Da stand er vor mir. Der unverschämt gutaussehende Typ aus dem Bus. Unsicher spielte ich mit den Dingen, die ich so in meinen Jackentaschen fand. Fussel, meine Busfahrkarte, mein Schlüssel. Ich ihn verfolgen? Was bildete er sich nur ein? "Ich war ja wohl vor dir hier...", entgegnete ich ihm nach einer halben Ewigkeit. "Ah okay, ja so kann man es natürlich auch sehen." Er zwinkerte mir grinsend zu und ging dann an mir vorbei zur Garage. Als ich einatmete, nahm ich seinen intensiven Geruch wahr. Es war nicht dieses typische erschlagende Aftershave oder Deo was man sonst so von Jungs kannte. Es war ein angenehmer leichter Geruch. Irgendwie roch er vertraut. Ich sah ihm nach, sah, dann zu Leon der immer noch ganz in das Spiel vertieft war. Ich spürte, wie mir der Schweiß auf die Stirn trat. Das war eine dumme Idee gewesen. Schnell machte ich auf dem Absatz kehrt und hoffte, dass mich sonst niemand gesehen hatte. Den Rückweg nach Hause rannte ich, ohne es zu merken. Ich stürzte außer Atem ins Haus und war froh das Mum und Dad noch arbeiten waren. Hätten sie mich so gesehen wären sie vermutlich ausgerastet. Ich presste mich mit dem Rücken an die Flurwand und versuchte mich zu beruhigen. Ich hatte das Bedürfnis mich auf dem Boden wie ein Häufchen elend zusammen zu rollen und so dort für die nächsten Stunden zu verharren. Doch dann würden Mum und Dad mich definitiv so sehen. Ich versuchte mich auf meine Atmung zu konzentrieren und mich zu beruhigen. Nach knappen 20 Minuten hatte ich mich soweit unter Kontrolle, dass ich mir sicher war ohne die Wand stehen zu können. Erschöpft schleppte ich mich hoch in mein Zimmer und ließ mich aufs Bett fallen. "Oh man Mary das war ja mal ne' richtig dumme Idee von dir...", murmelte ich leise ins Kissen.
Am nächsten Morgen ging ich früh duschen und machte mich fertig. Leon hatte mir gestern noch ein paar mal geschrieben. Doch ich hatte ihm nicht geantwortet. Vermutlich musste ich mich in der Schule auf einige Fragen gefasst machen. Ich war darauf bedacht noch vor Mum und Dad das Haus zu verlassen, da ich den tausend fragen ausweichen wollte die sie mir noch zu meinem ersten Schultag stellen wollten. Da ich so früh dran war, machte ich mich zu Fuß auf in Richtung Schule, statt den Bus zu nehmen. So trottete ich mit Kopfhörern in den Ohren und voll aufgedrehter Musik vor mich hin, den Blick auf den Boden vor mich gerichtet und meinen Gedanken hinterher hängend.Als es irgendwann neben mir plötzlich laut hupte, zuckte ich erschrocken zusammen und sah auf. Da saß Mister Perfect auf einem schwarzen Motorrad, was alles andere als vertrauenserweckend aussah, und grinste mich an. "Na Cinderella kann man dich mit zur Schule nehmen?" verwirrt nahm ich einen Kopfhörer raus, da ich dachte mich wegen der lauten Musik verhört zu haben. "Wie hast du mich genannt?" "Cinderella?" er nahm seinen Helm ab und nun konnte ich sein schmunzeln nicht nur hören, sondern auch sehen. "Warum Cinderella?" "Naja deinen richtigen Namen kenne ich nicht und da du gestern so spurlos verschwunden bist, dachte ich der Name passt ganz gut." er zuckte die Schultern und schmunzelte mich weiter unwiderstehlich an. Schlimm war allerdings das nicht nur sein lächeln, sondern seine ganze Erscheinung unwiderstehlich war. Seine dunkelbraunen Haare waren etwas verwuschelt, da er mit den Fingern durchgegangen war, nachdem er sich den Helm abgenommen hatte. So im Sonnenlicht schienen sie einen ganz leichten rot Schimmer zu haben, aber das konnte auch täuschen. Seine grünen Augen leuchteten regelrecht und von diesen Wangenknochen will ich gar nicht erst anfangen. Er trug eine schwarze Lederjacke und darunter ein graues Shirt und dazu Jeans und Sneaker. Kurz gesagt: er sah aus wie ein male model, welches gerade aus einer Mode Zeitschrift heraus spaziert war. "Na was ist?" mal wieder riss er mich aus meinen Gedanken. "Hm?", fragend blinzelte ich ihn an. "Verrätst du mir jetzt, wie du heißt oder soll ich dich einfach weiter Cinderella nennen?" "Mary... Ich heiße Mary..." "Mary..." er wiederholte meinen Namen langsam, so als würde er ihn sich auf der Zunge zergehen lassen um zu gucken, ob ihm der Klang meines Namens besser gefallen würde als Cinderella. "Du bist doch die kleine Schwester von dem Spieler, der sich letztes Jahr umgebracht hat oder?" es traf mich wie ein Faustschlag. Noch nie hatte mich jemand so direkt gefragt. Ich musste schwer schlucken. Einmal. Zweimal. Beim dritten Mal schaffte ich es den Kloß in meinem Hals soweit runterzuschlucken, dass ich ihm antworten konnte. "Ja." krächzte ich mehr, als das ich es richtig sagte. "Tut mir leid. Ich höre ständig nur gutes von ihm, muss nen cooler Typ gewesen sein." Ich konnte nur nicken und gegen die Tränen ankämpfen. Dann steckte ich mir die Kopfhörer wieder rein und ging wortlos weiter. Ich hörte, wie er meinen Namen rief, drehte die Musik jedoch nur noch lauter um ihn nicht hören zu müssen. Er fuhr ein kleines Stück des Weges mit seinem Motorrad neben mir her, doch dann schien er zu verstehen, dass ich ihm nicht mehr was von meiner Aufmerksamkeit schenken würde und fuhr dann an mir vorbei zur Schule. Als er außer Sicht war, kämpfte ich gegen die Tränen an, die mir in die Augen schossen. Mit so einer Direktheit kam ich einfach noch nicht zurecht.
Zum Glück verzichtete ich momentan noch auf jegliche Art von schminke, so das ich nicht allzu verheult aussah, als ich an der Schule ankam. Ich hatte gehofft einfach zum Unterricht gehen zu können, doch da machte mir Mister Perfect erneut einen Strich durch die Rechnung. Gerade als ich meine Bücher für Mathe aus dem Schließfach genommen und mein Schließfach geschlossen hatte, stand er wie aus dem Nichts plötzlich neben mir. Erschrocken zuckte ich zusammen und ließ meine Bücher fallen. "Verdammt! Spinnst du?!" fuhr ich ihn an und kniete mich hin um meine Sachen aufzuheben. "Sorry, du bist so ziemlich die schreckhafteste Person, die ich kenne." er schmunzelte und half mir beim Aufheben. "Passiert halt, wenn man Leute immer so seltsam überfällt.", murmelte ich und Strich mir eine Locke hinters Ohr. "Als Überfall würde ich das jetzt nicht unbedingt bezeichnen." er lachte leise. Rau und doch irgendwie sanft. Schnell schüttelte ich den Kopf. Wie schaffte er es meine Gedanken immer wieder so zu vergiften? Er war ätzend! Nicht anziehend oder sonst irgendwas Positives. Er war einfach nur ätzend. "Also... Das vorhin war nicht böse gemeint oder so..." begann er dann und klang etwas vorsichtiger als vorhin noch. "Ich wollte nicht, das du meinetwegen weinst, tut mir leid ehr-" "Passt schon." würgte ich ihn ab und schluckte schwer um den Kloß gar nicht erst entstehen zu lassen. Er sah mich forschend an, wobei sich seine grünen Augen in meinen Kopf zu bohren schienen. Ich war darauf bedacht ihm nicht direkt ins Gesicht zu sehen. Ich konnte es einfach nicht. "Leon hat sich gestern wohl ein paar Gedanken gemacht, warum du nicht mehr gekommen bist... Ich habe ihm mal nicht gesagt das du eine auf Cinderella gemacht hast." nun sah ich ihn überrascht an. Warum hatte er nicht erzählt, dass ich gestern dort gewesen war? Er zuckte die Schultern bei meinem verwunderten Gesicht. "Du sahst nicht gerade glücklich aus... Ich dachte mir du willst Leon heute lieber selber eine Entschuldigung oder Story auftischen, die ihm die Sorgen nimmt."nun musste ich ihn endgültig wie ein Auto angeguckt haben. Denn er lächelte sanft. "Er redet nur noch von dir..." er wurde von der Schulklingel unterbrochen. "Willst du mal einen Tipp von mir?" er kam mir plötzlich näher, sehr viel näher. Ich hielt den Atem an und erwiderte seinen Blick. "Fang wieder an zu leben."mit diesen Worten ließ er mich völlig überrumpelt stehen und ging zum Unterricht.
Nach meiner letzten Stunde beeilte ich mich um zur Bushaltestelle zu kommen. Ich musste nämlich in die Stadt zur Therapie und wenn ich den Termin verpassen würde hätte ich zu Hause noch mehr Stress mit Mum und Dad als jetzt schon. Doch als ich an der Bushaltestelle ankam war da kein Bus mehr. Ich war zu spät. Fluchend fuhr ich mir durch die Haare und holte mein Handy raus, doch da fiel mir ein das ich weder Mum, noch Dad anrufen konnte, weil beide arbeiteten. Seufzend ließ ich mich auf die Bank fallen und überlegte was ich nun am besten machen könnte. Da hörte ich einen schnurrenden Motor näher kommen. Oh nein. Darauf konnte ich ja jetzt so was von verzichten. Chase, so hieß er wie ich von Julie erfahren hatte. Er hielt vor mir und nahm den Helm ab. "Na komm spring rauf ich bring dich nach Hause." "Ich muss nicht nach Hause aber danke." antwortete ich schnippisch. Er seufzte. "Wo musst du dann hin? Du hattest es ja offensichtlich eilig den Bus zu bekommen und da der jetzt weg ist will ich dir helfen. Wir wissen beide das der nächste Bus erst morgen früh hier hält also spring schon rauf." er hielt mir seinen Helm hin. Verdammt er hatte so recht. Ich überlegte kurz, stand dann aber auf, ging zu ihm und nahm seinen Helm. "Ich muss in die Stadt..." ich nannten ihm die Adresse. "Kein Problem." er lächelte und machte mir etwas Platz nachdem ich seinen Helm aufgesetzt hatte. Ich stieg vorsichtig hinter ihm auf das Bike und legte etwas unsicher die Arme um ihn. Er nahm meine Arme und schlang sie enger um sich. Zum Glück konnte er nicht sehen wie ich knall rot anlief. Ich hielt mich an seinem verdammt muskulösen Oberkörper fest und dann fuhr er auch schon los. Ich konnte die ganze Fahrt über nicht so wirklich glauben das ich mich wirklich von ihm zur Therapie bringen ließ. Ihm so nah zu sein war mir irgendwie unangenehm. Dennoch ertappte ich mich dabei enttäuscht zu sein, als wir nach einigen Minuten Fahrt schließlich ankamen. Chase parkte sein Bike und ich stieg eher umständlich ab wie sein belustigtes Grinsen ahnen ließ. Ich nahm mir den Helm ab und gab ihn ihm wieder. "Danke fürs bringen." sagte ich etwas verlegen und hoffte das er nicht wusste weshalb ich hier war. "Immer wieder gerne." er schmunzelte und sah dann zu dem Gebäude vor dem wir standen. "Musst du zur Therapie?" fragte er dann und ich zuckte beinahe zusammen. Wie direkt konnte ein Mensch wohl sein? "J-Ja..." stammelte ich leise. "Na dann, du solltest nicht zu spät kommen." er lächelte. Ich nickte leicht mechanisch. "Danke nochmal." mit diesen Worten wandte ich ihm den Rücken zu und ging schnell zur Eingangstür. Hinter mir hörte ich wie Chase davon fuhr und ich konnte nicht anders, als mich nochmal umdrehen und ihm nach zu sehen.
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C'est la vie (Pausiert)
Teen FictionNeues Jahr. Neues Glück? Nach dem Selbstmord ihres großen Bruders kommt Mary nach fast einem Jahr, das durchzogen von Therapie Sitzungen und Selbsthilfegruppen war, zurück an die High School. Der Lebenslust beraubt schleppte sie sich nur schwerfäll...