Kapitel 62

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Als Lyra das nächste Mal aufwachte, konnte sie nicht wirklich sagen dass sie völlig erschöpft war, vor Energie sprühend fühlte sie sich aber auch nicht. Sie lag auf dem Boden, die Decke um sich geschlungen. Sie musste beim Einschlafen umgekippt sein. Die Wasserflasche lag neben ihrer angewinkelten Hand und das Brötchen einige Zentimeter weiter. Lyra blieb noch einen Moment liegen und ließ die Umgebung auf sich wirken. Es roch frischer, nicht mehr so abgestanden, das Licht wirkte heller und es schien sogar eine warme Brise durch die Zelle zu gehen.

Als Lyra sich schließlich aufsetzte sah sie, dass das Fenster geöffnet worden war. Auf der Hauswand die sich dahinter befand, und die Lyra bereits bei ihrem ersten Mal in der Zelle gesehen hatte, zeichneten sich leichte Sonnenstrahlen ab, noch ziemlich hell und kraftlos. Es musste also noch Vormittag sein.

Wieder sah Lyra ein Päckchen zwischen den Gitterstäben liegen, dieses Mal ohne weitere Decke aber wieder ein einfaches Brötchen und eine Flasche Wasser. Da kümmerte sich jemand ja wirklich rührend um sie. Offenbar wollte niemand, dass ihnen die nicht vorhandene Seele wegstarb.

Lyra schnaubte verächtlich und rümpfte die Nase. Als würden die wirklich glauben mit ihr umspringen zu können wie auch immer die wollten! Als würden sie sie einfach als Versuchskaninchen benutzen können. Wie viele andere mussten schon dran glauben, nur damit sie letztendlich diejenige war die die „richtige Seele" hatte? So hatte es der Mann zumindest bezeichnet. Er hatte Aya angeschrien dass sie die richtige Seele habe. Und zum wiederholtesten Mal stellte sich Lyra die Frage: Wofür?

Sie seufzte und wickelte ihr Frühstück aus. Es war noch zu früh für diese Fragen, sie war erst halbwach und sollte erst einmal etwas mehr Energie bekommen.
Eine Dusche wäre vielleicht auch nicht schlecht! schoss es ihr durch den Kopf und sie verzog angewidert das Gesicht.

Sie überlegte gerade ob sie sich mit dem Wasser der Flasche ein wenig das Gesicht sauber machen sollte - oder zumindest die Hände - da ertönten plötzlich dumpfe Schritte auf der Treppe. Lyra blieb vor Schreck wie angewurzelt sitzen.
Das konnte er nicht sein, oder? Nicht schon wieder, nicht so schnell hintereinander. Sie konnte sich an nichts neues bezüglich ihrer Seele erinnern, er sollte sie nicht wieder tieffrieren, konnte er sie nicht...

„Du bist ja schon wach!"

Lyras Herz klopfte immer noch rasend, doch wenigstens war ihr Albtraum nicht wahr geworden.
Sie blinzelte kurz, um ein möglichst lässigen Gesichtsausdruck bemüht, und wandte sich dann Aya zu, die vor der Zellentür stand.

„Bei dem Comfort ist das wohl kein Wunder oder?", antwortete sie frostig doch ihre Stimme klang kratzig.
„Das sah aber vorher anders aus!", sagte diese nur. Lyra warf ihr einen missmutigen Blick zu.
„Wie soll es denn vorher bitte ausgesehen haben? Wie ein Frettchen das halb erfroren im Wald liegt?"
„Immerhin hast du deinen Humor wiedergefunden, dass ist doch schon mal was!", sagte Aya. Lyra musterte sie finster von Kopf bis Fuß. Immer noch dasselbe Outfit wie so ziemlich jedes Mal wenn sie sich begegneten, die verschlossenen schwarzen Augen auf Lyra gerichtet, die Haut so blass wie die ihres Bruders und ihre Haare glatt und rabenschwarz.
So wie immer.

„Aha?", sagte Lyra und ihre Stirn schmerzte bereits so finster schaute sie drein. „Ich verstehe nicht was daran humorvoll sein soll wenn ich dir einfach nur sage wie die Fakten sind! Denkst du wirklich man kann in diesem Drecksloch gut schlafen? Glaubst du das wirklich?"

Aya zog in ihrer besten Manier nur eine Augenbraue hoch.

„Wo sind wir hier?", wollte Lyra wissen, die mit Freuden ihre aufkommende Wut bemerkte und am liebsten an Aya ausgelassen hätte.
„Wir sind im Hauptquartier der Werwölfe!", sagte Aya gleichgültig, ließ Lyra dabei aber nicht aus den Augen.
„Sehr blumig für euch Werwölfe, findest du nicht?", giftete Lyra und bemerkte nur flüchtig die kurze Regung die Aya zeigte. Ein leichtes Zucken an den Augenlidern.

Wolf howlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt