57 | Bella Italia

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Nach einer vierzehnstündigen Fahrt mit mehreren Pausen kamen wir am späten Abend in Piedimonte Matese in der Provinz Caserta an und fielen sogleich müde in die Betten. Raphael und ich teilten uns ein Doppelbett, Silvia hatte das andere Schlafzimmer mit einem Einzelbett für sich und Barbara übernachtete vorübergehend auf der Schlafcouch, bis der dritte Schlafraum vollständig renoviert und wieder bezugsfertig war.

Am nächsten Tag führte mich Raphael zunächst im Haus herum. Alles war sehr einfach gehalten, aber es war völlig ausreichend und ich fühlte mich wohl. Hinter dem Haus befand sich ein winziger Garten mit einem aufgestellten Pool und einem Grill. Wenn man aus den Fenstern nach draußen sah, blickte man auf Berge, kleine verwinkelte Straßen und viel Natur. Alte, teils windschiefe Häuser standen dicht an dicht nebeneinander. Ein verlorengegangenes Paradies.

In der Ferne erstreckten sich Olivenhaine sowie eine große Wiese mit Obstbäumen. Die Luft war erfüllt von Vogelgezwitscher und der leisen neapolitanischen Volksmusik, die aus dem Küchenradio dudelte. Es wirkte, als wäre in dieser kleinen Stadt die Zeit stehen geblieben. Wenn es einen Ort gab, an dem man mit Sicherheit abschalten und sich sehr gut erholen konnte, dann war es hier.

Der kleine Vorort von Neapel bildete einen krassen Gegensatz zu Berlin. Die Menschen hier hatten deutlich weniger, aber waren trotzdem glücklicher als einige bei uns in Deutschland. Es war irgendwie ungewohnt, doch ich fand Gefallen daran und Raphael, welcher für gewöhnlich nur in den schicksten und teuersten Hotels der Stadt residierte, strahlte seit unserer Ankunft eine starke Zufriedenheit und innere Ruhe aus.

Vormittags zogen Raphael und ich zunächst alleine los, während Barbara und Silvia sich um das Mittagessen kümmerten. Er zeigte mir die ganze Gegend, alle Plätze, an denen er früher viel Zeit verbracht hatte, wenn er in Italien war. Er erklärte mir eine Menge und zusammen erklommen wir einen begrünten Hügel, von dem aus man einen guten Überblick über den kleinen rund 10.000 Einwohner fassenden Ort hatte. Hier hatte Raphael auch schon die ein oder anderen Songtexte geschrieben.

Wir liefen durch die engen Gassen in Richtung Altstadt, bevor uns der Weg wieder zurück zu unserer Unterkunft führte. Das Essen, welches Silvia und Barbara gekocht hatten, war mal wieder himmlisch gewesen. Während wir speisten, überlegten wir uns, wo und wie wir die nächsten Tage verbringen würden. Silvia wollte ihren Geburtstag in zwei Tagen gerne in ihrer alten Heimat Alife mit dem Teil der Familie, der noch dort lebte und mit ihren Eltern, die extra anreisen würden, feiern.

Am Nachmittag fuhren wir alle zusammen zu den Feldern und Plantagen am Rande des kleinen Ortes angesiedelt waren. »Früher habe ich ganz oft meine Ferien hier gemeinsam mit Oma und Opa verbracht. Auch jetzt komme ich noch gerne nach Caserta, aber ich habe kaum Zeit dazu. Vor etwa sechs bis acht Jahren bin ich alle paar Monate nach Italien geflogen, wann immer ich die nötige Kohle dazu hatte. Ich kann hier einfach perfekt abschalten und mich auf mich selbst und meine Familie konzentrieren. Was für mich auch immer recht entspannend war, war es, der Familie bei der Oliven- und Obsternte zu helfen«, erzählte Raphael.

Mein Freund als Erntearbeiter auf einem Feld, wie er Früchte pflückte - irgendwie ging diese Vorstellung nicht in meinen Kopf hinein. »Du hast echt die Bäume abgeerntet?«, fragte ich deshalb erstaunt nach. Aber er sah aus, als würde er es ernst meinen. »Ja natürlich. Es hat mir Spaß gemacht und ich konnte dabei alle Sorgen und Probleme - ja sogar teilweise auch die Musik - vergessen. Das Leben in Caserta ist komplett unterschiedlich und der Wert der Dinge ist ebenfalls ein ganz anderer. Als ich kleiner war, habe ich von Oma ab und zu ein paar Lira zugesteckt bekommen. Damit konnte ich mir zum Beispiel mal ein Eis kaufen.

Natürlich haben wir ganz viel heimlich probiert und uns an den Orangen-, Kirsch- und Apfelbäumen satt gegessen. Meistens gingen ich, mein Opa sowie ein paar meiner Cousins zum Obst pflücken, manchmal war ich auch alleine. Wenn wir abends vollbepackt nach Hause gekommen sind, hat sich Oma oft noch stundenlang hingestellt und für die ganze Familie Marmelade gekocht oder Kuchen gebacken«, schwelgte Raphael in Erinnerungen.

In meiner Wolke | 1raf7Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt