50 | In Bedrängnis

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Der nächste Morgen verlief hektisch und beinahe wären wir zu spät gekommen. Meine Knie waren ein wenig weich geworden, aber Joshi hatte mir noch einmal gut zugeredet und auch Raphael hatte mir eine Nachricht gesendet, in der er mir viel Glück gewünscht hatte. Schneller als erwartet war mein erster Arbeitstag zu Ende. Es hatte mir sehr gut gefallen. Die Kollegen waren nett und hilfsbereit, zudem konnte ich zum ersten Mal mein in der Uni gelerntes Wissen auf den Beruf anwenden.

»Wir können uns sehr gut vorstellen, sie ab Mitte Mai bei uns einzustellen. Am morgigen Tag gebe ich Ihnen weitere Aufgaben, bei denen Sie noch etwas tiefer in die Materie einsteigen werden und dann steht der Vertragsunterzeichnung eigentlich nichts mehr im Wege«, hatte der Chef verlauten lassen.

Beschwingt machte ich mich am späten Nachmittag auf den Weg zu meinem Auto. Nach der Arbeit war ich im Supermarkt und einer Drogerie einkaufen gewesen. Außerdem hatte ich noch zwei T-Shirts und eine Jeans in einem Bekleidungsgeschäft gefunden. Ich verstaute die Einkaufstüten im Kofferraum und wollte gerade einsteigen, als ich etwas Weißes an der Windschutzscheibe entdeckte.

»Bitte kein Strafzettel«, dachte ich und griff seufzend nach dem Stück Papier. »Letzte Warnung!« prangte in fetten roten Lettern darauf. Da wäre mir ein Knöllchen deutlich lieber gewesen. Ich faltete das Blatt mit einer Mischung aus Neugier und Angst auseinander und begann, den Rest zu lesen.

»Ich gebe dir noch eine letzte Chance. Komm zu mir zurück oder ich werde dir dein Leben zur Hölle machen. Ich weiß mehr über dich, als du denkst und ich werde mir nehmen, was mir zusteht. Man sieht sich.« Auf dem Zettel war ein Strichmännchen gezeichnet, welches an einem Galgen hing. Darunter befand sich eine kleine rote Blutlache.

Geschockt ließ ich die Notiz sinken und sah mich misstrauisch nach allen Seiten um. Bis auf ein paar unbeteiligte Passanten konnte ich niemanden entdecken. Dieses Schwein! Ich bekam es langsam wirklich mit der Angst zu tun. Das war eine ganz klare Drohung. Im Gegensatz zu der anonymen WhatsApp Nachricht, welche allem Anschein nach auch von ihm stammte, nahm ich das Ganze diesmal sehr ernst. Ich wusste nicht, wie weit Luca gehen würde. Ich traute ihm aber so einiges zu.

Meine gute Laune war in Sekundenbruchteilen verschwunden. Ich ließ mich auf den Fahrersitz sinken und versuchte, auf die Situation klarzukommen. Alle möglichen Szenarien spielten sich in meinem Kopf ab, während ich nach Hause fuhr. Ich war ratlos. Den ersten Beschluss, den ich fasste, war, dass ich ab jetzt nicht mehr zur Uni gehen würde, um ihm dort nicht noch ein weiteres Mal zu begegnen. Raphael würde erst morgen Nachmittag wieder zurückkommen.

Ich fühlte mich unendlich müde und erschöpft, weshalb ich mich sofort ins Bett fallen ließ und mich unter der Decke verkroch. Warum konnte Raphael jetzt nicht hier sein? Mit ihm zusammen würde ich vielleicht eher einen Ausweg finden. Er würde mich unterstützen. Meine eigenen Gedanken waren leider viel zu sehr blockiert, um eine vernünftige Entscheidung zu treffen, wie ich am besten mit der Situation umgehen sollte.

Die Gedanken an das Gespräch mit Luca sowie die Drohnachricht ließen mich auch in den darauffolgenden Tagen nicht los. Ich schlief oft schlecht und war unkonzentriert. Raphael bemerkte das natürlich auch und machte sich schon Sorgen um mich. Ihm gegenüber schob ich es auf den Stress, den ich in letzter Zeit definitiv auch hatte.

Zum Glück hatte ich den zweiten Schnuppertag bei Universal Music ebenfalls gut überstanden. Sechs Tage waren seitdem vergangen und heute Morgen bekam ich den Anruf, dass sie mich einstellen wollten. Ich sollte vorbeikommen, um meinen Arbeitsvertrag zu unterzeichnen. Ich wählte aus meinem Kleiderschrank eine dunkelblau-weiß gestreifte Bluse sowie eine helle Jeans aus, schlüpfte in ein Paar Sneaker und fuhr zu den Studios.

Nach dem üblichen Smalltalk setzten wir uns zusammen und mir wurde der Arbeitsvertrag vorgelegt. Ich las alles aufmerksam durch und unterzeichnete ihn schließlich. Wir klärten noch einige Details. In den ersten fünf Wochen würde ich vor Ort intensiv in meine neue Stelle eingewiesen werden, ehe es mir freistand, regelmäßig von zuhause aus zu arbeiten, wenn ich wollte. Ich bedankte mich bei meinem neuen Chef und dem Personalleiter und verließ gut gelaunt die Geschäftsstelle. Endlich wendete sich mein Leben auch auf beruflicher Ebene zum Positiven. Nie mehr Uni, nie mehr irgendwelche schlechten bezahlten Aushilfsjobs.

In meiner Wolke | 1raf7Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt