Kapitel 43

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Elenor

Reglos saß ich da, während die Fesseln sich fester um meine Handgelenke schnürten. Mein Entführer sagte kein Wort. War es jemand wie Evan, der sich an meinem Vater rächen wollte und sich deshalb an mir vergriff? Ich erschauderte. Die Angst, die geglaubt hatte, besiegt zu haben, war wieder da. Sie war so präsent wie nie und ich hatte Angst, sie würde mir wieder meine Stimme nehmen, die ich erst zurückbekommen hatte.

"Wer seid ihr?", versuchte ich es mit brüchiger Stimme. Mein Hals tat weh, ich fühlte mich eingerostet, wenn es um das Sprechen ging. Die Augenbinde engte mich ein. Ich war orientierungslos. Das einzige, was ich sicher durch das leichte Vibrieren bemerkte, war das wir fuhren. Doch wo brachten sie mich hin? Wollten sich mich umbringen? Nein, sonst hätten sie es schon längst getan, oder? Vielleicht entführten sie mich, um meinen Vater zu erpressen. So viele Möglichkeiten und alles woran ich denken konnte, waren mein schneller Herzschlag und meine schwitzenden Hände. Ein Flüstern ging durch den Innenraum des Wagens. Ich lauschte, doch die Stimmen waren zu leise. "Lassen Sie mich gehen. Bitte", versuchte ich es freundlich. Was versuchte ich eigentlich? Dieser Überfall war wahrscheinlich wochenlang geplant worden. Wer wusste, dass ich auf dem Ball war? Wren? Nein, den hatte ich schon mit einem neuen Mädchen, eng umschlungen tanzen gesehen.

Eine eiskalte Hand streifte mich und ich japste erschrocken auf. Dann ein leises Geräusch. Jemand wählte eine Nummer, doch niemand nahm ab. Komm schon Elenor, sag etwas.

Rette dein Leben. Evan, wo bist du? Mein Bodyguard wusste vielleicht nicht einmal, dass ich weg war. Vielleicht suchte er noch immer nach Dominik. Wie lange fuhren wir jetzt schon? Zehn Minuten? Ich hatte mein Zeitgefühl verloren. Ich war kurz vorm durchdrehen. Ich spürte die Hitze, die sich durch meinen ganzen Körper zog. Mein Kampfgeist war zurück. Ich spürte die Nähe des Mannes. Er saß direkt neben mir. Ich hörte, wie er ein und ausatmete.

Ich holte mit meinem Ellenbogen aus und traf ihn direkt in die Seite. Er stöhnte kurz schmerzerfüllt auf und versuchte dann, meine Taille zu umklammern. Meine Beine schossen nach vorne und ich versuchte mich abzustützen, doch ich bekam keinen Halt unter den Füßen. Ich wollte hier raus. Finger krallten sich um meinen Oberkörper und zogen mich an eine harte Brust. Der Geruch des Aftershaves kam mir bekannt vor, doch nicht so sehr, dass ich es zuordnen konnte. Kurz schreckte ich auf, als seine Hand meine linke Brust streifte und holte dann umso mehr aus. Doch ich war immer noch zu schwach. Der Wagen wurde langsamer, bis wir schließlich hielten. Oh nein. Es war zu spät. Ein kalter Luftzug erfüllte das Wageninnere und ich wurde herausgezerrt. Zierliche Hände packten meine andere Schulter. Es war schrecklich kalt und ich spürte wieder die Angst, die meinen Rücken hinaufkroch, wie Spinnen, die mit ihren langen Beinen über meinen Rücken huschten. Ich hörte wie Äste unter meinen Füßen brachen. Meine Füße schmerzten höllisch in den hohen Schuhen. Und immer wieder blieb mein Kleid an irgendetwas hängen. Ich hörte nicht auf mich zu wehren, aber die Kraft verließ meinen Körper in der Kälte.

Es wurde ein wenig wärmer und der Boden unter meinen Füßen wurde hart. Ich wurde so lange mitgeschleift, bis ich ein hartes Material an meinen Kniekehlen spürte. Ein Stuhl? Im nächsten Moment wurde ich hingesetzt und die Augenbinde von meinen Augen gerissen.

Wer war dieser Mann? Die Augen dunkler als die Nacht und die Haare pechschwarz. "Hallo. Mein Name ist Rider." Ich presste mich mit aller Kraft gegen den Stuhl. Er sah angsteinflößend aus. Ein wahrer Riese.

Hände streckten mir ein Glas Wasser entgegen und ich blickte auf um zu erkenne, wem sie gehörten. "Thea?", wisperte ich erschrocken. Sie kannte diesen Typen. War sie die Fahrerin gewesen? Ich hatte ihr vertraut. Die Lagerhalle in der wir uns befanden, war riesig und wahrscheinlich so abgelegen, dass man auch meine lautesten Schreie nicht hören würde. "Was wollt ihr von mir?"
"Es sind nicht unbedingt wir, Süße", sprach dieser widerliche Kerl und mein Herz setzte für einen Moment aus, als der Mann, dem ich vertraut hatte, genauso gekleidet wie auf dem Ball, die Halle betrat. Evan. Entsetzt stand ich auf, versuchte mich von den Fesseln zu befreien. Hatte er gelogen? Waren alle sein Worte Lügen gewesen? Ein Schmerz, so groß, dass er mich wieder auf den Stuhl zwang, überwältigte mich.

"Sag mal bist du bescheuert Rider? Warum verbindest du ihr die Augen und fesselst sie? Hast du eine Ahnung was sie für eine Angst gehabt haben muss?" Evan war außer sich und ich verstand den Sinn hinter seinen Worten nicht.

"Ich mache keine halben Sachen, Evan!", erklärte dieser Ride seelenruhig. "Wo ist Isaac?", wandte er sich an Thea. "Er sitzt noch an dem Code und Rider war nun mal der Plan B."
Was war das hier? Das alles konnte doch nur ein schlechter Scherz sein.

"Evan?" Ich war den Tränen nahe und das konnte er sehen. "Was soll das hier?"
Er wollte mein Beschützer sein und ließ mich entführen?

"Elenor. Lass mich das bitte erklären." Evan war bei mir und zupfte an den Fesseln. Er warf noch einen wütenden Blick zurück zu Rider, der immer noch reglos und mit den Armen vor der Brust verschränkt, durch die Gegend starrte.

"Das alles gehört zu meinem Plan." Er kniete sich vor mich nieder. Wir beide waren nun auf Augenhöhe und ich konnte den alten Evan in seinen Augen sehen. "Plan?" Ich bekam nicht mehr als einzelne Wörter zustande.

"Das muss jetzt alles sehr verwirrend für dich sein, aber das war mein Plan B. Falls Isaac den Code bis heute nicht geknackt hat. Ich wollte dich nur nicht mit einbeziehen, weil ich wollte, dass es so echt wie möglich wirkt. Nicht für dich, sondern für deinen Vater. Es tut mir leid, der Plan war eigentlich direkt dich im Wagen drüber aufzuklären", knurrte er und ließ Rider dabei nicht aus Augen. "Der hat es wohl ein wenig zu ernst genommen."

"Sorry, ich wusste ja nicht, dass du schon so auf die Kleine stehst." Evans Faust zuckte bedrohlich und ich war immer noch sprachlos.
"Sag mir nicht das du wegen mir jetzt wieder deine Stimme verloren hast?" Für einen kurzen Moment flackerte echte Sorge in seinen Augen auf, doch ich schüttelte den Kopf. "Ich bin sauer." Und wie ich das war. Echt hin oder her, er hätte es mir sagen können.
"Es tut mir leid."

"Hat es Dominik gesehen?"
Evan nickte Thea zu. "Wir haben das Video", sagte sie schließlich und zog eine kleine Kamera aus ihrer Tasche. "Glaubst du, dass du so Lou zurückbekommst? Indem du mich entführst. Er wird nicht kommen, Evan. Nicht wegen mir."

Evan schien mir nicht zu glauben. Ich hatte meinen Vater seit Jahren nicht mehr gesehen, aber nach allem was ich gehört hatte, waren ihm seine Geschäfte wichtiger als seine Tochter.

"Das glaube ich nicht, Elenor. Du bist immer noch seine Tochter."
"Die er verlassen hat, um zu morden."
Evan nahm meine Hand und platzierte einen Kuss darauf. Sofort kribbelte es an der Stelle und meine Wut verflog ein wenig.
Er war gut.

"Ich glaube, er wird kommen." Ich wollte Evan nicht seine Hoffnung nehmen oder vielleicht hoffte ich selbst, dass ich meinem Vater so viel wert war.

"Deine Tante bekommt das Video geschickt und ich muss bald zurück, damit ich davon berichten kann, dich nirgendwo gefunden zu haben."

"Sie wird sich schreckliche Sorgen machen. Und sie wird dich feuern.

"Ich weiß, ich lasse dich gehen wenn dir das zu riskant ist. Und das mit meiner Arbeit - das ist nicht wichtig."

Wollte ich diejenige sein, die ihm seinen Hoffnungsschimmer nahm? Das einzige Licht am Ende des Tunnels? Ich konnte ihn nicht im Stich lassen. Nein, das konnte ich wirklich nicht. Auch wenn das einigen Leuten für einen kurzen Moment das Herz brechen wird.

Er nahm meine Hände in seine und drückte sie an sich. "Ich verspreche dir, alles wird gut werden."

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Hey! Das Buch geht langsam aber sicher dem Ende zu! Es wird aber noch ein paar Kapitel geben

Ich hoffe euch geht es allen gut!

Revenge - Für das Licht in der Dunkelheit Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt