5. Kapitel

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"So Mary... Wie waren deine ersten Schultage?" Nicole, meine Therapeutin sah mich neugierig durch ihre Hipster Brille an. "Ganz okay.", antwortete ich Schulterzuckend, während ich es mir in dem Sessel bequem machte, den ich seit knapp einem Jahr mehrmals die Woche in Beschlag nahm. "Ja? Das klingt doch schon mal nicht schlecht." Die blonde Frau musterte mich. "Wie sieht es mit dem essen aus? Geht es in der Mensa oder ist es eher kritisch?" "Das Essen ist das, worum ich mir am wenigsten Sorgen mache.", murmelte ich vor mich hin, kickte mir die Schuhe von den Füßen und setzte mich in den Schneidersitz. Deutlich bequemer. "Was meinst du?" "Ach da ist einfach so ein Idiot der mir auf die Nerven geht." "Meinst du zufällig den süßen mit dem Motorrad?" erschrocken sah ich sie an und konnte nicht verhindern, dass mir, die röte ins Gesicht schoss. "Also ja." Nicole grinste zufrieden. Demonstrativ verschränkte ich die Arme vor der Brust. "Ach komm schon... Eine Ablenkung ist doch super. Warum nervt er dich denn so?" "Weil er ein Idiot ist.", murmelte ich, weil Nicole einen Punkt getroffen hatte. Sie wusste, dass ich mich super in Rage reden und aufregen konnte und genau dann war ich ein offenes Buch für sie. "Und warum ist er ein Idiot?" sie schmunzelte. "Ich weiß nicht was ich von ihm halten soll. Im ersten Moment ist er der größte Idiot und dann plötzlich wieder ganz anders." und dann sprudelte alles nur so aus mir heraus. Ich erzählte ihr von unserer ersten Begegnung im Bus, anschließend dem Treffen bei Leon und dann seinen Aktionen von heute. "Also... Nur damit ich das richtig verstehe. Es nervt dich, das er dich so behandelt wie du immer behandelt werden willst? Nämlich keine Rücksicht zu nehmen und dich nicht zu verhätscheln?" "Ja..." ich zuckte seufzend die Schultern. "Willst du meine Meinung als Profi hören?" erneut zuckte ich nur die Schultern. "Wenn er so mit dir umgeht, wie du es brauchst, dann mach doch einfach weiter mit ihm Sachen." irritiert sah ich sie an. Was war das denn bitte für ein bescheuerter Ratschlag? "Was soll ich denn sagen? Du meine Therapeutin ist eine Mega Romantikerin und meint, ich soll mit dir Zeit verbringen damit wir uns wie in einem dieser kitschigen Filme ganz überraschend ineinander verlieben? Bullshit." zum Ende hin schnaubte ich verächtlich und verdrehte die Augen. "Was ist so falsch daran eine romantische Sicht auf die Dinge zu haben?" Nicole schob sich mit dem Zeigefinger die Brille wieder richtig auf die Nase. "Es ist bescheuert und naiv... Es bricht einem am Ende doch eh nur das Herz..." "Das sagst du so, als wüsstest du, wovon du sprichst." "Natürlich weiß ich das. Ich habe Matt über alles geliebt. Er war mein Bruder. Mein erster und letzter seelenverwandter. Aber jetzt ist er Tod. Was soll daran bitte romantisch sein?!" meine Stimme ging am Ende hoch ins Hysterische und ich spürte, wie mir heiß die Tränen in die Augen schossen, doch anders als sonst versuchte ich sie vor Nicole nicht zu verstecken, sondern ließ sie laufen.

Meine Augen fühlten sich schwer und gereizt an als ich die Praxis verließ. Nach den Gesprächen mit Nicole fühlte ich mich immer so ausgelaugt und erschöpft, dass ich mich einfach auf die nächste Bank hätte legen und erstmal etwas schlafen können. Für heute war ich Wort wörtlich fertig mit der Welt und allem was sie so zu bieten hatte. Ich kramte mein Handy aus meiner Tasche. Während den Sitzungen musste ich es immer ausgeschaltet oder zumindest stumm in meiner Tasche lassen. Ich hatte ein paar Nachrichten. Eine von Leon und einige in der Family Gruppe in der ich mit Mum und Dad war.

Leon: Hey du, ist alles okay bei dir? Können wir uns mal alleine treffen? Denke das würde uns ganz guttun...

Ich nahm mir vor mich später zu Hause, um die Leon-Baustelle zu kümmern. Ich schloss den Chat und ging auf unsere Family Gruppe.

Mum: David denkst du bitte dran das du Mary heute pünktlich von der Therapie abholst? Nicht das sie wie letztes Mal wieder so lange warten muss.

Dad: Wie heute? Ich dachte das wäre morgen? Ich bin beschäftigt, wie soll ich denn jetzt noch von der Arbeit weg kommen?

Mum: ich habe dir doch heute Morgen extra gesagt das du bitte an Marys Termin denken sollst, weil ich heute ein wichtiges Meeting habe?!!

Dad: Entschuldige bitte, dass ich auch noch einen Job habe!

Weiter las ich gar nicht erst... Das musste ich nicht... Die Vorwürfe, die die zwei sich via WhatsApp an die Köpfe warfen hatte ich oft genug live gehört. Frustriert seufzend pfefferte ich das Handy zurück in die Tasche. "Die Therapie scheint ja echt Mega viel zu bringen." Ich sah auf. Chase. "W-was machst du denn hier?" etwas verdattert sah ich mich um. "Ich dachte mir, das du vielleicht auch irgendwie wieder nach Hause kommen willst?" er schmunzelte. "Achso... Nein quatsch alles gut, aber danke." ich wollte lächeln. Ehrlich wollte ich. Doch es gelang mir nicht. "So schlimm?" er lächelte Mitleidig. Ich zuckte nur leicht die Schultern und blinzelte schnell ein paar Tränen weg. Da hielt er mir plötzlich einen Becher mit drei Kugeln Eis mit Sahne und Streuseln hin. "Na komm ich bringe dich nach Hause."

Wenig später saßen wir auch schon in seinem Range Rover. Jap. Sein Bike hatte er scheinbar umgetauscht. "Was ist aus deinem Motorrad geworden?", fragte ich, nachdem wir losgefahren waren. Um nicht zu neugierig zu wirken schob ich mir einen Löffel voller Eis und Sahne in den Mund und sah aus dem Fenster. "Das gehört meinem Dad. Mein Wagen war in der Werkstatt, deshalb durfte ich damit heute ausnahmsweise mal zur Schule." Ich nickte, als hätte ich verstanden und als wäre es das normalste der Welt. Wahrscheinlich wäre er mir sympathischer gewesen, wenn er gesagt hätte das ihm das Motorrad gehörte und er sich den Wagen nur ausgeliehen hätte.

"Kommst du heute Abend eigentlich noch zum Spiel?" "Welches Spiel?", fragend sah ich zu ihm rüber. "Na zum Lacrosse Spiel."er grinste kurz zu mir rüber. "Oh... Ehm... Ich denke eher nicht so." "Wieso? Nenn mir einen guten Grund, warum du heute Abend keine Zeit hättest." Ich musste schlucken. Den hatte ich tatsächlich nämlich nicht. Es gab keinen guten oder begründbaren Grund weshalb ich nicht hingehen sollte. Deshalb zuckte ich nur leicht die Schultern. Wieso hatte ich bei ihm das Gefühl mich ständig rechtfertigen zu müssen? Alle anderen nahmen meine Entscheidung einfach so hin, während er alles hinterfragen musste. "Du musst kommen. Ist doch blöd, wenn du zu Hause sitzt während die ganze Schule da sein wird." "Ja keine Ahnung...", murmelte ich vor mich hin und schob mir schnell wieder einen Löffel Eis in den Mund. "Also kommst du? Sehr gut!" er grinste triumphierend. Ich dachte mir im stillen nur das er mich eh nicht kontrollieren konnte. Wie er schon sagte, beinahe die ganze Schule wäre Anwesend. Ob ich nun da wäre oder nicht würde er gar nicht bemerken.

"Hier kannst du anhalten.", sagte ich wenig später als unser Haus in Sicht kam. Chase hielt an und stellte den Motor aus. "Danke fürs Fahren heute. Und für das Eis." Ich schnallte mich ab und wollte schon aussteigen, da schnallte er sich ebenfalls ab. Was sollte das denn werden? Irritiert sah ich ihn an. "Was machst du?" "Na, dich zur Haustür bringen?" er sah mich genauso irritiert an. "Wieso?", entgegnete ich und konnte mir ein belustigtes Lachen nicht verkneifen. "Das macht man als Gentleman halt so?" schmunzelnd zuckte er die Schultern und stieg aus. Sein Schmunzeln war seltsam triumphierend. So als hätte er darauf abgezielt mich zum Lächeln oder Lachen zu bringen. Bildete Ich mir das nur ein? Chase ging einmal um das Auto herum und kam an meine Tür. Er öffnete sie mir, damit ich aussteigen konnte. Irgendwie war mir das peinlich und ich spürte direkt, wie mir die Hitze in die Wangen schoss. Ich brachte nur ein kleines verlegenes "Dankeschön" zustande und stieg aus. Er begleitete mich doch tatsächlich, bis vor die Haustür wo ich dann anfing in meiner Tasche nach dem Schlüssel zu suchen. Eine peinliche Stille trat ein. "Du kannst ruhig fahren, ehrlich... Ich habe ihn gleich." versuchte ich der peinlichen Situation zu entfliehen. "Alles gut, ich habe Zeit." schmunzelnd lehnte er sich lässig neben mich an die Hauswand. "So ein Mist." fluchte ich, als mir bewusst wurde, dass der Schlüssel oben in meinem Zimmer schön auf dem Schreibtisch lag. "Vergessen?" er musste grinsen. "Ja..." seufzend suchte ich mein Handy raus und rief Mum an.

C'est la vie (Pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt