Kapitel 56

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Kate hatte es ziemlich treffend beschrieben: Liebe und Hass lagen manchmal gar nicht so weit auseinander. Und Lyra musste ihr da zustimmen.

Es hatte etwas gebraucht bis sie ihrer besten Freundin davon erzählen konnte. Und während des Gesprächs hat es sich komisch und fremd angefühlt. Die gesamte Situation wühlte sie innerlich auf. Und noch etwas hatte Kate ziemlich direkt auf den Punkt gebracht: Es bestand noch Hoffnung.
So herzlos es in diesem Moment erscheinen mochte, Kate war der Überzeugung, dass wenn sie von nun an alles richtig machen würden, Lyra es doch noch schaffen würde die Aufgabe ihrer Mutter zu erfüllen. Und zwar mit Hilfe ihrer Großmutter.

In gewisser Weise fühlte Lyra sich schuldig. Sie hatte einen wunden Punkt getroffen, etwas gesehen was sie eigentlich nicht sehen sollte. Sie wusste nicht ob es gut oder schlecht war, dass sie das mitbekommen hatte.

Worüber denkst du nach?
„Über alles?", murmelte Lyra ihre Antwort, die eher eine Frage war. „Ich weiß nicht ob ich das hätte hören sollen."
Mirutuvāna hob den Kopf und legte ihn auf ihr Knie. Er war der Erste gewesen der von dem Gespräch erfahren hatte. Und mal wieder hatte er es mit seinem stummen dunkelblauen Blick geschafft ihre Gefühle zu beruhigen und das unerklärliche Gefühlsknäuel in ihr zu bändigen.
„Ich weiß nicht, ob ich zufriedener gewesen wäre wenn ich es nicht gehört hätte. Ich hätte sie noch immer gehasst. Aber genauso hätte ich gedacht das Biest würde meine Mutter hassen. Und irgendwie tut sie das ja auch. Aber gleichzeitig sollte man eigentlich niemanden verurteilen bevor man nicht seinen Weg gegangen und seine Schuhe getragen hat. Aber das tut sie ja auch nicht -"

Lyra brach ab und stützte den Kopf in die Hand. Sie starrte über die Wiese zur Villa hinauf, über den riesigen Garten ihrer Großmutter der bestimmt einen Hektar maß und an einen Wald grenzte. Wenn Lyra nicht alles täuschte gehörte sogar noch ein Stück Wald zum Grundstück dazu.

Im Schatten der Bäume lehnte Lyra an der harten Rinde und blickte gedankenverloren zu dem breiten kunstvollen Gebäude.
Sie spürte den erhitzten Körper Mirutuvānas neben sich liegen und seine warme Schnauze auf ihrem nackten Knie. Es war zu warm, aber gleichzeitig angenehm.

Ich denke es war gut.
„Glaubst du?"
Man muss den Weg gehen den jemand anderes gegangen ist, bevor man ihn verurteilen kann. Ich denke das war gerade eine Raststätte auf dem Weg deiner Großmutter.
„Wie poetisch!", murmelte Lyra und genoss die Brise die aufkam und ihr die Strähnen aus dem Gesicht strich. „Aber wahrscheinlich hast du Recht!"
Hab ich.
Lyra verdrehte die Augen, musste aber leicht grinsen.

„Wie soll ich mich ihr gegenüber denn nun verhalten?"
Schau erst einmal wie sie sich verhält. Ansonsten machst du erst einmal nichts anders als sonst auch. Vielleicht bist du etwas freundlicher."
„Mhm!", brummte sie nur als Antwort.
Es würde helfen.
„Sicher würde es das!", murmelte Lyra. „Es würde auch helfen, wenn sie sich selber etwas freundlicher verhält. Nicht so kalt und hässlich. Unfreundlich eben."
Vielleicht hältst du erst noch ein wenig Distanz zu deiner Großmutter und gehst morgen mal raus oder ähnliches. Lässt ihr ein wenig Freiraum um ihre Gedanken und Gefühle zu sortieren.
„Vielleicht gehe ich einfach in die Stadt!", überlegte Lyra, der die Idee gefiel. „Ein bisschen bummeln oder so. Ich glaube mehrere Stationen mit der Straßenbahn entfernt habe ich ne Einkaufsstraße gesehen. Als Louis uns hergefahren hat. Da könnte ich hingehen!"
Klingt doch nach einem Plan.
„Und was machst du in der Zeit?"

Mirutuvāna hob leicht den Kopf und die Stelle fühlte sich erfrischend kühl an, bevor er ihn wieder drauflegte.
Mal schauen.
„Du bist immer so differenziert!", lachte Lyra leicht, doch ganz konnte sie die Beklemmung die sie beim Belauschen des Gespräches befallen hatte noch nicht abschütteln.

Wolf howlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt