14 | Albträume

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Vorab: Es wird nicht das, womit die meisten gerechnet haben. Ich bin aber mal sehr auf eure Reaktion gespannt.

Ich zuckte erschrocken zusammen. Auf einmal war ich hellwach. Ein weiterer Schrei erklang. Dieses Mal noch etwas leiser. Ich spitzte die Ohren. Es schien aus dem Schlafzimmer zu kommen. Ich eilte in die Richtung, aus der ich die Geräusche vermutete und öffnete schließlich die Schlafzimmertür. Ich blieb im Türrahmen stehen und warf einen Blick in den Raum. Mir bot sich ein ungewöhnliches Bild.

Raphael lag auf der rechten Betthälfte und schien auf den ersten Blick zu schlafen. Allerdings schlug er immer wieder verzweifelt um sich, wälzte sich im Bett hin und her und stöhnte zwischendurch. Sein Gesichtsausdruck wirkte gequält.

Auf einmal durchfuhr mich ein Geistesblitz. Raphael hatte mir vor kurzem etwas von Albträumen erzählt, die ihn in der Vergangenheit immer mal wieder geplagt hatten. Kurzerhand kletterte ich auf die linke Seite des großen Boxspringbettes und versuchte vorsichtig ihn zu beruhigen, indem ich eine Weile seine Arme festhielt, damit er nicht mehr herumfuchteln konnte. Dann rüttelte ich ihn sanft an der Schulter und schaffte es, ihn nach einiger Zeit mit leisen »Raphael! Raphael, wach auf!« Rufen wach zu kriegen.

Ruckartig setzte er sich kerzengerade im Bett auf. »Oh mein Gott. Fuck!«, stieß er hervor und keuchte hektisch. »Hey, ganz ruhig. Alles wird gut, Raphael. Ich bin bei dir. Was ist denn passiert?« Sanft drückte ich ihn wieder zurück ins Kissen. Mehrere Schweißperlen tropften von seiner Stirn. Ich stand auf und kehrte kurz darauf mit einer Wasserflasche und einem kalten, nassen Tuch zu ihm zurück.

Raphael lag auf dem Kopfkissen und starrte mit leerem Blick an die Decke. Ich kniete mich auf die Matratze neben ihn und tupfte ihm vorsichtig mit dem Tuch über die Stirn. Anschließend reichte ich ihm die Wasserflasche und half ihm dabei, sich richtig aufzusetzen, indem ich ihm sein Kissen zur Stütze in den Rücken schob. Er stellte die Flasche schließlich auf dem Nachttisch neben seinem Bett ab.

Noch immer sagte er nichts, lehnte sich jedoch an mich, sodass ich nun einen Arm um ihn legte und ihn beruhigend streichelte. So saßen wir mindestens 20 Minuten da, bis Raphael sich schließlich wieder ein bisschen aufrichtete, etwas Abstand zwischen uns brachte und sich an das Kopfende vom Bett lehnte.

»Magst du mir erzählen, was passiert ist? Hast du schlecht geträumt?«, wiederholte ich meine Frage von vorhin und strich ihm ein paar Haarsträhnen zur Seite, die ihm ins Gesicht gefallen waren. Er nickte und räusperte sich kurz: »Ich habe dir ja schon mal erzählt, dass ich früher immer wieder Albträume hatte. Ich dachte, das wäre mittlerweile vorbei, da ich schon sehr lange keine mehr gehabt habe. Aber scheinbar doch nicht«, berichtete er mit leiser Stimme. »Ich weiß und das tut mir so leid«, erwiderte ich mitfühlend.

»Weißt du«, meinte Raphael, »diese Albträume und die wieder aufkommenden Erinnerungen machen mir Angst. Sie sind manchmal so schmerzvoll und ich kann sie nicht abstellen. Ich fühle mich dann immer so hilflos.« Seine Augen verdunkelten sich und er schaute verzweifelt umher. Er tat mir so unglaublich leid. Ich wünschte, ich könnte ihm alles Schlechte nehmen.

»Was ist in deinem Traum passiert? Du kannst gerne mit mir darüber reden, wenn du möchtest. Ich bin für dich da. Glaub mir, das hilft.« Unsicher blickte er zu mir. »Ich habe kein Problem damit«, bestätigte ich ihm und nickte.

Raphael atmete mehrmals tief durch und begann zu erzählen: »Das, was ich geträumt habe, habe ich vor einigen Jahren wirklich so erlebt. Ich glaube 2001 war das. Ich habe damals noch in Wien gelebt, war alleine zuhause und schlief. Ich hatte schon damals, in dieser Nacht, einen Albtraum gehabt. Auf meinem Nachttisch stand eine Kerze. Ich musste wohl vergessen haben sie auszumachen, bevor ich eingeschlafen bin. Als ich irgendwann morgens aufgewacht bin, stand mein komplettes Zimmer in Flammen. Selbst das Kopfkissen, auf dem ich geschlafen hatte, brannte. Es war eine unerträgliche Hitze. Natürlich hatte ich versucht, alles in Schach zu halten und die Feuerwehr gerufen, die den Brand schließlich gelöscht hat. Ich hatte unglaublich großes Glück, dass meine Dreadlocks, die ich damals hatte, nicht Feuer gefangen haben und mir nichts passiert ist. Denn genau kurz vor der Stelle, wo mein Kopf lag, hatte es nicht gebrannt. Das hat mich natürlich extrem in meinem Glauben an Gott gestärkt. Er muss mir einen Schutzengel geschickt haben, sonst wäre ich womöglich bei diesem Brand umgekommen. Und jetzt? Jetzt habe ich wieder geträumt, wie ich allein inmitten von diesem Flammenmeer in meinem Bett gefangen war. Es war so schrecklich heiß. Ich hatte das Gefühl zu verbrennen. Die Flammen haben nach mir gegriffen. Ich wollte mich wehren, wollte wegrennen, aber ich konnte mich keinen Zentimeter bewegen. Das Feuer ist immer näher gekommen und ...« Raphael stockte und schluchzte auf.

Ich zog ihn sogleich wieder in meine Arme und wischte mit meinem Daumen seine Tränen von der Wange. Die ganze Zeit hatte ich aufmerksam zugehört und ihn nicht ein einziges Mal unterbrochen.

Ich schwieg betroffen. So etwas Krasses hatte ich nicht erwartet. Ich musste das erst mal verarbeiten. Raphael musste tief traumatisiert sein und schleppte diese Ereignisse aus seiner Vergangenheit wohl bis heute in seinem Unterbewusstsein mit. Und jetzt waren sie wieder zurück an die Oberfläche gekehrt.

»Raphael, atme tief ein und aus. Ganz langsam. Es ist jetzt vorbei, dir passiert nichts mehr«, redete ich leise auf ihn ein, da er immer noch total aufgeregt war. Ich merkte, dass er meine Zuwendung gerade dringend benötigte. Immer wieder trocknete ich seine Tränen, redete beruhigend auf ihn ein und irgendwann zeigten meine Worte schließlich ihre Wirkung.

»Danke, dass du mir davon erzählt hast. Das war sicher nicht leicht für dich. Ich kann dir die Albträume und deine Ängste leider nicht nehmen, so gerne ich es auch würde. Aber du musst wissen, dass ich immer für dich da sein werde, wenn du mich brauchst und darüber reden willst oder wenn du wieder welche hast«, sprach ich meine Gedanken aus.

»Vielen Dank«, murmelte er und sah mich eindringlich mit seinen leicht geröteten Augen an. »Danke, dass du für mich da bist. Ich könnte jetzt sagen, dass ich eigentlich nicht will, dass du mich so siehst und es stimmt auch – aber trotzdem bin ich froh, dass du gerade bei mir bist. Ich weiß das sehr zu schätzen. Normalerweise war ich in diesen Situationen immer alleine. Keiner war für mich da und auch keiner hätte es wirklich verstanden. Ich bin dann immer wach geblieben und habe bis in den frühen Morgen an meiner Musik gearbeitet. Ich hatte lange Zeit Angst davor zu schlafen, aufgrund der Albträume. Die Nächte waren der Horror für mich.«

Er drehte sich zu mir und strich mir sanft über die Wange. Seine Berührung löste ein angenehmes Kribbeln in meiner Magengegend aus. »Ich würde ja zu gerne mal sehen, wie du mit Dreadlocks ausgesehen hast. Das kann ich mir gar nicht vorstellen«, wechselte ich geschickt das Thema.

Zum Glück sprang er sofort darauf an. »Ich kann dir morgen mal ein paar Bilder zeigen. Mittlerweile würde ich das nicht mehr machen. Ich weiß ehrlich gesagt überhaupt nicht, wie ich damals auf diese Idee kam.«

Wir blieben noch eine ganze Weile wach. Raphael lag immer noch halb in meinen Armen und hatte seinen Kopf an meiner Schulter abgelegt, während ich mit dem Rücken am Kopfende seines Bettes lehnte. Keiner von uns sprach ein Wort. Wir verstanden uns auch stumm ausgezeichnet und ich spürte, dass Raphael nicht reden wollte. Ihm war die ganze Situation auch jetzt noch sichtlich unangenehm.

Ich hatte heute eine ganz neue Seite an ihm entdeckt. Er, der sonst so große, starke Raphael, den von außen nichts so leicht aus der Ruhe brachte, war im Inneren sehr wohl ziemlich verletzlich. Was er gesehen und erlebt hatte, hatte tiefe Spuren hinterlassen. Meistens konnte er dies recht gut verbergen, aber in manchen Momenten zeigte er seine schwache Seite, bei der er stark unter seinen Albträumen und den Folgen davon litt.

»Wir sollten wirklich langsam mal schlafen gehen«, unterbrach ich nun die Stille, nachdem ich einen Blick auf die Uhr geworfen hatte. Raphael sah mich entsetzt an. »Schau nicht so. Wir haben beide dringend ein paar Stunden Schlaf und Ruhe nötig. Deine Augenringe reichen bereits jetzt schon gefühlt bis nach Wien«, schmunzelte ich. Er sah wirklich extrem übermüdet und erschöpft aus.

»Du brauchst keine Angst mehr zu haben. Ich bin bei dir und passe auf dich auf. Und wenn ich wachbleiben muss, bis du eingeschlafen bist, dann mache ich das. Es wird heute Nacht nicht noch mal vorkommen.« Ich löschte das Licht seiner kleinen Lampe, die auf dem Nachttisch neben dem Bett stand.

Und tatsächlich sollte ich recht behalten. Nach etwas mehr als einer halben Stunde war Raphael eng an mich gekuschelt eingeschlafen. Er hatte einen Arm um mich gelegt. Sein Brustkorb hob und senkte sich gleichmäßig. Also schloss ich ebenfalls meine Augen und begab mich an Raphaels Seite ins Land der Träume.

Uff... was für ein Kapitel. Ich muss sagen, es ist bisher eines meiner Favoriten. Hab es locker 10 Mal gelesen. Was sagt ihr dazu?

Funfact: Ich schreibe alle meine Geschichten nur nachts, da habe ich einfach mehr Ideen und kann auch solche emotionalen Dinge besser schreiben und rüberbringen. Dieses Kapitel habe ich z.B. um ca. 2:30 Uhr angefangen.

Hier mal kurz Werbung in eigenem Interesse: Wer von euch Instagram hat, kann gerne mal auf meiner Seite @421_art vorbeischauen, dort habe ich u.a. eine Zeichung von Raf gepostet.❤

Und zu guter Letzt: Wer es noch nicht wusste; der Albtraum von dem Raf in dem Kapitel erzählt hat, beruht auf einer wahren Begebenheit. Nachzuhören im oben eingefügten Video ab Minute 33:44

In meiner Wolke | 1raf7Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt