59 | Letzter Song

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Sarahs Sicht

Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich bei einer kompletten Tour dabei sein durfte. Der Einblick hinter die Kulissen, egal ob im Tourbus oder Backstage, das Fahren von Stadt zu Stadt und die Übernachtung in den verschiedensten Hotels - all das war neu für mich. Raphael hatte ein großes Team dabei und oft hockten wir stundenlang auf engstem Raum zusammen. Auch wenn ich mit allen Leuten zurechtkam, war ich froh, wenn ich abends mal mit Raphael alleine war.

Die Show, welche er jedes Mal aufs Neue wieder ablieferte, war fantastisch. Raphael hatte wirklich alles bis ins letzte Detail durchgeplant. Da die letzten beiden Konzerte eine Doppelshow in Berlin waren, hatten wir zuhause in unserer Wohnung geschlafen. Wir waren bereits an der Halle angekommen und mein Freund hatte soeben den Soundcheck absolviert. Anschließend aßen wir eine Kleinigkeit und dann würde das allerletzte Konzert beginnen.

»Gib heute noch mal alles und reiß die Halle ab«, flüsterte ich ihm zu, schlang meine Arme um ihn und verwickelte ihn in einen Kuss. Heute war Raphael besonders aufgeregt, doch als der Vorhang fiel und er auf der Bühne stand, war all das vergessen. Wie immer stand ich mit Abudi, Momo, Joshi und einigen anderen Freunden von Raphael hinter der Bühne und beobachtete alles.

Wie er rappte, wie er sich elegant auf der Bühne bewegte und herumsprang, wie er mit den Fans interagierte, die Vibes; all das sog ich in mir auf und konnte kaum genug davon kriegen. Seine Energie, das Adrenalin, welches durch seinen Körper pumpte, konnte ich förmlich spüren. Er schaffte es, über 12.000 Menschen völlig in seinen Bann zu ziehen. Die Stimmung war herausragend. Von einem Konzert zum nächsten setzte er immer noch einen drauf. Kaum zu glauben, dass das nun das letzte Konzert und somit seine Liveshows für immer vorbei waren. Nach zwei Stunden beendete er schließlich den Auftritt. Ich wusste, was nun folgte. Raphaels Abschlussrede.

»Berlin, ein ganz ganz großes Dankeschön an euch. Ihr wart unglaublich! Das war mein allerletzter Auftritt und ich bin sehr stolz auf euch. Am 15.03.2007 bin ich von Wien hierhergezogen, mit dem großen Wunsch, dass meine Musik in Deutschland respektiert wird und ich es schaffen würde. Ich kam hier an und lebte anfangs in einer kleinen 10 m² Wohnung ohne Strom und fließendes Wasser und hatte kaum Geld. Wenn ich irgendwo gespielt hatte und es hoch kam, waren mal 50 oder 100 Leute bei meinen Auftritten. Manchmal sogar nur 20. Aber ich habe nie aufgegeben und immer an meinen Traum geglaubt.

Nach vielen Auf und Abs und dreizehn Jahren später kann ich endlich sagen, dass ich es tatsächlich geschafft habe. Mit Bonez habe ich 2016 Dancehall nach Deutschland gebracht. Keiner hat an uns geglaubt und alle haben uns für verrückt gehalten, aber schaut euch an, was daraus geworden ist. Wir sind nicht abgehoben, aber wir wissen, dass wir die Deutschrapszene nachhaltig verändert haben. Primo - wir waren die Ersten! Ich habe alles erreicht, sogar mehr, als ich wollte und mir je träumen lassen konnte, und daher bin ich sehr dankbar, heute hier stehen zu können vor über 12.000 Menschen.

Was in den letzten Jahren passiert ist, ist unfassbar krass und manchmal kann ich es selbst noch gar nicht glauben. Daher ist es jetzt, am Zenit meiner Karriere, Zeit für mich zu gehen und Platz zu schaffen für neue Künstler. Ich werde mich ab jetzt neuen Zielen widmen, als Manager und Produzent arbeiten und mich vor allem um mein Privatleben kümmern, welches ich in den letzten Jahren häufig für meine Karriere opfern musste.

Ich danke Bonez für seine Loyalität, Kreativität und Treue. Er war über Jahre ein wichtiger Wegbegleiter und guter Freund. Ohne ihn und die 187 Strassenbande wäre ich heute nicht mehr hier. Ich danke all meinen Brüdern aus Wien, Hamburg und Berlin, die mich teilweise schon mein halbes Leben lang begleiten und stets hinter mir stehen. Danke an das Team hinter dem Team, welches dafür sorgt, dass auf Tour alles reibungslos abläuft sowie an meine Produzenten und alle, die mich bisher begleitet haben. Shaho, dir möchte ich auch ganz besonders danken für deine Arbeit. Ich kenne niemanden, der solche heftigen Musikvideos drehen kann. Du bist einer der besten überhaupt in meinen Augen. Ich danke außerdem meinem Geschäftspartner Ronny Boldt für sein Vertrauen, seine Unterstützung und für das, was wir beide geschaffen haben. Auf dass die Zukunft unserem Label gehört.

In meiner Wolke | 1raf7Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt