04 | Der Unbekannte

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Aus dem Augenwinkel konnte ich wahrnehmen, dass sich eine dunkel gekleidete Gestalt etwa zweieinhalb Meter entfernt von mir ans Geländer lehnte. Gerade in dem Moment als ich überlegte einfach zu gehen, sprach mich die Person an.

»Ich hoffe es stört dich nicht, dass ich auch hierhergekommen bin?«, fragte der Mann mit einer unglaublich tiefen, rauen und zugleich wunderschönen Stimme. Ich atmete tief durch und antwortete bestimmt: »Nein, alles gut. Bleib ruhig da.« Schließlich konnte ich ihm schlecht verbieten sich hier aufzuhalten. Ich drehte mich in seine Richtung und musterte ihn von Kopf bis Fuß.

Vor mir stand ein etwa 1,90 m großer Mann in einem schwarzen Trainingsanzug mit einer sündhaft teuer aussehenden Uhr am Handgelenk und einer Cap, die er so tief ins Gesicht gezogen hatte, dass ich es kaum erkennen konnte. Ich schätzte ihn auf Mitte 30, ähnlich wie Alex. Er sah attraktiv aus, auch wenn ich in der Dunkelheit nicht sonderlich viel von ihm wahrnehmen konnte.

»Was machst du da oben ganz alleine?«, wollte er wissen. »Ich hab eine Pause gebraucht. Mir wurde das eben alles zu viel mit dem Alkohol, dem Gras und der lauten Musik«, gab ich ohne zu zögern zu. »Und was führt dich hier nach draußen?« Unterdessen hatte sich mein Gegenüber eine Zigarette angezündet und blies den Rauch Richtung Mond.

»Hmm«, machte er nachdenklich, »eigentlich das Gleiche. Ich habe ebenfalls etwas Abstand gebraucht. Ich bin zwar gerne mit den Brüdern und der Familie, aber so krasse Partys und so was sind eigentlich nichts für mich. Dort fühle ich mich oft nicht besonders wohl. Ich brauche sehr viel Zeit für mich alleine.« »Verstehe.« Ich nickte ihm zu. Er stützte sich auf seinem Ellbogen ab und beobachtete mich eine Weile.

Schließlich drückte er seine Kippe aus, drehte er sich um und wollte zurück in Alex' Wohnung gehen. »Warte!«, rief ich, »willst du nicht noch ein bisschen hierbleiben?« Stille. ›Hilfe, hatte ich das wirklich gesagt?‹, schoss es mir in der nächsten Sekunde durch den Kopf.

Auch mein Gegenüber wirkte sichtlich überrascht. »Hast du etwa Angst so ganz alleine da oben zu sein?«, neckte er mich. »Ähm, nein. Natürlich nicht! Ich war schon lange vor dir alleine hier und bin bisher gut zurecht gekommen«, protestierte ich und funkelte ihn an.

Vielleicht legte ich doch lieber keinen Wert auf seine Anwesenheit, wenn er mir so kam. Ich hatte ehrlich gesagt keine echte Erklärung dafür, warum ich wollte, dass er bei mir blieb. Ich wusste ich selbst nicht. Möglicherweise, weil ich mich ein bisschen einsam fühlte. Der Unbekannte schien zu spüren, dass mir die Situation unangenehm war und wechselte daher das Thema.

Er setzte sich in eine Ecke, in der mehrere Sitzsäcke und Kissen lagen und deutete mir mit einer Handbewegung an, mich zu ihm zu setzen. Zwischen unseren Körpern war jetzt nur noch knapp ein halber Meter Abstand, doch mich störte es seltsamerweise nicht, dass der fremde Mann mir so nah war.

Der Unbekannte neben mir erzählte, dass er ebenfalls Rapper und seit einigen Jahren eng mit Alex, John und den anderen Mitgliedern der 187 Strassenbande befreundet war. Er lebte im Gegensatz zu den anderen jedoch nicht in Hamburg. Schade eigentlich. Aber das erklärte auch, wieso ich ihn noch nie zuvor in Alex' Umfeld gesehen hatte.

»Und du kennst wirklich weder mich noch die Songs, die ich gemacht habe?«, hakte er stutzig nach, »die laufen doch mittlerweile in fast jedem Club. Normalerweise bin ich es eher gewohnt, dass die Leute komplett ausflippen, wenn sie mich oder einen der 187er Jungs sehen.«

»Nein, nie davon gehört und dich habe ich vorher auch noch nie gesehen. Ich gehe genauso wie du nicht besonders gerne feiern und interessiere mich ehrlich gesagt kaum für Deutschrap. Außerdem bin ich seit Jahren gut mit Alex befreundet, wieso sollte ich also ausrasten, wenn ich ihn sehe?« Bei dieser Vorstellung musste ich grinsen. »Für mich bist du eine ganz normale Person. Ist das so schlimm?« Der Unbekannte tat fast so, als würde ich hinter dem Mond leben, bloß weil ich ihn nicht kannte!

»Okay, schon gut. Ich bin eigentlich sehr froh darüber. Weißt du, hin und wieder ist es ziemlich anstrengend dauernd erkannt zu werden und es ist oft schwierig herauszufinden, wem du wirklich vertrauen kannst oder welche Leute sich nur für dich interessieren, weil du ein bekannter Rapper bist.« Er lächelte mich zum ersten Mal an. Die restliche Zeit wirkte er eher ernst und nachdenklich.

Wir redeten hauptsächlich über oberflächliche Themen und obwohl der Unbekannte nicht besonders viel Privates von sich preisgab - nicht einmal seinen Namen hatte er mir verraten - hatte ich das Gefühl, dass wir uns in einigen Dingen sehr ähnlich waren. Er wirkte sympathisch, aber auch geheimnisvoll und das machte ihn so interessant.

Nach einiger Zeit saßen wir nur noch schweigend nebeneinander in unseren Sitzsäcken und starrten in den funkelnden Sternenhimmel. Jeder hing seinen Gedanken nach. Es war nichts zu hören außer ein paar vorbeifahrende Autos und das gleichmäßige Atmen des Mannes neben mir, dessen Namen ich immer noch nicht kannte.

Ich schloss meine Augen und spürte auf einmal die Müdigkeit aufkommen. Deshalb zwang ich mich dazu wach zu bleiben und hob meine Lider wieder an. Im Laufe der Zeit funktionierte dies allerdings immer schlechter und der Alkohol tat sein Übriges. Schließlich sackte mein Kopf zur Seite, blieb an etwas Weichem liegen und ich schlummerte tief und fest.

Wenig später wurde ich davon wach, dass ich hochgehoben und irgendwo hin getragen wurde. Ich öffnete meine Augen und schaute panisch auf.

Ich denke mal im Gegensatz zu Sarah dürften die meisten von euch jetzt wissen, wer ihr dort oben begegnet ist😉

Wie ist euer Eindruck von Sarah und dem Unbekannten bisher?

Wie ihr vielleicht schon gemerkt habt, halte ich meine Kapitel immer etwas kürzer, dafür werden aber relativ viele kommen. Allerdings dauert es immer ein bisschen bis etwas 'spannendes' passiert, weil ich einige Übergangskapitel dabei habe, damit die Handlungen auch sinnvoll und nachvollziehbar sind.

In meiner Wolke | 1raf7Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt