Kapitel 6

542 26 1
                                    

Kreischend sprang mir Thea in die Arme, als ich ihr von meinem Erfolg berichtete. Ich hatte es tatsächlich geschafft. "Darauf stoßen wir an." Genau auf diesen Satz hatte ich gehofft. Thea kam mit zwei frischgekühlten Bier zurück und drückte mir eines davon in die Hand. Vollkommen fertig ließ ich mich auf das Sofa fallen und nahm einen großen Schluck. Ich war Lou einen Schritt nähergekommen.

"Und wie war es? Erzähl mir alles." Thea wirkte, als hätte sie schon einige Flaschen vom Bier gehabt, so hibbelig war sie.
"Das Bewerbungsgespräch war eigentlich ganz einfach. Mir war sofort klar, was ich sagen musste, um sie zu überzeugen. Danach musste ich allerdings gegen ihren Bodyguard kämpfen." Thea pfiff durch die Zähne.

"Hast du es ihm so richtig gezeigt?" Aus neugierigen Augen schaute sie mich an. "Aber sowas von!" Wir beiden fielen in schallendes Gelächter.
"Am Ende lag er auf dem Boden wie ein Riesenbaby", stieß ich schweratmend hervor und klopfte mir auf die Brust. So hatte ich schon lange nicht mehr gelacht.
"Das hätte ich nur zu gerne gesehen." Immer noch lachend hielt sie sich den Bauch, doch schnell wurde ihre Miene wieder ernst.

"Wie geht es jetzt weiter?" Ich zuckte mit den Schultern. "Ich muss ab morgen bei ihnen einziehen. Ich werde den Standort ihres Vaters schon aus irgendjemandem herausquetschen können. Irgendjemand muss etwas wissen. Wenn nicht, dann muss ich es eben auf die harte Tour versuchen."
Thea wusste, ich schreckte vor nichts zurück, wenn es um meine Schwester ging. Ich hatte nicht vor jemanden mit Samthandschuhen anzufassen, wenn er sich weigerte, mir zu helfen.

"Viel Glück, Evan. Hol Lou zurück."
"Keine Sorge, nichts Anderes habe ich vor." Wir beide hoben die Flaschen in die Höhe und nahmen anschließend einen großen Schluck. Das würde sicherlich nicht die einzige Flasche bleiben.
"Hast du Hunger?" ich nickte, aber auf Theas Kochkünste würde ich nicht vertrauen. Sie konnte noch nicht einmal Spiegelei braten, ohne dabei die halbe Wohnung in Brand zu setzen.
"Ich bestelle uns was", sagte sie zu meinem Glück und griff nach ihrem Smartphone. Sie fragte nicht weiter nach, denn sie wusste genau, was ich in solchen Situationen brauchte.

Thea schien den Pizzaboten wohl für äußerst attraktiv zu halten. Schon seit fünf Minuten flirtete sie unaufhaltsam mit ihm. Genervt und mit knurrendem Magen verdrehte ich die blauen Augen und schritt hungrig zur Tür. Ich riss ihr das Geld aus der Hand, drückte es dem jungen Mann in seine, nahm die zwei Pizzakartons und murmelte ein halbherziges Tschüss, bevor ich ihm die Tür vor der Nase zuschlug.

"Was sollte das?", keifte mich Thea an. Ich öffnete die Schachtel und biss in ein großes Stück hinein. Mann, hatte ich einen Hunger.
"Ich habe eben Hunger. Du standst dort schon locker zehn Minuten. Gehst du etwa mit jedem ins Bett?", sprach ich mit vollem Mund und ohne jeglichen Verstand, bereute es aber sofort wieder, als sie gekränkt den Kopf senkte. War ich ein Idiot. Ich schluckte.

"Tut mir leid, Thea, das war nicht so gemeint." Ich legte den Karton beiseite und machte einen Schritt auf sie zu. "Doch war es", erwiderte sie mit brüchiger Stimme. Ich wollte mich am liebsten selbst ohrfeigen.
"Es war falsch das zu sagen. Ich weiß dein Mann hat dich schlecht behandelt. Das... war rücksichtslos." Ich entschuldigte mich nicht oft, aber ich sah ein, wenn ich zu weit gegangen war. Und das war ich. Thea gehörte für mich schon zur Familie und von meiner war nicht mehr viel übrig. "Schon gut." Sie winkte ab, doch ich wusste, dass nicht wieder alles okay war.

"Nein, es war nicht okay, Thea." Eine stumme Träne lief ihre Wange hinab, die sie auffing, bevor sie auf den Boden tropfen konnte.
"Ich versuche doch nur neue Männer kennenzulernen." Ihre Stimme bebte. Wieso hatte ich das nur gesagt? Dennoch konnte ich nicht verstehen, wie sie immer noch nicht über diesen Mistkerl hinweg sein konnte. Fünf Jahre Ehe waren wohl nicht leicht zu vergessen, egal wie schlimm sie auch waren.

"Ich weiß." Ich schloss sie in meine Arme und ließ nach fünf Monaten endlich wieder mehr Nähe zu. Ein seltsames Gefühl kroch meinen Rücken hinauf und der Hunger war vergessen. Nach fünf Minuten hatte sie sich wieder beruhigt und wir beide aßen nicht nur unsere Pizza, sondern leerten jeweils noch zwei weitere Flaschen Bier.

Ich war froh, dass Thea mir verziehen hatte und sich auch nicht weiter über meine Worte Gedanken zu machen schien. Sie war eine sehr selbstsichere Frau, die man zwar aus der Bahn werfen konnte, aber schnell wieder ihren eigenen Kopf besaß und sich nicht dafür interessierte, was andere von ihr hielten. Nicht ohne Grund war sie Anwältin geworden.

"Du darfst dir deinen Hass auf keinen Fall anmerken lassen", erklärte sie mir schon zum zehnten Mal. Wahrscheinlich hatte sie recht, wenn sie meinte, dass das wohl der schwierigste Part war. Ich war nicht sehr gut darin, meine Wut zu verbergen. Vielleicht war ich auch gerade deswegen so ein guter Kämpfer.

"Schau dir am besten ab, wie sich die andern Bodyguards verhalten, die wirklich dazu ausgebildet wurden." Beobachten war wenigstens eine meiner Stärken.
"Ganz schön viel, was ich beachten muss." Ich stöhnte genervt.
"Hast du schon mit Elenor gesprochen?" Ich schmunzelte.
"Reden tut sie ja nicht wirklich", erinnerte ich Thea daran, die sich sofort mit der flachen Hand gegen die Stirn schlug. "Sagen wir so, sie ist nicht wirklich erfreut über einen Bodyguard der ihr den ganzen Tag auf die Pelle rückt."

"Damit habe ich schon gerechnet", murmelte Thea und rieb sich über den vollen Magen. Sie hatte nicht einmal eine ganze Pizza geschafft, während ich noch ihre Reste gegessen hatte. Immerhin war ich ja aber auch um einiges größer und breiter als sie.
"Sie wird sich aber damit abfinden müssen. Denn ich werde nicht ohne Informationen gehen."
"Versprich mir, Evan, dass du niemanden unnötig verletzen wirst." Thea rückte ein Stück näher an mich heran und legte ihre Hand auf meinen Unterarm.

Ich presste die Lippen aufeinander. "Ich verspreche es. Aber wenn mir jemand blöd kommt, bin ich mit meiner Geduld am Ende", erklärte ich und ließ mich tiefer in das Sofa sinken.
"Hattest du jemals Geduld?" Gespielt empört fasste ich mir an meine Brust. "Natürlich habe ich Geduld", sagte ich, obwohl ich mir selbst drüber im Klaren war, dass ich log.
"Ja, die eines Serienmörders, der genug Geduld hat, um auf seine Opfer zu warten."
"Wenigstens etwas", murmelte ich und es war nicht schwer an Theas Gesicht zu erkennen, dass es die falsche Antwort war.

"Hast du Rider schon angerufen, und ihm deinen Erfolg mitgeteilt?" Ich schüttelte mit dem Kopf. Der konnte mir gestohlen bleiben. Thea schnaubte.
"Du kannst nicht ewig auf ihn sauer sein. Er wollte doch nur, dass du nichts Dummes tust. Mir hast du auch verziehen."
"Das ist etwas Anderes", warf ich ein. "Inwiefern?" Wie oft musste ich es noch sagen, dass ich es nicht ausstehen konnte, wenn Thea Therapeutin spielte? Dabei meinte sie ja selbst, dass sie nicht dafür qualifiziert war. Trotzdem ließ sie es sich nicht nehmen, das Gespräch immer wieder auf Rider zu lenken. Sie verstand sich doch selbst nicht besonders gut mit ihm.

"Er war von Anfang an dagegen, dass Ich Lou rette. Er hat doch nicht ernsthaft geglaubt, dass ich meine kleine Schwester im Stiche lasse?" Schon wieder packte mich die Wut und zerrte an mir.
Thea schüttelte mit dem Kopf. "Natürlich nicht. Aber ich glaube, er hat es trotzdem gehofft." Ich schnaubte genervt. "Mir ist egal, worauf er hofft!", knurrte ich harsch und mit kühler Stimme.

"Du solltest dich ein wenig ausruhen." Theas Vorschlag kam mir gelegen. Tatsächlich war ich hundemüde und das warme Sofa unter mir wirkte nur allzu einladend. Zu meinem Unglück – und wahrscheinlich um sich über mich lustig zu machen - kam sie mit einer knallpinken Decke zurück. Grinsend drückte sie mir den weichen Stoff in die Hand. "Für meinen kleinen Evan nur das Beste", spottete sie. Als wäre ich noch ein kleiner Junge, wuschelte sie mir durchs Haar und ignorierte, dass ich sie böse anfunkelte. Ich hatte keine Lust wegen einer Lappalie wie dieser einen Streit anzufangen, gab mich mit der Decke zufrieden und richtete mir ein Kissen. In meinen Träumen traf ich auf Lou, nur dieses Mal gesund und munter. Ich schöpfte wieder neue Hoffnung.

Revenge - Für das Licht in der Dunkelheit Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt