Mitten in meinen Überlegungen versunken schreckte ich auf, weil ich ein Geräusch gehört hatte.
Meine Schwester war neben mir im Spiegel erschienen und ich drehte mich zu ihr um.
Sie kam auf mich zu und umarmte mich. „Ich bin so stolz auf dich!", sagte sie dann und ich lächelte dankbar. Lany löste sich von mir und betrachtete meine Schwingen. Ein sanftes Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. Es schien so, als würde sie sich bei meinem Anblick an ihre eigene erste Verwandlung erinnern.
Vor zwei Jahren war sie laut schreiend aus ihrem Zimmer gestürmt. Mom war sofort alarmiert dir Treppe nach oben gekommen und hatte sie schnell auf ihr Bett gelegt, sodass sie sich nicht wehtat, wenn sie sich vor Schmerz hin- und herwarf. Ich war im Türrahmen stehen geblieben, nicht sicher, ob ich herein kommen sollte oder lieber nicht. Und ob ich das überhaupt wollte. Ich hatte es kaum mit ansehen können, Lany so leiden zu sehen, doch aus irgendeinem Grund hatte ich erwartet, dass mir die Verwandlung dann vielleicht leichter fallen würde, weil ich dann schon wusste, was auf mich zukam. Was angesichts des heutigen Tages definitiv nicht so gekommen war. Nach einer Weile hatte sich Lany beruhigt und ein weißes Licht hatte sie umhüllt. Als es sich gelichtet hatte, waren meiner Schwester weiße Schwingen gewachsen, bestehend aus unzähligen Federn. Ebenjene Schwingen, die auch ich in diesem Moment hatte.
Unser Familienzweig folgte vielen Generationen von Schutzengeln. Man verbrachte als ein solcher sein Leben als normaler Mensch, bis man sich um das achtzehnte Lebensjahr herum zum ersten Mal verwandelte. Man bekam dann Zugang zu seinen magischen Fähigkeiten, von denen jeder andere besaß und zu seiner wahren Erscheinungsform, bei welcher man Flügel besaß und von einem hellen, verschwommenen Schein umgeben war. Auch meine Mutter, meine Großmutter und viele Generationen vor ihnen waren Schutzengel.
Mit einer Geste, die mit signalisierte, ihr zu folgen, riss mich Lany aus meinen Gedanken und wir verließen gemeinsam den Raum. Wir liefen wieder ins Wohnzimmer, wo Mom uns schon mit drei dampfenden Tassen Tee erwartete. Kaum sah sie mich, stand sie vom Sofa auf, auf dem sie eben noch gesessen hatte, und kam auf mich zu, um mich in ihre Arme zu schließen.
„Du siehst so hübsch aus!", sagte sie mit Tränen in den Augen und drückte mich fest an sich. Ich lächelte in mich hinein. „Danke, Mom!", antwortete ich dann. Als sie mich wieder losließ, wischte sie sich eine kleine Träne aus dem Augenwinkel, so sehr freute sie sich. Ich setzte mich zu ihr und nahm einen Schluck Tee. „Mom?", fragte ich nach einer Weile.
„Hm?"
„Wie verwandele ich mich wieder zurück?"
Mom schlug die sich die Hand vor den Mund. „Tut mir leid, ich habe gar nicht daran gedacht, es dir zu zeigen.", meinte sie zerknirscht, aber ich winkte nur ab.
„Also.", begann sie dann. „Du musst dir in Erinnerung rufen, wie es sich angefühlt hat, nachdem der Schmerz aufgehört hat. Du musst es wieder spüren, dich darauf einlassen. Hast du das?" Ich schloss die Augen, konzentrierte mich und versuchte, mich daran zu erinnern, wie das Kribbeln den Schmerz gelindert hatte, wie es meinen Körper und meinen Geist beruhigt hatte. Ich nickte.
„Gut! Jetzt denke daran, wie du deine jetzige Erscheinungsform abstreifst.", hörte ich die nächste Anweisung meiner Mutter, auf welche hin ich mir vorstellte, wie ich wieder in meinen normalen Körper schlüpfte und meine Flügel und den Schimmer zurückließ. Dann öffnete ich meine Augen und blickte über die Schulter.
Nichts war geschehen. Meine Schwingen waren nach wie vor da.
Enttäuscht blickte ich zurück zu Mom. „Es hat nicht funktioniert.", stellte ich fest. Sie wiegte den Kopf hin und her. „Zuerst hat die Rückverwandlung begonnen, aber ich schätze, du hast es noch nicht ganz gewollt. Ich weiß, am Anfang möchte man seine Erscheinungsform als Engel am liebsten für immer beibehalten, aber es ist wichtig, dass du lernst, dich zurückzuverwandeln."
Das klang plausibel.
Wieder stellte ich mir das Kribbeln und seine Wirkung auf mich vor, visualisierte es regelrecht. Anschließend holte ich das Bild von vorhin wieder in mein Gedächtnis, als ich, wie aus einer Hülle zu steigen, mein normales Aussehen wieder annahm und mich zurückverwandelte. Ich klammerte mich an dieses Bild wie an einen Strohhalm und diesmal klappte es: im nächsten Moment setzte das mir nun bereits bekannte Kribbeln wieder ein. Es kroch meinen Rücken hoch zu meinen Schulterblättern, wo es sich sammelte und schließlich abebbte und dann ganz schnell verschwand, genau wie vorhin.
Ich öffnete meine Augen und blinzelte, um mich wieder an das Licht zu gewöhnen. Meine Schwester saß in eine Decke gewickelt auf dem Sofa, eine Tasse auf dem Schoß und applaudierte mir. Ich blickte über meine Schulter. Es hatte funktioniert! Ich war wieder ganz ich selbst. Wie von selbst breitete sich auf meinem Gesicht ein breites Lächeln aus und ich konnte mir einen kleiden Freudenslaut nicht verkneifen. Auch meine Mutter sah glücklich aus.
Gemeinsam setzten wir uns zu Lany und tranken unseren Tee, während beide mir erzählten, was in Zukunft alles auf mich zukam und was ich beachten müsse. Ich würde viel Theorie über die Nutzung von Magie und über Kampftechniken lernen müssen, um meinen Schützling bestmöglich beschützen zu können. Außerdem würde ich nun zusätzlich zum Kampftraining, welches für alle Schutzengel Pflicht war, auch in der Praxis in Magie trainiert werden.
Schon bald schwirrte mir der Kopf, da es so unglaublich viel zu beachten gab, hinzu kam ja noch, dass ich bis jetzt noch gar nichts über meinen zukünftigen Schützling wusste. Und bevor ich überhaupt den Namen dieser Person kannte, musste ich natürlich eine Prüfung ablegen, die aus den beiden Bereichen Kampf und Magie bestand. Danach würde ich bei einer speziellen Zeremonie meinen Schützling zugeteilt bekommen.
Das alles fand unbemerkt gegenüber den Menschen statt.
Die Gründe dafür waren unterschiedlich: Zuerst gab es natürlich die Menschen, die die Magie für sich nutzen wollten. Dann gab es Menschen, die Angst vor ihr hatten. Und es gab solche, die nicht verstehen konnten, warum einige Engel waren und andere nicht.
Manche Engel jedoch entschieden sich dafür, ihren Schützling in dessen völligen Bewusstsein bewahren. Ich hatte von engen Freundschaften gehört, die damit einhergingen und manchmal sogar von Liebesbeziehungen. Diese Methode hatte mich schon immer beeindruckt und ich hatte vor, genau dasselbe zu versuchen, sobald ich meinen Schützling traf.
An diesem Abend ging ich früh ins Bett, da ich viel zu verarbeiten hatte und einfach etwas Erholung gebrauchen konnte.
Aber eine Frage beschäftigte mich die ganze Zeit.
Wen würde ich zukünftig beschützen?
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Fantasy„Sein Leben ist wichtiger als deins. Und du musst es um jeden Preis beschützen." Der 17-jährigen Hazel O'Connor ist eine besondere Zukunft vorhergesehen. Sie ist, wie auch ihre Familie, ein Schutzengel. Sie freut sich sehr darauf, von nun an einen...