Harry:
“Be my friend, hold me
Wrap me up, unfold me
I am small and needy
Warm me up and breathe me” (Breathe me- Sia)
Kann man sich wirklich innerhalb von einer Woche zum absoluten Komplettversager entwickeln? Wies aussieht schon, denn diese Rolle spiele ich jetzt schon seit verdammten sieben Tagen.
Kein Schwein in diesem Haus redet noch mit mir, seit ich Lou fast die Nase gebrochen habe. Es ist so, als würde ich überhaupt nicht existieren. Wenn wir abends gemeinsam am Tisch sitzen, ist es, als würden alle durch mich hindurch sehen. Am Anfang habe ich ja noch versucht, mich trotzdem an den Gesprächen der anderen zu beteiligen, habe aber bald beschlossen, dass es besser ist, einfach still mein Essen hinunterzuschlingen und dann wieder nach oben zu verschwinden.
Und egal, wie lange ich in unserem Zimmer auf Abby gewartet habe, sie kam immer erst ins Bett, wenn ich längst eingeschlafen war. In den letzten Tagen habe ich zwar immer versucht, mich zum Wachbleiben zu zwingen, aber dank unseres stressigen Alltags, fallen mir nach ein paar Stunden vor lauter Erschöpfung immer die Augen zu.
Und morgens, wenn ich aufwache, höre ich sie bereits immer schon in unserem Badezimmer rumoren.
Ich weiss ja, dass sie auf eine Entschuldigung wartet, aber je mehr sie mir den Rücken zuwendet und stattdessen lieber mit Louis tuschelt, desto mehr ziehe auch ich mich zurück. Es fühlt sich an, als hätte sich auf einmal die ganze Welt gegen mich verbündet. Naja, mit einer Ausnahme.
Die Einzige, die mich halbwegs normal behandelt, ist Ev. Nur kann ich das leider nicht so wirklich als Triumph ansehen, denn sie wohnt ja jetzt ganz offiziell nicht mehr bei uns. Es gibt also Zuhause keinen mehr, der am Esstisch für mich Partei ergreift.Am Freitag hat sie ihre Koffer gepackt und ist bei Jason eingezogen. Keinen Plan, was sie dazu geritten hat. Sie hat gesagt, sie könne es nicht mehr bei uns aushalten, wenn sie hier sowieso alle hassen würden. Haha, lustig. Hat sie mich mal angeguckt?!
Der Einzige, der nicht mehr mit ihr redet, ist Niall. Aber, statt das sie versucht, die Sache geradezubiegen, haut sie lieber ab. Es ist beinahe unheimlich, wie sehr mich dieses Verhalten an mich selbst erinnert.
Dabei ist es so einfach: Sie liebt Niall, Niall liebt sie. Kein Grund also, es so dramatisch zu machen...
Wie auch immer, ich habe einfach keinen Bock mehr, über die ganze Scheisse nachzudenken. Macht einen nur depressiv das alles hier. Höchste Zeit, dass Liam endlich wieder Nachhause kommt. Der ist wenigstens unparteiisch...
Mit einem Brummen klatsche ich mir Käse auf mein Erdnussbutterbrot und versuche verbissen, Abbys lautes Lachen zu ignorieren, das aus dem Wohnzimmer in die Küche dringt. Schon den ganzen Nachmittag hockt sie dort mit Louis auf dem Sofa und guckt „Friends“. Ich widerstehe dem Impuls, mir wie ein Kleinkind die Ohren zuzuhalten, als auch sein Lachen in die riesige Küche dringt.Miesgelaunt beisse ich in mein Brot, aber so lange ich auch kaue und das Essen im Mund hin- und herschiebe, ich kann es beim besten Willen nicht hinunterschlucken. Mein Mund ist staubtrocken und mein Magen so klein, wie ein Flummi. Als ich es endlich schaffe, den Bissen hinunterzuwürgen, angele ich entschlossen nach meinem Handy und wähle blitzschnell Evys Nummer. Die Nummer der einzigen Person, die noch mit mir redet. Ich muss einfach mit irgendjemandem reden, bevor ich hier noch vollends desozialisiere...
Nach dem zweiten Klingeln, hebt sie ab: „Hallo Curly, immer noch von der Aussenwelt isoliert, oder wieso rufst du an?“, fragt sie sarkastisch, aber ich lache nicht.
Mit zusammengebissenen Zähnen, knurre ich in den Hörer: „Was zum Teufel mache ich falsch? Ich meine, was erwartet sie von mir?“ Ich muss nicht erklären, wenn oder was ich meine. Sie weiss es sowieso.
Am anderen Ende der Leitung höre ich ihr leises Seufzen. „Warte ganz kurz, Jason baut gerade unseren Schrank zusammen...“ In der Leitung raschelt es und ich höre Schritte und lautes Klopfen, dann das Knallen einer Tür.
„Okay. Heisst das, sie redet immer noch nicht mit dir?“, fragt sie mich dann und als ihre Stimme diesmal an mein Ohr klingt, ist es im Hintergrund vollkommen ruhig. „Nicht reden ist noch untertrieben. „Ich bin Luft für sie“ trifft es besser. Für alle, wies aussieht. Dabei waren sie es doch, die zusammen in einem Bett lagen.“
„Genau das ist es, Haz. Sie waren es ja, die in einem Bett lagen. Sie sind die Bösen. Deswegen haben sie es auch verdient, dass du so ausgerastet bist. Lou hat es verdient, dass du ihm die Nase blutig geschlagen hast...“ Ich höre die leise Ironie in ihrer Stimme, aber ich tue so, als würde ich sie nicht verstehen. „Eben.“, gebe ich störrisch zurück und sie lacht. „Mann, Harry. Jetzt komm schon! Es ist nicht so schwer, sich zu entschuldigen.“ „Ja klar, und deswegen hast du auch schon längst mit Niall geredet, weil es ja so einfach ist, hab ich recht?“, höhne ich.
Auf der anderen Seite der Telefonleitung herrscht eisige Stille. Na super, jetzt verkack ich es mir auch noch langsam aber sicher mit Evy.
„Hör zu, Ev... Tut mir leid, okay? Es war nicht so gemeint.“, zerknirscht fahre ich mir übers Gesicht. „Es ist einfach... ich kann mich nicht bei Louis entschuldigen, okay? Schon gar nicht, wenn er den ganzen Tag mit ihr auf der Couch liegt und „Friends“ guckt. Er macht voll einen auf Seelentröster bei ihr. Er kriecht ihr total in den Arsch und das kann ich voll nicht ab.“ Angeekelt kippe ich meine Essensreste in den Biomüll und räume das Geschirr in die Spülmaschine. Mir ist der Appetit wirklich vergangen.
„Gut, ich verstehe ja, dass du sauer auf Lou bist. Aber wie steht es mit Abby?“, fragt Ev mich ruhig. „Sie geht mir voll auf den Sack.“
„Lüg mich nicht an.“
„Ich lüge nicht!“
„Spar dir das, Styles!“
„Okay, ihre Ignoranz geht mir auf den Sack! Ich meine, wir haben einander jetzt beinahe zwei Monate nicht gesehen und sie tut so, als wäre ich immer noch weg. Ich könnte auf dem Mond sein und es würde sie nicht interessieren!“, brause ich auf und beisse mir auf die Zunge, als mir bewusst wird, wie laut ich rede. „Du bist wirklich ganz schön blind, oder?“, ich sehe beinahe vor mir, wie Evy die Augen verdreht. „Sie will, dass du um sie kämpfst!“
„Und deswegen ignoriert sie mich?!“
„Ganz genau!“
„Ihr Frauen spinnt doch.“
„Hast du eben mitbekommen, was ich gesagt habe, du Idiot? Sie will, dass du kämpfst. Ein Wutanfall reicht ihr nicht, schon gar nicht, wenn du hinterher die beleidigte Leberwurst spielst. Du hast Louis geschlagen, schon klar. So hast du gezeigt, wie viel sie dir bedeutet... Aber sie will es nicht sehen, sie will es hören, Harry.“
Schnaubend verdrehe ich die Augen. „Wenn sie glaubt, dass ich ihr jetzt vorschnulze, wie sehr ich sie liebe und wie verletzt und getroffen ich bin, hat sie sich geschnitten.“
„Siehst du, und genau deshalb, redet sie nicht mit dir, du Sturrkopf!“
Trotzig schweigend lehne ich an der Spülmaschine. „Harry, sei jetzt blos kein Idiot!“, weist mich Evys strenge Stimme aus dem Hörer zurecht.
„Ich geb mein Bestes, Lopez. Nur leider bin ich schon der Buhmann der Nation!“, zische ich zurück.
„Dann geb auch wirklich dein Bestes und hör auf, nur Sprüche zu klopfen. Und enttäusch mich bloss nicht...“, sagt sie, als ich mich schweren Herzens von der Spüle abstosse. Ich habe eigentlich keinen Bock, schon wieder den Idioten zu spielen, der alles ausbügeln muss, aber was bleibt mir anderes übrig?
„Du solltest deine schlauen Ratschläge auch mal bei dir selbst ausprobieren, Lopez.“, sage ich noch, als sich Ev schon von mir verabschiedet hat. Sie seufzt und auf einmal klingt sie ziemlich müde: „Manchmal ist es einfacher, anderen Ratschläge zu geben, als sein eigenes Leben auf die Reihe zu bekommen, Styles.“ Und bevor ich darauf etwas erwiedern kann, hat sie bereits aufgelegt. Nur das monotone Tuten in der Leitung verweist noch auf unser Gespräch.
Kämpfen.
Wie oft habe ich nun schon um dieses Mädchen gekämpft? Es kommt mir so vor, als würde ich nichts anderes tun. Es ist fast, wie ein Spiel. Jeder Tag mit ihr, fühlt sich an, wie eine Herausforderung. Ich war zwar immer jemand, der Herausforderungen geliebt hat, aber so langsam bin ich es leid. Ich möchte, dass sie endlich zu mir gehört. Ich meine so richtig! Ich habe keine Lust mehr, auf Fange spielen. Ich möchte nicht mehr, dass sie mir ständig entwischt und wegläuft.
Ich bin keine Memme. Ich bin der Kerl, verdammt! Langsam, aber sicher hat sie mich total handzahm gemacht, ohne dass ich es überhaupt gemerkt habe. Es ist Zeit, mir ein Stückchen Autorität zurückzuholen. Ein bisschen Macho zu sein, so wie am Anfang!
Entschlossen verlasse ich die Küche und betrete, so selbstbewusst wie nur möglich, das Wohnzimmer, wo die beiden auf dem Sofa lümmeln. Louis Kopf fährt sofort zu mir herum und er sieht mich mit grossen Augen an. „Ja, ich bin auch noch da.“, erwiedere ich auf seinen leicht verwirrten Blick. „Würde es dir etwas ausmachen, wenn ich mir kurz meine Freundin ausleihe?“, frage ich dann, mit einem leicht bissigen Unterton, bei dem er kaum merklich zusammenzuckt. Trotzdem bringt er es nicht fertig, mir zu antworten. Er starrt mich lieber weiterhin an, als wäre ich aus einer anderen Galaxie.
Augenverdrehend wende ich mich also direkt an meine Freundin: „Abs?“ Mit einem fiesen Lächeln dreht sie sich zu mir um: „Wir sind gerade mitten in der Serie, tut mir leid.“, sagt sie mit einem unverkennbar kühlen Unterton. Einen Scheissdreck tut es ihr leid!
Na schön, sie wollte es also nicht anders. „...Und ich bin auf einer Mission.“, gebe ich unbeeindruckt zurück, während ich sie mir brummend über die Schulter werfe und entschlossen mit ihr das Wohnzimmer verlasse.
Abby ist wirklich eine verdammte Kratzbürste. War sie schon immer.
Ihre langen Fingernägel bohren sich tief in meine Oberarme, während sie wild mit den Beinen strampelt: „Lass mich sofort runter, du Vollidiot!“, kreischt sie mir ins Ohr und bei dem Druck ihrer Fingernägel auf meiner Haut, schiessen mir Tränen des Schmerzes in die Augen. Aber ich denke gar nicht daran, sie runterzulassen.
Zielsträbig bahne ich mir meinen Weg in den Flur, wo ich kurz Halt mache, um in meine Schuhe zu schlüpfen und dann gehe ich mit der immernoch wild zappelnden Abby über der Schulter, in die Garage.
„Was machst du da, zum Teufel?“, fährt sie mich panisch an, als ich die Tür meines Autos öffne, um sie hinein zu setzen. „Ich setze dich ins Auto.“, erkläre ich achselzuckend mein Vorhaben, doch anscheinend findet sie meinen Plan nicht so toll, denn sie wehrt sich heftig gegen mich, indem sie sich an den Rahmen der Autotür krallt und die Beine gegen den Sitz stemmt. „Lass mich endlich los.“, faucht sie, aber ich gebe mich weiterhin unbeeindruckt und drehe sie so, dass ich sie einfach ins Auto schieben kann. Blitzschnell schliesse ich die Tür ab, sprinte zur Fahrerseite, schliesse wieder auf, gebe dann schnell ordendlich Gas und schiesse aus der Garage, bevor sie wieder aus dem Auto springen kann.
Sicherheitshalber schliesse ich trotzdem von innen das Auto ab. Man kann ja nie wissen, auf was für verrückte Ideen sie so kommt...
Wütend funkelt mich Abigail von der Seite an: „Was soll das? Wohin fahren wir?“ „Keine Ahnung.“, erwiedere ich gelangweilt, während ich aus unserer Strasse biege. „Wie „keine Ahnung“?“, äfft sie mich nach und verschränkt wütend die Arme vor der Brust. „Willst du mich ärgern, Styles?!“
Ich muss mir ein Lachen verkneifen, als ich antworte: „Ich weiss echt nicht, wohin wir fahren- ich wollte nur nicht, dass du abhauen kannst, während wir reden.“
Eine kurze Weile schweigt sie, spielt beleidigte Leberwurst und kneift schnippisch die Lippen auf einander, kann sich aber dann dennoch nicht verkneifen, einen Kommentar abzugeben. „Das hier ist Entführung!“
Jetzt pruste ich tatsächlich los. „Red keinen Scheiss, Tompson!“ Schnaubend wendet sie sich von mir ab und blickt aus dem Fenster, auf die beleuchtete Strasse, um mich nicht weiterhin ansehen zu müssen.
Ich meinerseits, sehe aus der Frontscheibe hinaus. Kaum ein Auto ist unterwegs heute Abend. Die Stadt liegt ganz still vor uns, als würde sie schlafen. Sanft streichen die vorbeihuschenden Lichter über Abbys blasses, ernstes Gesicht.
Ich liebes es, Nachts Auto zu fahren. Es fühlt sich so an, als wäre man der einzige Mensch auf der Welt. Es ist entspannend. Friedlich.
Man ist ganz alleine mit seinen Gedanken, denkt an Dinge aus der Vergangenheit, erinnert sich an bestimmte Orte, wenn man an ihnen vorbeifährt....
Draussen nichts, als die nächtliche Stille. Und der Sternenhimmel über einem. Und plötzlich fühlt man sich wieder wie siebzehn. Wenn man das erste Mal alleine mit dem Auto unterwegs ist. Es ist dieselbe Stille, derselbe Himmel über einem.
Es ist, als würden sich einige Dinge niemals aufhören zu ereignen.
„Harry, was willst du eigentlich von mir?“, aufeinmal reisst mich ihre Stimme zurück in die Gegenwart, weg von meinen belanglosen Träumereien. Ich werfe ihr einen kurzen Seitenblick zu: „Weißt du, um ehrlich zu sein, habe ich keine Ahnung.“, erwiedere ich dann und löse meine Hand kurz vom Lenkrad, um in den fünften Gang zu schalten. Lüge- eigentlich sollte ich mich ja entschuldigen...
Sie blickt hinunter auf meine Finger, als ich den Gang einlege: „Das heisst, eigentlich hast du mir gar nichts zu sagen?“
„Und du?“, frage ich zurück und sie lächelt traurig.
„Ich habe lange darüber nachgedacht, aber ich schätze, dass es nichts gibt, was ich dir noch zu sagen hätte.“, erwiedert sie schliesslich leise. Flüsternd.
Mein Magen verkrampft sich und ich umklammere das Lenkrad so fest, dass meine Knöchel weiss hervortreten. Was soll das heissen, sie hat mir nichts mehr zu sagen? Heisst das, sie macht schluss? Das kann nicht sein, oder? Das meint sie doch nicht wirklich!
„Das ist nicht wirklich dein Ernst, oder?“, entgegne ich hart und sie schluckt. Als sie mich dann wieder ansieht, ist ihre Miene wie versteinert: „Erst lese ich diese Schlagzeile über dich in der Zeitung, für die du dich noch nicht mal richtig entschuldigt hast, dann tauchst du aus heiterem Himmel in meinem Hotelzimmer auf, als wäre nie etwas passiert und anschliessend brichst du deinem besten Freund beinahe die Nase, wofür du dich im übrigen auch nicht entschuldigt hast und zum krönenden Abschluss, verfrachtest du mich in dein Auto, um anscheinend mit mir zu reden, bringst aber keinen Ton raus und wenn ich dir nichts zu sagen habe, bist du angekotzt?
Ich erkenne dich einfach nicht wieder, Harry, okay?“ Mit jedem Wort wird sie lauter und jedes Wort, jede einzelne Silbe, ist ein Schlag ins Gesicht. Nein, kein Schlag. Ein Kinnhacken, ein Peitschenhieb...
„Abby, bitte mach das nicht...“, setze ich verzweifelt an. Fuck! Habe ich mir nicht gerade vorher erst vorgenommen, wieder autoritärer zu werden? Jetzt ist es aber wieder nur sie, die mich für meine Fehler zur Verantwortung zieht, wie eine strenge Mutter!
„Mann Harry, ich hab einfach keine Kraft mehr für das alles! Du machst mich verrückt!“, schreit sie und bei ihren Worten reisse ich entschlossen das Lenkrad herum und halte mit einer Vollbremsung am Strassenrand.
Sie starrt mich erschrocken an. Vollkommen geschockt. Ihr Mund steht leicht offen, in einem stummen Schrei und ihre Hände klammern sich zitternd an den Gurt, aber es interessiert mich nicht.
Wütend packe ich sie bei den Schultern: „Nein Abigail, du machst mich verrückt, kapiert?! Und das ist exakt das, was Liebe bedeutet! Du hast keine Ahnung, wie sehr du mir gefehlt hast, als ich weg war. Du hast keine Ahnung, wie sehr ich mich nach dir gesehnt habe! Also, sag mir bitte einfach, wie du auf den scheiss- Gedanken kommst, dass ich mich irgendwie mit Kendall getröstet habe?“
Immernoch zu Tode erschrocken, blinzelt sie mich an. „Ich...“, setzt sie an, aber ihre raue Stimme bricht. Abwartend ziehe ich die Augenbrauen nach oben: „Darauf hast du mal wieder keine schlaue Antwort, was?“, keife ich und lasse ihre Schultern los, als hätte ich mich verbrannt.
Müde lehne ich mich in meinem Sitz zurück und verberge das Gesicht in den Händen. Es darf jetzt nicht vorbei sein. Bitte, bitte nicht. Ich kann sie nicht verlieren. Nicht noch einmal. Nicht für immer...
„Ich... Ich habe einfach immer Angst, dass du mich vielleicht mit anderen vergleichst.“, als sie diesmal spricht, ist ihre Stimme klar, aber sie spricht stockend: „Kendall ist hübsch, weißt du...
Und ich... ich habe Angst, dass du mich mit ihr vergleichst, weil ich einfach weiss, dass ich... nicht mithalten kann.“
„Weißt du, wie schwer es für mich ist, dich gehen zu lassen, wenn ich weiss, was für Frauen du haben könntest? Was für Frauen nur auf ihre Chance warten? Mann, ich habe immer so getan, als wäre ich stark, okay? Ich... ich habe immer so getan, als bräuchte ich irgendwie niemanden, aber das ist eine Lüge, okay? Ich brauche dich, Haz. Ich habe dich schon immer gebraucht. Und ich habe Angst, dass du mich irgendwann nicht mehr brauchst.“ Ein Schluchzen entweicht ihrer Kehle und lässt mich aufsehen. Im Schein der Strassenlaterne wirkt sie so unglaublich zerbrechlich.
Mit offenem Mund starre ich sie an. Das wusste ich nicht. Ich wusste nicht, dass sie solche Angst hat, mich zu verlieren. Ich muss gar nicht so tun, als wäre ich der Typ, der alles im Griff hat. Denn... sie braucht mich!
„Weißt du, was das Problem ist, Harry? Ich werde nie aufhören können, dich zu lieben!“, schluchtzt sie verzweifelt und hebt den Blick gegen das Autodach, in einem hektischen Versuch, die Tränen wegzublinzeln.
„Oh, Abby.“, seufze ich. Langsam schnalle ich mich ab. „Du bist so dumm, Tompson. Du bist so, so dumm! Hör mir zu, Tompson.“, sage ich sanft und greife ihr Kinn. „Sieh mich an. Ich habe das Beste und das Schlimmste von dir gesehen, Abigail Tompson und ich wähle beides. Ich will, dass du weißt, dass ich immer noch dich wähle, Tompson, nach all dieser Zeit. Und wenn du glaubst, dass ich ohne dich könnte... Mein Gott, ich habe es schon einmal versucht und ich bin kläglich gescheitert. Ich werde immer zu dir zurückkommen, hörst du? Denn egal, wohin ich gehe, egal, in welches Land ich reise. Überall, wo du nicht bist, ist nur ein weiterer, trister, lebloser Platz ohne dich.“
Und dann ziehe ich sie an mich, schliesse ihren vertrauten Körper in meine wartenden Arme. Halte sie, während sie leise an meiner Brust schluchzt: „Ich liebe dich.“, wispere ich immer wieder, während ich sie behutsam auf das dunkle Haar küsse. „Ich liebe dich, ich liebe dich. Ich liebe dich.“ Und sie krallt sich an mir fest- wir krallen uns aneinander fest, wie Ertrinkende in der höchsten Not. „Ich liebe dich so sehr, dass es wehtut, Tompson.“, wispere ich und sie umfängt mein Gesicht mit ihren schmalen Fingern. Für einen kurzen Augenblick sieht sie mir in die Augen: „Harry Styles, du arroganter Widerling.“
„Ja, Abigail Tompson, du miese Zicke?“
Ich spüre ihr leises Lachen auf meinem Gesicht. „Küss mich.“, wispert sie dann.
„Bist du dir da auch wirklich sicher? Ich meine, du hast mal gesagt, dass du gut ohne einen Kuss von mir weiterleben könntest, also...“ „...Halt die Schnauze.“, unterbricht sie mich sanft und drückt ihre Lippen auf meine, was mich zum Schweigen bringt.
Wir küssen einander so lange, bis wir keine Luft mehr bekommen und länger. Ich streiche ihr durch das lange Haar, ziehe ihr Kinn näher zu mir, streiche sachte über ihren Hals, erforsche zärtlich ihren Mund. Meine Lippen fahren über ihre zarte Haut und hinterlassen eine feuchte Spur auf ihrem hellen Hals. Keuchend lehnt sie ihre Stirn an Meine und streicht mit einer federleichten Berührung über meinen Kiefer.
„Lass uns Nachhause fahren, Lockenköpchen.“, kichert sie dann leise und ich lache.
Ich halte ihre Hand, während ich wieder auf die Strasse fahre. Aber es zieht mich noch nicht Nachhause. Stattdessen fahre ich in die entgegengesetzte Richtung. „Was machst du da?“, fragt sie mich resigniert, als sie es bemerkt, aber ich grinse nur frech.
„Hab doch ne Idee, wo ich hinfahren will.“ „Na dann- überrasch mich!“
Und das tue ich auch tatsächlich, denn sie staunt nicht schlecht, als ich schliesslich vor dem Theater stehenbleibe, dass wir beide nur allzu gut kennen. „Was willst du denn hier?“, fragt sie mich erstaunt, aber ich antworte nicht, sondern greife stattdessen nur lächelnd nach ihrer zierlichen Hand und helfe ihr aus dem Wagen. Als mein Blick auf ihre strümpfigen Füsse fällt, verkneife ich mir das Lachen. „Du hättest mich wenigstens noch Schuhe anziehen lassen können, bevor du mich so hinterhältig entführt hast.“, schmollt sie, als sie meinen amüsierten Blick bemerkt. „Und mein Outfit ist jetzt auch nicht so der Hammer.“, fährt sie mit einem Blick auf ihre Jogginghose frustriert fort, aber ich gebe ihr nur lachend einen Kuss auf die Nasenspitze.
„Du bist perfekt, so wie du bist, Tompson.“, gebe ich zurück und hebe sie sachte hoch, damit ihre Socken trocken bleiben. Bevor ich das Auto abschliesse, greife ich mir noch die karrierte Decke aus dem Kofferraum und dann trage ich Abby behutsam die Stufen des alten Theaters hinauf, dass von einigen Bodenlampen beleuchtet wird. Es sieht beinahe aus, wie verzaubert in der nächtlichen Stille.
Abby schmiegt sich an mich, wie ein Kätzchen, als ich schweigend die Stufen erklimme und um den breiten Sims herumlaufe.
In diesem Theater wurde damals Ernestos Modelinie präsentiert.
Es kommt mir wie Jahrzehnte vor, aber es war der Abend vor genau zwei und halb Jahren. Es war der Abend, an dem alles begann. Der Abend, an dem sie mein Hemd trug, dass ich ihr später aus dem Hotelzimmer klaute. Es war der Abend, an dem ich zum ersten Mal dieses seltsame Kribbeln in der Magengegend spürte...
Wir schwelgen beide in Erinnerungen, als ich das Gebäude umrunde und am hinteren Ende die Decke auf dem Boden ausbreite. Abby staunt nicht schlecht, bei dem Anblick, der sich uns bietet, denn von hier oben hat man einen atemberaubenden Ausblick auf das nächtliche London. Es liegt still und ruhig da. Nur die zahlreichen Lichter, die sich bis zum Horizont ziehen, lassen auf Leben vermuten. Vorsichtig lege ich ihr die Decke um die Schultern und ziehe sie anschliessend zärtlich an mich.
„Ich muss immerzu an diesen Abend denken.“, gesteht mir Abby schliesslich mit einem Grinsen. „Du hast mich so unglaublich verwirrt damals.“, lacht sie. „Oh nein, du hast mich verwirrt.“ Ihre Augen sind verhangen, so sehr steckt sie in der Vergangenheit. „Wirklich?“, fragt sie mich und ich nicke. „Mehr, als irgendjemand vorher. Ich wurde einfach nicht schlau aus dir, vor allem, weil du mich einfach hast abblitzen lassen.“
„Sag bloss nicht, dass den grossen Harry Styles bis dahin keine abgeschossen hat!“
Ich schüttele den Kopf: „Auf jeden Fall hat mich keine so eiskalt abgeschossen, wie du damals.“
Wir sitzen eine ganze Weile so beieinander, jeder in seinen ganz eigenen Gedanken gefangen. Sanft spiele ich mit ihren Fingern. „Gott, ich habe dich so gehasst damals.“, platzt es auf einmal aus ihr heraus. Grinsend ziehe ich die Augenbrauen nach oben: „Was, und heute nicht mehr?“
Ernst sieht sie mich an: „Doch. Es gibt keinen Menschen auf dieser Welt, den ich mehr hasse.“
Ich erwiedere ihren Blick, versinke im Blau ihrer Augen.
„Aber eins kannst du mir glauben, Harry Styles.“, flüstert sie dann. „Es bedarf einer Menge Liebe, dich so zu hassen...“
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Teasing is a Sign of Love
FanfictionSequel von "Teasing is a sign of affection" "Gott, ich habe dich so gehasst damals.", platzt es auf einmal aus ihr heraus. Grinsend und in einem gespielten Ausdruck der Überraschung ziehe ich die Augenbrauen nach oben: „Was, und heute nicht mehr?" ...