Nach einer relativ kurzen Fahrtzeit hielt Abudi vor einem hellgelb gestrichenen, etwas renovierungsbedürftigem Gebäude an. »Das hier«, erklärte Raphael, »ist das Haus, in dem ich aufgewachsen bin. Geibelgasse 3. Wir kamen direkt von Vevey hier her. Dort oben war mein Zimmer. Als meine Schwester ein bisschen älter geworden ist, habe ich es mit ihr teilen müssen.« Er zeigte auf eines der vielen kleinen Fenster mit dem leicht abgeblätterten weißen Lack.
»Später sind wir auch noch ein paar Mal umgezogen, aber immer innerhalb des Bezirks.« Wir stiegen aus und schlenderten zu dritt ein wenig durch die Gassen. »Da hinten, ein paar Straßen weiter, befindet sich Pizza Mafiosi. Dort haben ich und meine Jungs so oft nach der Schule oder am Wochenende gegessen. Immer haben wir unsere letzten Schillinge zusammengekratzt und wenn es nicht gereicht hat wurde geteilt, sodass alle satt werden konnten. Ich habe bestimmt schon gut 100.000€ da reingesteckt, theoretisch müsste mir der Laden gehören«, lachte er.
Ich fand es wahnsinnig interessant, was Raphael über seine Kindheit zu erzählen hatte und auch er schien Gefallen daran zu finden, in alten Erinnerungen zu schwelgen. »Schau mal, da hinten ist ein Park. Wollen wir dort mal lang gehen? Vielleicht sind wir da etwas ungestörter«, schlug ich vor, nachdem Raphael schon vier Mal innerhalb von 10 Minuten von Fans angesprochen wurde. Dieser lachte kurz auf. »Amore, das ist der Dadlerpark. Da hab ich bis jetzt jedes Mal mindestens 10 bis 20 Fans getroffen, also werden wir dort heute sicher auch nicht ungestört sein. Außerdem ist es zu gefährlich für dich. Zu viele Junkies und Dealer. Keiner von denen soll meine Freundin anmachen.«
Also gingen wir zurück zum Auto und fuhren weiter durch Fünfhaus. Raphael zeigte mir seine alte Schule, den Westbahnhof, an dem er früher sein Geld mit Drogen dealen sowie dem Klau und Verkauf von über 400 Fahrrädern verdient hatte und die Mariahilfer Straße, einer der Haupteinkaufsmeilen in Wien mit unzähligen Geschäften, Boutiquen, Restaurants und Cafés. Zu allem hatte er lustige, interessante oder auch traurige Geschichten zu erzählen, manchmal auch bereichert durch Ergänzungen von Abudi.
»Man merkt wirklich, dass dir dieser Bezirk unfassbar viel bedeutet. Ich finde es gut, auch mal eine andere Seite von Wien zu sehen und was du damit verbindest«, sagte ich nach einer Weile. Raphael drehte sich zu mir und musterte mich nachdenklich.
»Schau, das hier erleben nur die wenigsten Touristen in Wien. Die meisten gehen nicht in die Randbezirke und bekommen von den Schattenseiten kaum etwas mit. Wir haben eine sehr zweigeteilte Gesellschaft hier. Zum einen die Wiener, die in der Innenstadt und den zentrumsnahen Bezirken wohnen und meist wohlhabend und gut gebildet sind. Dann gibt es uns hier, zum Beispiel den 15. Bezirk, etwas weiter außerhalb vom Kern, dominiert von vielen Ausländern, größtenteils vom Balkan, mit teilweise sehr unterschiedlichen Chancen im Leben und sicher nicht den besten. Sie sind viel unter sich in ihrem Bezirk und verlassen ihn auch nicht so oft. Die meisten Menschen hier sind nicht sehr wohlhabend, es gibt viele Arbeitslose. Daher geraten einige gut und gerne mal auf die schiefe Bahn. So war es zumindest in meiner Jugend, damit bin ich aufgewachsen. Aber trotz allem sind viele herzensgute Menschen dabei, die ich noch von früher kenne. Unter anderem leben dort auch meine Brüder, meine wahren Freunde fürs Leben, die ich teilweise schon seit meiner frühen Jugend kenne. Mittlerweile hat sich die Situation aber deutlich gebessert im Vergleich zu der Zeit, in der ich im 15. gelebt habe«, erklärte Raphael ausführlich.
Abudi nickte zustimmend und schlug mit ihm ein. »Wow, krass. Ich hätte nie damit gerechnet, dass diese Stadt so extrem unterschiedlich, so facettenreich ist, vor allem was du über Fünfhaus erzählt hast. Ich finde es hier nämlich eigentlich auch recht schön. Aber man sieht schon einen Unterschied zu der Gegend, in der unser Hotel liegt.«
»Ja das stimmt. Es hat sich allerdings vieles verändert in den letzten Jahren. Auch ich hatte eine schwierige Kindheit und Jugend, hab viel Scheiße gebaut und wäre beinahe falsch abgebogen. Mit 12 hab ich das erste Mal Drogen genommen, war in der Jugend kleinkriminell und habe, wie du weißt, ein Jahr lang auf der Straße gelebt. In der Zeit bin ich auch mal nach Marseille abgehauen. Ich hatte zwar immer meine Jungs um mich herum, aber die meisten von ihnen waren auch nicht besser. Wir haben einige Dinge getan, die nicht in Ordnung waren, nur um an Geld zu kommen.
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In meiner Wolke | 1raf7
FanfictionDie 29-jährige Sarah Brändtlein lebt in Hamburg und ist die beste Freundin von Alex, dem berühmten Rapper der 187 Strassenbande. Auf seiner Geburtstagsparty lernt sie einen seiner Freunde kennen und ist sofort fasziniert von ihm. Einen Monat später...