16 | Seltsames Verhalten

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In den darauffolgenden Tagen und Wochen konnten wir nicht viel gemeinsame Zeit verbringen, da Raphael fast täglich im Studio war. Ich hingegen musste arbeiten, zur Uni gehen und viel lernen. Es war mittlerweile Anfang Dezember und bald würde ich meine ersten Prüfungen schreiben müssen.

Gestern hatten sowohl Raphael als auch ich einen freien Tag und so nutzten wir die Gelegenheit, um uns zu verabreden. Ich hatte irgendwie das Gefühl, dass ich mittlerweile etwas mehr als nur sehr gute Freundschaft für Raphael empfand. Jedes Mal wenn ich ihn sah, schlug mein Herz höher. Ich freute mich riesig auf jedes Treffen und vermisste ihn, wenn wir uns nicht sehen konnten.

Meine Freundin Amina war sich ganz sicher, dass ich mich in ihn verliebt hatte. Ich wusste allerdings überhaupt nicht, wie Raphael zu der ganzen Sache stand und war mir selbst weder wirklich klar über meine Gefühle noch darüber, ob ich schon bereit wäre, mich wieder auf etwas Neues einzulassen.

Am Abend machte ich mir viele Gedanken über unser letztes Aufeinandertreffen. Raphael hatte sich die ganze Zeit über relativ merkwürdig benommen. Er war extrem unaufmerksam, weshalb er sich beinahe seinen Espresso über seine neue Trainingsjacke gekippt hätte. Zudem reagierte er mehrmals total abwesend oder bekam es gar nicht erst mit, wenn ich versuchte mit ihm zu reden.

Ich wunderte mich schon ziemlich über sein Verhalten und sprach ihn schließlich auch darauf an. Raphael erwiderte bloß, dass alles okay sei und er nur momentan viel Stress habe. Ich hatte jedoch das Gefühl, dass da noch etwas anderes war und er mir nicht die ganze Wahrheit sagte. Ich fand es schade, dass er nicht mit mir darüber reden wollte. Normalerweise vertrauten wir uns viel an und waren immer ehrlich zueinander. Hoffentlich hatte ich nichts falsch gemacht, aber mir fiel da auch ehrlich gesagt nichts ein.

Auch am nächsten Morgen ließen mich die Gedanken um Raphaels Verhalten nicht los. Ich war auf dem Weg zur Uni und musste mich in den nächsten sechs Stunden mir mehr oder weniger langweiligen Vorlesungen herumschlagen. So war ich wenigstens ein bisschen abgelenkt.

Als ich am frühen Nachmittag gegen 14:00 Uhr endlich Schluss hatte und vor das Universitätsgebäude trat, checkte ich zuerst mein Handy. Raphael hatte sich nicht gemeldet. Komisch, sonst schrieben wir täglich miteinander. Enttäuscht schob ich das Smartphone zurück in meine Tasche und fuhr nach Hause. Dort wartete noch ein riesiger Berg Abwasch auf mich, den ich in den letzten Tagen vergessen hatte zu beseitigen. Sobald ich damit fertig war, machte ich mich ans Lernen und bereitete zudem eine Präsentation vor.

Nachdem die Wörter vor meinen Augen so langsam begannen zu einem unleserlichen Buchstabensalat zu verschwimmen, kam ich zu dem Entschluss, dass ich dringend eine Pause brauchte. Mein Kopf rauchte schon und die Konzentration ließ ebenfalls nach. Ich beschloss, frische Luft zu schnappen und im Park spazieren zu gehen. Also schlüpfte ich kurzerhand in meine Winterjacke und meine dunkelblauen Stiefel, packte meine Handschuhe ein und ging los.

Die kühle, klare Winterluft umwehte mich und ich zog fröstelnd die Schultern hoch. Wenigstens hatte der Regen nach zwei Tagen endlich aufgehört. Nach gut zehn Minuten kam ich im nahe gelegenen Schlosspark an. Ich lief die langen, mit dunkelgrauen Kieselsteinen überzogenen Wege entlang.

Aus der Ferne ertönte fröhliches Kindergeschrei vom Spielplatz. Ich machte meine In-Ear-Kopfhörer rein, schaltete die Musik an und konzentrierte mich voll und ganz auf das Laufen. Es dämmerte bereits, als ich in den etwas abgelegeneren Teil des Parks kam, indem sich nur vereinzelt Menschen aufhielten.

Gerade wollte ich mich wieder auf den Weg zurück zum Ausgang machen, da es anfing zu nieseln, als ich plötzlich aus dem Augenwinkel eine dunkle Gestalt wahrnahm, die in einigen Metern Entfernung etwas abseits vom Weg gegen einen Baum gelehnt stand. Ich versuchte, mein aufkommendes unangenehmes Gefühl im Bauch zu unterdrücken und wollte schnell an der Person vorbeilaufen.

Während ich näher kam, stellte ich jedoch fest, dass mir der Mann, der dort stand, seltsamerweise bekannt vorkam. Seine Statur und seine Haltung erinnerten mich an jemanden. Die Person war komplett schwarz gekleidet, das Gesicht wurde von einer tiefsitzenden Cap verdeckt und er starrte mit gesenktem Kopf auf den Boden. Im nächsten Moment hob er seine Hand, um sich am Kopf zu kratzen. Der Ärmel seines Pullovers rutschte etwas hoch und dann sah ich es. Die Samuraifedern. Sein Tattoo. Schnellen Schrittes ging ich auf ihn zu.

»Raphael! Was machst du hier? Ist alles okay?« »Sarah ... ja ja alles in Ordnung. Passt schon«, murmelte er zerstreut. Er würdigte mich keines Blickes und fixierte weiterhin die Wiese unter seinen Füßen, die im immer stärker werdenden Regen langsam begann aufzuweichen. Ich hob sein Kinn leicht an und zwang ihn so, mir in die Augen zu sehen.

Bei seinem Anblick erschauderte ich. Nicht nur, dass er trotz der Kälte bloß einen dünnen Pullover sowie eine leichte Jogginghose trug - nein - viel mehr beunruhigten mich seine geröteten Augen und die tiefen Ringe, die sich darunter abzeichneten. Er sah traurig und total fertig aus. »Raphael, du kannst mir doch nicht erzählen, dass alles okay ist, wenn du in so einem Zustand bei strömenden Regen unter einem Baum im Park stehst und Löcher in den Boden starrst. Das nehme ich dir nicht ab. Sag mal, hast du geweint oder gekifft oder weshalb sind deine Augen so rot?«

Raphael räusperte sich. »Es ist wirklich nichts. Ich wollte nur meine Ruhe haben und nachdenken«, gab er kurz angebunden von sich. Besonders glaubwürdig wirkte er nicht und das merkte er wohl auch selber. Der Regen wurde mittlerweile immer stärker und das erste Grummeln des Donners ertönte. Ich legte eine Hand auf seinen Unterarm, der trotz des Pullovers eiskalt war.

»Du brauchst mir nichts vormachen. Gestern warst du schon so abwesend und hast zwischendurch kaum reagiert, wenn ich mit dir reden wollte. Meinst du ich habe das nicht gemerkt? Ich verstehe dich einfach nicht. Wenn du weiterhin hier stehenbleibst, macht es das auch nicht besser und du wirst höchstens krank. Komm erst mal mit zu mir, ich wohne sowieso ganz in der Nähe. Dann kannst du mir immer noch erzählen, was passiert ist.«

Im Grunde genommen wusste er, dass ich recht hatte. Er würde es sich nur nie eingestehen. »Ich möchte jetzt nicht darüber sprechen«, meinte er beharrlich. Mit so einer Antwort hatte ich schon gerechnet. Ich seufzte. Warum war er nur so stur? Raphael machte es sich damit nur selber unnötig schwer. »Wann verstehst du endlich mal, dass du deine Probleme nicht immer nur in dich reinfressen kannst? Aber lassen wir das jetzt, ich will mich nicht mit dir streiten und dich erst recht nicht nerven.«

Mittlerweile wusste ich aber auch, dass Raphael manchmal etwas Zeit brauchte, bis er mit der Sprache herausrückte. Ich wollte ihn eigentlich zu nichts drängen, aber ich machte mir Sorgen um ihn und mir war es wichtig, dass man sowohl in einer Freundschaft als auch in einer Beziehung offen und ehrlich über alles sprechen konnte. Diese Geheimniskrämerei schadete meist nur. Trotz seines anfänglichen Protests willigte er schließlich ein und folgte mir nach Hause.

Was ist wohl mit Raphael los?🤔

Könnt ihr eigentlich Sarahs Ansichten, dass sie immer gerne mit Raphael über alles reden will, verstehen oder nervt sie euch eher damit?

In meiner Wolke | 1raf7Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt