Abby:
"Sometimes, just sometimes, when people say “forever”, they mean it. "
-vierzehn Jahre später-
Evys sanfte Finger fahren vorsichtig durch die losen Strähnen meines Haares, um sie im Nacken zu einem straffen Dutt zusammenzufassen. Ihre Finger scheinen ganz genau zu wissen, was sie tun, aber trotzdem. Irgendwie fürchte ich mich beinahe vor dem Moment, in dem sie fertig sind. Der Moment, in dem sie sich tatenlos in ihren Schoss senken und sie auf eine Antwort wartet.
Vielleicht muss ich lügen und sagen, dass es mir gefällt. Und ich möchte sie doch nicht anlügen.
Ich versuche, mich nur auf die Berührung dieser Finger zu konzentrieren.
Der Frau im Spiegel weiche ich entschieden aus. Ich habe Angst, dass sie nach dieser ganzen Prozedur nicht mehr aussieht, wie sie selbst.
Wie ich selbst.
„Ruinier das Ganze bloss nicht, Lopez.“, ermahne ich meine beste Freundin halbherzig, die bei meinen Worten nur leise in sich hineinlacht. Ihre Finger halten jedoch nicht inne. Selbstsicher vollenden sie das angefangene Kunstwerk.
„Ich vertraue dir.“, erinnere ich sie trotz Allem ernst an ihre Aufgabe, mich nicht vollkommen zu verunstalten.
Meine Stimme zittert leicht, als die leisen Worte meinem schnellen Atem entweichen und in das kleine Zimmer tragen.
Mein suchender Blick huscht dabei nervös durch den kleinen Raum, fast als wolle er ihnen folgen und sich irgendwie, irgendwohin verflüchtigen.
Schliesslich bleibt er skeptisch an ich dem kokonartigen Sack hängen, der an der Kommode bereit hängt. „Sag mal, wer hat sich den Schwachsinn eigentlich ausgedacht?“, murmele ich bei dem Anblick des Stoffteils seufzend. Nur bei dem Gedanken an den schweren, weissen Stoff und den Überschuss an Tüll bekomme ich schon eine Gänsehaut.
Evys geduldigen Hände halten nun doch für einen Moment inne: „Haarspray?“, fragt sie, aber ich schüttele den Kopf: „Heiraten.“
„Abby!“, scharf zieht meine beste Freundin die Luft durch die Zähne. „Du bekommst gerade nicht ernsthaft kalte Füsse?!“ Mit einem schnellen Schritt ist sie neben mir und kniet sich vor dem Drehstuhl nieder, um mich eingehend zu mustern.
Sie sieht noch genauso aus, wie früher. Ihre braunen Augen strahlen eine beruhigende Gelassenheit aus. Ihr etwas rundliches Gesicht ist fein konturiert, die schmalen Lippen zu einem beruhigenden Lächeln verzogen. Nur ihr blondes Haar ist viel kürzer, als früher. Die Spitzen reichen ihr gerade einmal bis zum Kinn.
„Ich weiss auch nicht. Ich...“, setzte ich an. Auf einmal durchfährt mich ein heftiges Gefühl, das mich an Flucht denken lässt. „Ich meine, wir sind jetzt schon so lange zusammen. Ich weiss nicht, was ein einfacher Trauschein daran ändern sollte. Ich seh total lächerlich aus.“ Wir haben uns tatsächlich Zeit gelassen mit dem Heiraten. Und je mehr Jahre vergingen, umso mehr habe ich die Idee verworfen. Ich meine, wir haben inzwischen zwei Kinder. Wir sind glücklich- auch ohne Heirat.
Schnaubend erhebt sich Ev vom Boden: „Wusst ichs doch: Du hast Schiss. Aber das ist noch lange kein Grund, dein Aussehen niederzumachen.“, fügt sie etwas beleidigt hinzu. „Du hast dich noch nicht mal gesehen und schon motzt du wieder rum.“ Streng huscht ihr Blick zurück zu den Kosmetikartikeln, die auf dem Tisch verstreut liegen. Ich habe keine Chance, dem hier zu entkommen...
Heftig schlucke ich gegen den Klos in meiner Kehle an. „Ich weiss. Tut mir leid, Ev.“
Forschend streichen Evys dunkle Augen über mein Gesicht. „Du liebst ihn doch, oder?“
Ich nicke. Entschlossen pudert sie mein Gesicht, das sich mittlerweile wie tapeziert anfühlt, ein letztes Mal ab. „Dann gibt es nichts, wovor du Angst haben müsstest.“
„So.“, murmelt meine beste Freundin dann und befestigt eine letzte verlorene Haarsträhne mit einem Bobbypin. „Das wärs.“
Prüfend sieht sie mir erneut ins Gesicht, ein zufriedenes Lächeln liegt auf ihrem rundlichen Antlitz. „Du siehst wunderschön aus, Liebes.“, beteuert sie mir und fasst mich entschlossen bei der Hand, um mich vor den gigantischen Spiegel mit dem weissen Rahmen zu zerren, der in einer Ecke des winzigen Zimmers steht, dessen spärliches Mobiliär sonst nur aus dem weissen Schminktisch und zwei bequemen Korbsesseln besteht.
Ich senke den Blick auf meine nackten Füsse, nicht gewillt, mich anzusehen.
„Ev, kann ich nicht einfach gehen, ohne in den Spiegel...“, setzte ich an und drehe mich entschieden von meinem Spiegelbild weg, als es leise an der Tür klopft.
Ev schafft es gerade noch, mir einen fragenden Blick zuzuwerfen, da öffnet sie sich auch schon einen spaltbreit. „Babe, hast du irgendwo die Autoschlüssel gesehen? Ich hab meine Fliege vergessen.“, Harrys Lockenkopf lugt vorsichtig in das Zimmer hinein. Als er jedoch kurz meine Erscheinung streift, klappt ihm der Kiefer auf. Ein Ausdruck stummer Bewunderung lässt sein Gesicht aufleuchten, der mich prompt erröten lässt.
„Harry Edward Styles!“, Ev kreischt so laut, dass wir beide erschrocken zusammenfahren. „Dieses Zimmer ist absolut tabu für dich! Rote Zone. Dunkelrote Zone, kapiert. Also verpiss dich!“
„Komm schon, Ev, ich wollte doch nur kurz...“, setzt mein fast Ehemann etwas verdutzt an, aber sie packt ihn bereits an der Schulter und schiebt ihn rückwärts aus dem Zimmer hinaus. „Es bringt Unglück, die Braut vor der Hochzeit zu sehen, du Spanner.“, schimpft sie dabei.
„Ja, ist ja gut, ich habs kapiert.“, augenverdrehend grinst Harry mich an, bevor er eilig Evys Finger von seinem Jacket löst. „Ich hol nur kurz die Schlüssel, dann bin ich wieder weg, alles klar, Bodyguard?“
Mit kritischem Blick lehnt sich meine beste Freundin an die Wand und verfolgt mit Adleraugen, wie Harry sich die Schlüssel schnappt. Auf dem Rückweg fängt er kurz meinen Blick ein. Das Grün seiner Augen glüht: „Du bist so wunderschön, Abby.“
Ich setze eilig zu einem Kopfschütteln an: „Schleim nicht so, Styles.“
Harry lacht. „Hast du dich schon mal angeguckt? So, wie du redest und ich dich kenne, nicht, oder?“, schiesst er mit sanftem Amusement in der Stimme zurück. Erneut schüttele ich den Kopf.
Etwas unschlüssig macht er einen kleinen Schritt auf mich zu und streckt die Finger aus, um meine Wange zu berühren, was Ev mit einem Grunzen kommentiert. „Sieh dich an.“, flüstert Harry zärtlich, als er meinen Kopf dreht.
Skeptisch blicke ich in den gigantischen Spiegel und erschrecke. Ich erkenne mich tatsächlich kaum wieder.
Vor mir steht eine vollkommen andere Frau. Ein fremdes Gesicht blinzelt mir fragend entgegen. Bin das wirklich ich?
Die fremde Frau hat weichere Gesichtszüge, als ich. Ausdrucksstark, aber weniger kantig. Ein Hauch Apricot liegt auf den hohen Wangenknochen, und nimmt sie etwas zurück. Die erschrockenen, blauen Augen sind von dichten, dunklen Wimpern umgeben, die sie noch grösser und runder erscheinen lassen- neugierig, wie Kinderaugen.
Das dunkle Haar ist ihr aus dem schönen Gesicht gebunden- einzelne loose Strähnen schmeichelten seiner Form, während der Rest nach hinten, in einem lockeren Dutt zusammenfindet. Ein Blumenkranz schmückt das Ganze und schmeichelt dem roseefarbenen Kleid, das sanft ihre Figur umspielt, wie Wellen. Diese Frau ist eine Schönheit- und doch: Nach einigen Wimperschlägen finde ich tatsächlich Teile von mir in ihr wieder.
Langsam tritt Harry an mich heran, sodass sein Spiegelbild neben meinem erscheint. Ich starre uns an, wie wir wie Fremde nebeneinanderstehen. Unsere Schultern berühren sich kaum, aber ich kann seinen leisen Atem auf meiner Wange spüren.
Er sieht nicht in den Spiegel, so wie ich.
Nein, der Mann, der im Spiegelbild steht, starrt die Frau neben sich an.
Mich.
Zärtlich mustert er mich, scheint jedes Detail meines neuen, alten Gesichts in sich aufzunehmen. „Du bist so schön. Und du weißt es gar nicht.“, wispert der Junge im Spiegel. Widerwillig löst er den Blick von seiner Angebeteten und dreht sie- mich- zu sich um. Seine Fingerspitzen berühren vorsichtig mein Gesicht. Als hätte er Angst, es zu zerstören. Ich schliesse die Augen, aber er kommt nicht dazu, mich zu küssen.
„Wag. Es. Ja. Nicht. Styles.“, zischt Ev hinter uns und sofort senkt er seine Finger wieder.
„Du bist so abergläubisch, Lopez.“, seuftzt er augenverdrehend, nachdem wir wieder einen gebürtigen Sicherheitsabstand zwischen uns gebracht haben. „Heul nicht, Styles. Morgen dürft ihr wieder knutschen und rummachen, so viel ihr wollt, also wirst du deinen Penis ja wohl noch ein paar Stunden kontrollieren können...“
Bei Evys Worten, öffnet sich die Tür ein weiteres Mal. Zögerlicher diesmal. „Himmel Herrgott nochmal, was ist denn jetzt wieder los?!“, wettert Evy sofort los, verstummt jedoch augenblicklich, als sie den ungebetenen Gast erkennt.
„Mum?“, schüchtern lugt das kleine blonde Mädchen mit den klaren blauen Augen um die Ecke. Sie hat die Weichheit ihrer Mutter und die sanften Augen ihres Vaters.
„Was ist los, Schätzchen? Ich dachte, du bist bei Daddy.“, sofort verliert Evys Stimme jegliche Schärfe.
Eilig tapst das Mädchen auf Ev zu und lässt sich lachend in ihre ausgebreiteten Arme fallen. Sanft streicht sie ihr das zerzauste Haar aus der Stirn.
Die Kleine zuckt grinsend die Schultern: „Mum.“, kichert sie.
„Ali hat Darcy geküsst.“
Mehr bedarf es nicht, um Harrys Aufmerksamkeit von mir abzulenken. Seine Augen werden beinahe unmerklich grösser, als er Evys Tochter mustert.
„Was hast du gesagt?!“, ein lauernder Unterton färbt seine Stimme gefährlich. Seine grünen Augen blitzen auf, als er den Namen unserer Tochter vernimmt.
Ja, Harry hat sie doch noch bekommen. Die heiss ersehnte Tochter, die er genauso vergöttert, wie unseren Sohn.
Darcy ist Harrys ganzer Stolz. Nun scheint dieser Stolz ihn jedoch in den Wahnsinn zu treiben.
„Harry...“, beschwichtigend hebt Ev die Hand, doch mein Freund lässt sich nicht beruhigen.
„Heiraten die jetzt auch, Onkel Harry?“, mit glitzernden Kinderaugen strahlt die kleine Phoebe ihren Onkel an. „Liebling...“, setzt Ev mahnend an, wird jedoch von Harry unterbrochen.
„Nicht in diesem Leben.“, knurrt er mit geballten Fäusten, bevor er wie ein Wirbelwind das kleine Zimmer verlässt, nicht ohne die Tür hinter sich zuzuschlagen.
„Zayn, du Penner. “, hören wir ihn kurz darauf auf dem Flur brüllen. „Sag deinem Sohn, er soll gefälligst seine Finger von meiner Tochter lassen, sonst bring ich ihn um!“
In unserem Leben hat sich in den letzten vierzehn Jahren nicht viel verändert. Unsere kleine Familie ist gewachsen- hat mit unseren Kindern Wurzeln geschlagen, aber es ist noch immer dasselbe Chaos, das unseren Alltag bestimmt.
Und ich liebe es. Ich könnte mir kein anderes Leben vorstellen.
Kein Leben, in dem ich einmal nicht von einem lärmenden Kind geweckt werde, oder völlig erschöpft neben der Waschmaschiene einschlafe. Ich könnte mir keinen Augenblick vorstellen, der glücklicher und friedlicher wäre, wie mit diesen Menschen um mich herum. Glück hat nie Ruhe für mich bedeutet- oder Idylle. Es bedeutet, dass wir jeden Tag eine Auseinandersetzung haben. Oder besser zwei. Dass wir uns streiten und vertragen und lieben und hassen, jeden Tag aufs neue.
Und genau das ist es, was mir so richtig bewusst wird, als ich langsam den langen Gang entlangschreite, auf den Altar zu, vor dem Harry steht und auf mich wartet. Der einzige Mensch, den ich jemals so unendlich gehasst und geliebt habe.
Der Blick, den er mir zuwirft ist so voll tiefer Liebe und Bewunderung, als hätte er mich nicht Minuten vorher erst gesehen. Mein Anblick scheint ihn immer noch zu überraschen, als könne er sein Glück kaum fassen.
Es steht ihm deutlich ins Gesicht geschrieben und auf einmal fühle ich mich wunderschön. Leicht, beflügelt, frei.
Ich habe nie an Seelenverwandtschaft, oder Liebe auf den ersten Blick geglaubt. Dafür war ich immer schon zu realistisch. Ritter in glänzenden Rüstungen oder Ungeheuer bekämpfende Prinzen waren nie etwas, was ich angestrebt habe.
Aber ich glaube daran, dass manchmal, nur manchmal Menschen in dein Leben treten können, die genau richtig für dich sind. Du erkennst sie vielleicht nicht immer auf den ersten Blick, aber du kannst dich glücklich schätzen, wenn du sie schliesslich gefunden hast.
Nicht, weil sie perfekt sind. Oder weil du es bist.
Nein, einfach aus dem simplen Grund, dass eure Fehler euch auf eine total verrückt Art und Weise wundervoll machen.
Zusammen.
„Wollen Sie, Abigail Jane Tompson, den hier anwesenden Harry Edward Styles zu ihrem rechtmäsig angetrauten Ehemann nehmen? Ihn lieben und ehren in guten wie in schlechten Zeiten, bis das der Tod euch scheidet? So antworten Sie mit „Ja, ich will“.“
Und ich glaube daran, dass manchmal, wenn Menschen „für immer“ sagen, sie auch genau das meinen.
Ich sehe ihn an. Ich sehe Harry an. Versinke in diesem unfassbaren Grün seiner Augen und denke an alle Tage, an denen ich ihn geliebt und gehasst habe.
Ich danke Gott dafür, dass ich ihn lieben darf.
„Wenns sein muss.“, erwiedere ich lächelnd, woraufhin der Pfarrer empört die Luft durch die Zähne zieht, aber Harry versteht.
Seine Mundwinkel kräuseln sich zu diesem herrlichen schiefen Grinsen, das ich so sehr liebe und bohren tiefe Grübchen in seine Wangen.
„Halt die Klappe, du blöde Tussi.“, schnaubt er, während er in gespielter Genervtheit die Augen verdreht. Seine langen Finger umfangen zärtlich mein Gesicht, auf das er für einen Moment ehrfürchtig hinabsieht. „Ich liebe dich.“
Ich nicke, mit Tränen in den Augen.
Ich weiss.
Aber ich sage etwas anderes.
„Schwätz nicht so viel und küss mich endlich.“, antworte ich, während die Tränen überschwappen und endlich beugt er sich zu mir hinunter.
„Na endlich, Mrs. Styles.“, knurrt er.
„Ich dachte schon, Sie fragen nie.“
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Teasing is a Sign of Love
FanficSequel von "Teasing is a sign of affection" "Gott, ich habe dich so gehasst damals.", platzt es auf einmal aus ihr heraus. Grinsend und in einem gespielten Ausdruck der Überraschung ziehe ich die Augenbrauen nach oben: „Was, und heute nicht mehr?" ...