte.

Ich schlug meinen Laptop auf, und meine Finger flogen nur so über die Tasten. Ich suchte erst nach seinem Namen, doch es gab keinen Treffer. So ein Mist! Hatte meine Tante nicht erzählt, dass er der Beste seiner Ausbildungsgruppe war? Es musste doch wenigstens ein Bild von ihm im Internet geben. Ich durchsuchte jedes soziale Netzwerk nach ihm, doch es wirkte, als hätte es ihn nie gegeben.

Es kribbelte an der Stelle, an der er mich vorhin gepackt und vor einem Sturz bewahrt hatte. Sollte ich mich ekeln? Ich spürte nichts, wenn ich daran dachte, dass er ein Verbrecher sein könnte. Vielleicht, da schon so lange die skurrilsten Gerüchte um meinen Vater kreisten, die nicht ein Fünkchen Wahrheit in sich trugen. Genau deswegen war er verschwunden, hatte mich und meine Tante alleine gelassen. Er war der Grund, warum Evan überhaut hier war. Was sollte ich nur tun? Evan zur Rede stellen konnte ich nicht, und was würde er wohl mit mir tun, wenn er wüsste, dass ich sein Geheimnis kannte. So ein Unsinn, Elenor! Seit wann urteilte ich so schnell? Er hatte für mich gekämpft, dort oben auf dem Dach. Oder war das auch nur alles ein großer Schwindel gewesen?

Es klopfte laut an der Tür und ich zuckte zusammen. Evan. "Dein Lehrer ist da." Es war nur meine Tante, doch ihre Worte machten mich rasend. Ich öffnete nicht. "Elenor Wesley, öffne deine Tür!" Ihre autoritäre Stimme kannte ich wie meine Westentasche. Ich bewegte mich immer noch kein Stück. "Du kannst nicht ewig deine Bildung schleifen lassen." Das hätte sie sich überlegen können, bevor sie Teenager hatte bezahlen und somit bestechen lassen, um mir wehzutun.  "Mr Hutson wartet im Wohnzimmer. Wenn du in fünf Minuten nicht unten bist, hole ich Dominic und er bricht die Tür auf", drohte sie mir.

Ich war enttäuscht. Wie so oft. Mein einziger Wunsch seit Jahren, in eine Schule gehen zu dürfen, war ihr vollkommen egal. Es war schon lange nichts mehr Neues, dass sie nicht viel für meine Wünsche übrighatte. Und ohne meine Stimme, kam ich nicht gegen sie an. Ich konnte sie nicht anschreien, ihr meinen Kummer und meine Enttäuschung nur mit Schluchzern verdeutlichen.
Ich war nicht ihre Tochter, aber ich war dennoch ihre Familie, und genau deswegen schmerzte es umso mehr. Wie oft hatte ich schon mit dem Gedanken gespielt, aus dem Fenster zu klettern und einfach loszurennen? Ganz egal wohin.

Ich wartete wirklich, bis Dominic kam und die Tür aus den Angeln hob. Ich weigerte mich auch, als er in mein Zimmer trat und mich unfreundlich bat, ihm zu folgen. "Ich muss den Anweisungen Ihrer Tante folgen", versuchte er sein Verhalten zu rechtfertigen, aber innerlich wusste ich, dass es ihm großen Spaß bereitete, anderen Menschen das Leben schwer zu machen. Dominic war kein Unschuldslamm. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und schüttelte energisch den Kopf. Ich wollte nicht wieder nachgeben. Ich wollte, dass meine Tante verstand, wie sehr sie mir wehgetan hatte. Ich war kein kleines Mädchen mehr. Ich war alt genug, eigene Entscheidungen zu treffen. Egal ob sie falsch oder richtig waren. Ich wollte verdammt noch mal Fehler machen! Erfahren wie es sich anfühlt, auf eigenen Beinen stehen zu müssen.

Revenge - Für das Licht in der Dunkelheit Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt