Kapitel 12

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Sie konnte das siegessichere Grinsen auf meinen Lippen nicht sehen als sie mich fest umklammerte. Für einen kurzen Moment fuhr ein Stich durch meine Brust, weil ich Lous Umarmung so sehr vermisste. Ich vermisste das Gefühl, wie sich ihre kleinen Arme um mich schlangen, wenn sie traurig war. Mit Elenor in meinen Armen war es zwar nicht dasselbe, aber es bewirkte, dass ich mich etwas schlecht und schuldig fühlte.

"Sie haben es also erfahren." Sie schluchzte. "Wollen Sie darüber... schreiben?" Sie hob ihren Kopf, den sie Sekunden zuvor noch an meiner Brust vergraben hatte und schaute mir in die Augen. Das dunkle Grün erinnerte mich nicht an ihren Vater. Im Gegenteil. Es war ganz anders als das mordlustige Grün, das mich in meinen Träumen verfolgte. Sie schaute sich kurz um, und griff rasch nach meiner Hand als sie sah, dass ihre Tante ihr nicht gefolgt war. Elenors Hand war unangenehm kalt, und ich spürte wieder die Verachtung ihrer Familie gegenüber, die ich gerade noch vollkommen vergessen hatte.

Ich ließ es mir nicht nehmen, mich in ihrem Zimmer umzuschauen. Ich hatte es mir etwas bunter und mit mehr Munster vorgestellt, doch ihre Wand war, ganz anders als in allen anderen Zimmer, hellblauen tapeziert worden. Ihre Wand war bis auf ein paar darauf geklebte Sprüche und Poster vollkommen kahl. Ihr Zimmer sah aus, wie jedes andere Mädchenzimmer in dem ich jemals gewesen war. Vielleicht mit weniger Glitzer und Einhörnern als das meiner Schwester.
Ihr Bett war größer als meins und sah so bequem aus, dass ich ungebeten darauf Platz nahm. Ich war skeptisch gegenüber der Tatsache, dass sie mich einfach in den wohl für sie privatesten Raum mitgenommen hatte und es sie kein bisschen interessierte, dass ich hier alles anschauen konnte, was ich wollte.

Elenor hatte immer noch das Gesicht in den Händen vergraben und lief hin und her. Wenigstens hatte sie aufgehört zu weinen. Ich konnte mir vorstellen, was ihr gerade durch den Kopf ging. Und es ließ mich nicht ganz so kalt wie erwartet. Hintergangen zu werden, tat weh. Das kannte auch ich zu gut. "Gibt es irgendjemanden zu dem Sie gehen können?" Elenor war mit ihren Gedanken ganz weit weg und hörte mir nicht zu. "Was ist mit Ihrem Vater?" Ihr Kopf schellte in die Höhe. Entgeistert blickte sie mich an und schüttelte rasch den Kopf. "Warum nicht? Es scheint mir so, als bräuchten Sie eine Pause von Ihrer Tante." Ich wollte mich nicht verdächtig machen, aber so würde es zu nichts führen. Ich durfte nicht länger schweigen.

Sie wühlte nach einem unbeschriebenen Papier auf ihrem Schreibtisch und schrieb wieder, um mit mir zu kommunizieren.
Ich kenne ihn nicht einmal wirklich, so oft wie er weg ist.
Als realisierte sie erst, was sie mir gerade verraten hatte, zerknüllte sie das Blatt in ihrer Hand und warf es in den Mülleimer. Nach einer kurzen Weile griff sie nach einem neuen Blatt.
Es tut mir leid. Ich weiß nicht, was gerade in mich gefahren ist. Es wird nicht wieder vorkommen. Könnten Sie bitte das Zimmer verlassen?

Meine Hände waren zu Fäusten geballt und ich versucht mich mit aller Kraft zu beherrschen. Ich stand auf. Ganz langsam. Alles umsonst, verdammt! In mir brodelte es. Sie kannte ihn nicht einmal richtig. Also wusste sie wahrscheinlich auch nichts von seinen Geschäften – nichts, was mir weiterhelfen könnte, Lou zu finden.

Ich war wieder am Anfang. Wie so oft. Sie anzuschreien bringt nichts. Meine innere Stimme hatte recht. Mein Blick blieb an einem eingerahmten Bild auf ihrem Schreibtisch hängen. Ich erkannte das Gesicht wieder. Nein, das war unmöglich. Ich glaubte, die ganze Sache vielleicht aus einem ganz falschen Blickwinkel betrachtet zu haben. Vielleicht hatte ich den falschen Grund für Wesleys Tat gehalten.

Ich war schuld an der Entführung meiner Schwester. Die Erkenntnis traf mich wie ein Blitz und ich verließ das Zimmer freiwillig so schnell ich konnte. Mein Unterbewusstsein hatte es mir jedes Mal in meinen Alpträumen verraten. Es war Rache. Wesley wollte sich an mir rächen. Ich schlug gegen die Wand. Ich musste mit Thea sprechen.

Revenge - Für das Licht in der Dunkelheit Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt