29 | Missverständnisse

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Sarahs Sicht

Ich hatte Raphael insgesamt acht Tage Zeit gelassen und hoffte, dass er inzwischen eine Entscheidung getroffen hatte. Zugegeben, ich hatte Angst, dass er sich gegen uns entscheiden würde und nichts mehr von mir wissen wollte. Schon unser erstes Aufeinandertreffen nach dem Streit war nicht sonderlich positiv verlaufen.

Ich war ultra nervös als ich in der U-Bahn saß und am frühen Vormittag erneut zu Raphaels Wohnung fuhr. Um mich etwas abzulenken, schaute ich mir einige Instagram Stories an. Alex machte mit John und Maxwell den Kiez unsicher, Amina war wieder gesund und auf dem Weg in den Urlaub und Raphael war gestern feiern gewesen.

Auf einmal stach mir etwas anderes ins Auge und ich klickte mich zurück zu Joshis Beiträgen. Eines der letzten Videos zeigte einen Club von innen. Es war der gleiche, in dem auch Raphael war. Es lief laute Musik und im Hintergrund war am Ende ganz deutlich Raphael zu erkennen, der in einem Loungesessel saß. Mit einer fremden Blondine auf dem Schoß, die ihm immer näherkam.

Meine Augen weiteten sich und ich packte angewidert mein Handy weg. Ich konnte und wollte nicht länger hinsehen. Offenbar hatte Raphael sich schon entschieden und vergnügte sich derweil bereits mit anderen Weibern. Eine unbändige Wut stieg in mir auf. Ich realisierte, dass ich die ganze Zeit recht hatte mit meinem Vorwurf, dass er viel eher fremdgehen würde, wenn wir in einer Beziehung wären.

Diese Erkenntnis traf mich mit voller Wucht. Warum hatte er nicht mal den Anstand sich mich mit mir auszusprechen und zu erklären, dass das mit uns nichts werden würde, bevor er sich an die nächste ranschmiss? Tränen stiegen mir in die Augen, während ich die Treppen nach oben und aus dem Bahnhofsgelände hinauslief.

Ich war auf 180 und marschierte trotz meines inneren Widerstandes zügig zu Raphaels Wohnung, um ihn zur Rede zu stellen. Dieses Mal klingelte ich zur Vorwarnung und stieg danach in den Aufzug. Ich wollte erstmal so tun, als hätte ich nichts von seiner neuen Flamme mitgekriegt, und abwarten, ob Raphael von alleine mit der Sprache herausrückte.

Kurz darauf wurde die Tür einen Spalt weit geöffnet und Raphael lugte hervor. »Darf ich reinkommen?«, fragte ich gezwungen höflich. ›Oder störe ich dich mit deiner neuen Freundin‹, dachte ich den Satz zu Ende. Erstaunlicherweise bat er mich ohne zu zögern hinein. »Das kommt zwar gerade etwas ungelegen, aber bitte, trete ein.« Natürlich kam ich unpassend, wenn vermutlich eine andere Frau gerade im Bett auf ihn wartete. Ich zog meine Jacke aus und folgte Raphael ins Wohnzimmer.

Er bot mir einen Platz auf seinem Sofa an. »Was gibt's denn?« »Ich wollte nur noch mal mit dir reden. Du weißt schon, wegen unseres Streits«, meinte ich scheinheilig freundlich. Mein Blick fiel auf das linke Fußende der Couch. Dort an der Ecke stand eine große cognacfarbene Damenhandtasche aus Leder von Michael Kors. »Wem gehört die?«, fragte ich direkt, deutete auf das Accessoire und musterte Raphael kritisch. Ich wollte sehen, ob er die Wahrheit sagte oder mich anlog.

Die Antwort konnte ich mir aber schon denken. Er schob die Tasche schnell mit dem Fuß zur Seite und somit aus meinem Blickfeld. »Es ist nicht so wie du denkst«, sagte er verzweifelt. »Nein, natürlich nicht und ich bin der Papst. Was Besseres ist dir nicht eingefallen«, gab ich bissig zurück. »Sarah, bitte, du musst mir glauben. Die Tasche gehört meiner Schwester. Wir waren verabredet. Sie müsste jeden Moment wieder vom Bäcker zurück sein. Ihre Tasche wollte sie nicht mitnehmen, da sie zu schwer gewesen wäre.«

»Lüg mich nicht an, Raphael. Glaubst du, ich habe nicht mitbekommen, dass du gestern feiern warst und irgendeine Bitch abgeschleppt hast, die sich an dich rangeschmissen hat? Die Tasche gehört deinem One-Night-Stand und nicht deiner Schwester. Schlimm genug, dass du mir nicht einfach sagst, dass du kein Interesse an mir oder einer Beziehung hast und dich in Zwischenzeit längst mit anderen Frauen vergnügst, nein, du kannst nicht mal dazu stehen und kommst mit billigen Ausreden an«, redete ich mich in Rage.

In meiner Wolke | 1raf7Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt