15 | Der nächste Morgen

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Als ich wach wurde, brauchte ich mehrere Versuche meine Augen zu öffnen und mich an die Helligkeit im Zimmer zu gewöhnen. Raphael hatte die Jalousien nicht heruntergefahren. So schien die pralle Sonne ins Zimmer und direkt in mein Gesicht. Ich drehte mich zur linken Seite und tastete mit halb geschlossenen Augen auf dem Laken herum.

Es fühlte sich kalt an und war leer. Raphael musste wohl schon aufgestanden sein. Seufzend blieb ich noch einige Minuten liegen und genoss die warmen Sonnenstrahlen auf meiner Haut. Da mein Magen grummelte und ich mich total hungrig fühlte, stand ich auf. Nur in Raphaels Cørbo T-Shirt bekleidet, welches mir bis zur Mitte der Oberschenkel reichte, machte ich mich auf den Weg ins Wohnzimmer mit angrenzender Küche.

Raphael war tatsächlich hier. Er saß mit dem Rücken zu mir auf einem Stuhl am Esstisch, hatte eine Tasse Espresso sowie einen Teller mit Rührei vor sich stehen und tippte auf seinem Handy herum. Er hatte mich bisher nicht entdeckt. Ich beschloss, ihn ein wenig zu erschrecken, und schlich mich von hinten an.

»Buh!«, machte ich laut. Raphael ließ vor Schreck sein Handy fallen und drehte sich mit bösem Blick zu mir um. »Bist du wahnsinnig mich so zu erschrecken? Ich hab fast einen Herzinfarkt gekriegt«, fuhr er mich an. »Dir auch einen guten Morgen. Wie man sieht, sitzt du ja noch hier und lebst«, gab ich zurück. Raphael fand das Ganze wohl nicht so lustig.

»Nimm dir Essen aus der Pfanne, wenn du willst.« Nach wenigen Minuten kam ich mit einem Teller voll Rührei, etwas Brot und einem Glas Wasser zu ihm zurück. »Setz dich«, befahl er kühl und deutete auf den Platz gegenüber von sich. Ich wartete darauf, dass er noch etwas sagte, doch er gab kein Wort von sich. Schweigend saßen wir uns gegenüber und aßen. Die Stimmung war bedrückend. Nur das Klappern des Bestecks war zu hören.

Ich verstand überhaupt nicht, weshalb Raphael auf einmal so unfreundlich und abweisend zu mir war. War es wirklich so schlimm gewesen ihn zu erschrecken? Es war lediglich als kleiner Spaß gedacht. Ich wollte ihm nichts Böses. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus.

»Raphael, bitte rede mit mir.« »Was willst du?«, fragte er kalt. »Dass ich dich eben erschreckt habe, tut mir leid. Ich wusste nicht, dass das so schlimm für dich ist und ...«, versuchte ich mich zu entschuldigen, doch er schnitt mir das Wort ab. »Darum geht es nicht. Das bin ich von Freunden gewohnt.« »Worum dann?«, hakte ich nach.

»Ach, lass mich doch in Ruhe!« Ich spürte, dass er ziemlich gereizt war.
Raphael starrte wie hypnotisiert auf seinen Teller. »Geht es um die letzte Nacht? Geht es um deine Albträume?« Ich hatte scheinbar ins Schwarze getroffen, denn er sah mich auf einmal mit einem undefinierbaren Blick an.

»Verdammt. Mir ist das total peinlich, wie ich mich letzte Nacht verhalten habe. Ich bin nicht so hilflos und verletzlich wie es vielleicht gewirkt hat und ich will auch gar nicht wissen, was du jetzt von mir denkst. Ich habe das schon immer mit mir selbst ausgemacht und mir ging es gut damit. Erzähl das bitte auf keinen Fall irgendjemanden. Vergiss es am besten. Ich will nicht als RAF Camora der Jammerlappen dastehen, der wegen einem beschissenen Albtraum rumheult wie ein kleines Kind«, brach es aus ihm hervor. Das war es also. Ich griff nach seiner Hand, die er auf dem Tisch gelegt hatte.

»Halte mal für einen Moment dein verfluchtes Ego zurück, Raphael, und hör mir zu. Du bist ein Mensch und kein Roboter ohne Emotionen. Es ist nicht schlimm, Gefühle zu zeigen und zuzulassen. Ich tue mir damit manchmal schwer, genauso wie du scheinbar auch. Du brauchst echt keine Bedenken zu haben. Das habe ich dir vor ein paar Stunden schon gesagt. Versuche dich bitte nicht herauszureden, von wegen du bist nicht so. Wir wissen beide, dass das nicht der Wahrheit entspricht. Das hat man letzte Nacht gesehen und man hört deine Ängste und Sorgen auch teilweise aus deinen Songs heraus. Du kannst nicht immer nur alles in dich reinfressen. Mir ist es lieber, wenn du dich mir gegenüber öffnest und nicht auf Krampf versuchst dich zu verstellen, um wie der coole, unnahbare Rapper zu wirken. Das bist du nämlich nicht. Also schon cool, aber eben nicht unverwundbar. Hab dieses Image meinetwegen vor der Öffentlichkeit, wenn es dir wichtig ist, aber nicht im Privaten vor deiner Familie und deinen Freunden«, machte ich ihm eine klare Ansage.

In meiner Wolke | 1raf7Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt