Kapitel 4✨

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Mein Herz setzte einen Schlag aus und mein Atem stockte. Mit weit aufgerissenen Augen stand ich da, unfähig mich zu bewegen, als ich einen sanften Stups in meinem Rücken spürte. Ich drehte mich um und meine Mom sah mich mit aufmunterndem Blick an. Mein Puls beschleunigte sich abrupt.

Ich atmete einmal tief durch und setzte dann wie in Trance einen Schritt vor den anderen.

Mit zunehmender Distanz zu meiner Familie fühlte ich mich immer unsicherer. Ich war nun ganz auf mich allein gestellt.

Als ich die Mitte und somit die Ältesten erreicht hatte, trat sogleich Marilyn auf mich zu.

„Hazel, richtig?", fragte sie. Als ich nickte fuhr sie fort. „Du wirst jetzt einfach durch diesen Torbogen dort drüben gehen. Darin wird sich deine Fähigkeit offenbaren. Da ich dir nicht sagen darf, wie und wann, sind das alle Informationen, die du bekommen kannst, tut mir leid. Also: Geh durch den Torbogen, dann wird sich deine Fähigkeit zeigen. Hast du das verstanden?" Wieder nickte ich, unfähig etwas zu sagen. Marilyn lächelte mir zu. „Na dann, viel Glück!", wünschte sie mir. „Danke...", murmelte ich nun doch und machte mich auf den Weg.

Wieder schossen mir unendlich viele Gedanken durch den Kopf, während ich auf den Torbogen zuging. Als ich ihn erreicht hatte blieb ich kurz stehen, um einmal tief durchzuatmen. Dann trat ich ein.

Es war, als würde ich eine völlig andere Welt betreten, denn hier drin war es sehr dunkel, nur hin und wieder erleuchtete eine Fackel die Wand. Es wirkte wie eine Höhle. Durch die spärlichen Lichtverhältnisse konnte ich kaum meine Umgebung erkennen. Ich wusste nicht, was ich jetzt tun sollte. Einfach drauflos laufen?

„Hallo?", rief ich probeweise in die Höhle. Meine Worte hallten von allen Seiten unheimlich zurück. Doch natürlich antwortete mir niemand. So einfach machten sie es einem nicht. Also lief ich ein paar Schritte weiter und griff nach einer Fackel, die an der Wand hing. Ich löste sie aus der Halterung und erleuchtete damit den Weg vor mir. Es war eine enge, feuchte Gasse und ich hörte, wie überall Tropfen von der Decke fielen. Das flackernde Licht warf lange, verzerrte Schatten an die Wand. Ein kalter Schauer lief mir den Rücken hinab und ich fröstelte. Trotzdem setzte ich weiter einen Fuß vor den anderen.

Ich durchquerte die schier unendliche und zunehmend engere Gasse und kam direkt in einem relativ großen, runden Raum an. Hier gab es etwas mehr Licht. An der Wand entdeckte ich eine Halterung und steckte die Fackel dort hinein. Dann sah ich mich nochmal genauer um. An den Wänden standen riesige Regale, die über und über mit den verschiedensten Gefäßen gefüllt waren, in denen sich merkwürdige Gemische bewegten. Diese schillerten in den schönsten Farben und ich ging näher an die Regale heran. Mit den Fingern fuhr ich über einige und schaute sie mir genauer an. Ich drehte einige herum, um zu sehen, ob sie vielleicht mit einem Etikett beklebt waren, aber ich fand keins. Nachdem ich ein Regal schon durch hatte, drehte ich mich zu den anderen herum und sah mir den Inhalt der Gefäße ebenfalls an. In einer Ecke sah ich ein Fläschchen, das irgendwie anders zu sein schien als die anderen. Ich konnte nicht sagen, weshalb, aber es schien mir einfach so. Ich trat näher an es heran.

In ihm zog ein silbern glitzernder Nebel seine Runden. Ich konnte meinen Blick nicht davon nehmen. Wie in Trance streckte ich meinen Arm danach aus und nahm das Fläschchen in die Hand. Es war federleicht. Ich zog den Korken heraus, um daran zu riechen, aber kaum war das Gefäß nicht mehr verschlossen, schoss der Nebel heraus und wirbelte in einem rasenden Tempo um mich herum. Meine Haare peitschten von dem schnellen Fahrtwind getrieben ebenfalls um meinen Körper. Immer schneller und schneller wurde der Nebel und schließlich hob ich sogar ein klein wenig vom Boden ab. Als ich einatmete, wurde der Nebel in meinen Körper gesogen und ich fiel wieder zu Boden, wo ich kurz erschöpft taumelte, ehe ich mich wieder fing.

Nichts wie raus hier!

Ich schnappte mir wieder die Fackel aus ihrer Halterung, ehe ich losrannte und die Halle hinter mich brachte.

Wieder dort angekommen, wo ich die Höhle betreten hatte, lief ich durch den Torbogen wieder zurück auf die Lichtung. Als die Sonne mich wieder wärmte, fühlte ich mich wieder viel geborgener und sicherer. Die Anspannung fiel gänzlich von mir ab. Doch alle Augenpaare waren auf William und mich gerichtet.

„Mondbändigerin", rief der Älteste und ich konnte nicht anders als zu lächeln. Ich lief zurück zu Lany und Mom, von denen ich strahlend und mit einer riesigen Familienumarmung empfangen wurde.

„Ich bin so stolz auf dich!", murmelte meine Mutter immer wieder, und ich meinte, die eine oder andere Träne kullern zu sehen. „Danke, Mom!", lächelte ich.

Die Zeremonie zog sich noch bis zum Abend, doch diesmal konnte ich mich wirklich darauf konzentrieren, da ich nun Klarheit hatte und nicht mehr nervös und angespannt wartete.

Als jeder seine Fähigkeit erhalten hatte, trat der dritte Älteste vor, der bis jetzt still gewesen war. Er hieß Pawl.

„Nun ist unsere Zeremonie beendet. Und ich blicke mit Stolz auf die vielen begabten jungen Engel. Ich danke euch herzlich für euer Kommen. Jedoch gibt es auch eine neue Regel. Ein Jahr lang werdet ihr jetzt auf die Angels-Academy gehen, wo ihr eure Fähigkeiten trainiert und verbessert. Nebenbei habt ihr selbstverständlich auch alle anderen Fächer. Wir erwarten euch alle am Montag wieder hier. Ruht euch aus und sammelt Kraft für die bevorstehende Reise. Ich danke euch."

Wie bitte?

Wie von selbst weiteten sich meine Augen. Das musste ich erst einmal verdauen. Ein ganzes Jahr würde ich meine Freunde nicht mehr sehen und nicht mit ihnen zur Schule gehen. Bisher wurde man immer zuhause ausgebildet und ich konnte mir keinen plausiblen Grund vorstellen, das von nun an zu ändern. Doch keiner der Anwesenden machte Anstalten, irgendetwas zu sagen oder zu tun.

Ich drehte mich zu Lany in Mom um und blickte in zwei verwirrte Gesichter. Doch wir ordneten uns unter und verließen wie alle anderen auch die Lichtung.

Ich fühlte mich furchtbar. Von dem Hochgefühl von vorhin war nichts mehr zu spüren. Diese eine Entscheidung hatte meinem Leben das kleine bisschen Normalität genommen, das es noch besessen hatte. Und ich verstand sie nicht einmal.

Mit einem miesen Gefühl in der Magengegend stieg ich zu meiner Familie ins Auto und knallte die Tür zu.

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