„Da wären wir!", rief meine Mom fröhlich, was so gar nicht meiner Stimmung entsprach, und stellte den Motor ab. Ich zog kritisch eine Augenbraue nach oben und öffnete die Autotür, um gleich darauf auszusteigen.
Wir waren wieder am selben Wald wie auch schon bei der Zeremonie der Fähigkeiten. Ich drehte mich um und lief zum Kofferraum, öffnete ihn und hievte meinen Koffer heraus. Lany und Mom folgten mir. Mom streckte sich, um ihre Muskeln von der langen Autofahrt zu lockern und atmete die frische Luft tief ein. Komischerweise war ihre Laune auch heute wieder blendend, und das obwohl ich meine Familie heute für ein Jahr verließ. Aber meine Mutter war eben eine Frohnatur und hatte immer gute Laune.
Schweigend setzten wir uns in Bewegung. Ich sagte nichts, weil ich über so vieles nachdachte. Wie würde es auf der Angel's Academy werden? Ich hatte mir mehrfach ein paar Gebäude ausgedacht und mir vorgestellt, wie der Alltag dort wohl sein würde, aber ich war mir ziemlich sicher, dass es ganz anders sein würde. Der Wind frischte auf und Blätter wehten umher. Verschiedene Vögel zwitscherten fröhlich. Es hätte malerisch sein können, aber die Tatsache, dass ich mein Leben, so wie ich es kannte, heute zurücklassen musste, nahm mit jegliches Gespür für solche Dinge.
Wir kämpften uns zwischen ausladenden Wurzeln den kleinen Trampelpfad entlang und ich zerrte an meinem Koffer, als er wieder einmal in irgendeiner Unebenheit feststeckte.
Als wir wenig später angekommen waren, sollten wir uns „nicht lange mit Verabschiedungen aufhalten", wie ein Mann, der sich als Lewis vorgestellt hatte, uns streng mitteilte. Stattdessen sollten wir uns beeilen und sofort mit ihm mitkommen, da es angeblich sehr eilte, was sich mir wiederum nicht wirklich erschloss. Wir lagen doch gut in der Zeit! Bis zum offiziellen Aufbruch blieben uns noch mindestens zehn Minuten!
Trotzdem drehte ich mich zu Mom und Lany um und schloss sie beide gleichzeitig in die Arme. „Tschüss!", sagte ich matt und dieses einzige Wort löste in mir eine Welle von Traurigkeit und Verzweiflung aus, da es mir erst bewusst machte, das dies ein dauerhafter Abschied war. Seit Dad uns verlassen hatte, waren wir noch enger zusammengewachsen als davor. Noch nie waren wir drei länger als eine Woche getrennt gewesen. Tränen schossen mir in die Augen und ich musste mir Mühe geben, sie zurückzuhalten. Fest drückte ich meine Familie an mich. „Ich hab euch lieb!" Meine Stimme klang zittrig, was Mom nicht entging. „Wir dich auch!", antwortete sie fest und erwiderte meinen Druck. Auch Lany folgte unserem Beispiel.
Nach viel zu kurzer Zeit lösten wir uns wieder voneinander. „Tschüss!", sagte ich nochmal. Moms gute Laune war inzwischen auch nicht mehr so präsent, denn sie wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. „Bis bald, mein Schatz!", erwiderte sie und auch Lany verabschiedete sich nochmals von mir. Jedoch hatte sie mir zuliebe ein aufmunterndes Lächeln aufgelegt. Ich nahm meinen Koffer und lief mit ihm zu Lewis. Ich drehte mich nochmal zu meiner Familie um und lächelte ihnen zu, bevor ich mich umdrehte und mir eine Träne aus dem Augenwinkel wischte.
Doch dann fasste ich mir ein Herz und atmete tief durch. Ich würde sie ja anrufen können, wenn auch nicht jeden Tag. Aber immerhin. Ich schloss mich Lewis' Gruppe an, die sich in diesem Moment in Bewegung setzte.
Zu der Trauer mischte sich allerdings langsam auch ein anderes Gefühl hinzu: Aufregung, welche auch ein klein wenig Freude beinhaltete. Ich war zugegebenermaßen ziemlich gespannt, was mich wohl erwarten würde.
Wir folgten Lewis durch das wilde Gestrüpp des Waldes, bis hin zu einer weiteren Lichtung, wo uns wieder ein Schwarm Glühwürmchen empfing. Lewis erklärte uns, was jetzt geschehen würde: „Sind alle da? Okay, gut. Ihr solltet folgendes wissen: Ihr müsst euch gleich verwandeln. Danach geht ihr durch das Portal. Aber seid bereit, zu fliegen, denn die Academy ist nur durch den Himmel zugänglich. Aber bevor ihr jetzt losgeht, stellt euer Gepäck bitte neben mir ab. Viel Glück." Es klang nicht wirklich aufmunternd, im Gegenteil: Wenn ich vorher aufgeregt gewesen war, glich mein Inneres nun eher einer Achterbahnfahrt mit doppeltem Looping, bei der man nicht wusste, ob die Bügel hielten. Doch wir taten, was er gesagt hatte und ich parkte meinen Koffer neben den anderen.
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Fantasy„Sein Leben ist wichtiger als deins. Und du musst es um jeden Preis beschützen." Der 17-jährigen Hazel O'Connor ist eine besondere Zukunft vorhergesehen. Sie ist, wie auch ihre Familie, ein Schutzengel. Sie freut sich sehr darauf, von nun an einen...