achtunddreißig

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Grau. Alles um mich herum war in trostlosem grau gehalten: die Wände, die tristen Bilder von New York, selbst die Haare meines zukünfigen Chefs, der eine Miene zog, als ob er eine Zitrone verschluckt hätte. Kurz - mir gefiel es hier nicht sonderlich gut.

Kritisch musterte mich mein Gegenüber von oben bis unten. Langsam, er ließ sich Zeit, dabei hatte er keine Ahnung, wie fertig mich das machte. Mein gespieltes, aufgesetztes Lächeln war wie eingefroren. Kurz schüttelten wir uns die Hände, ehe ich mich auf seine Aufforderung hin setzte. „Guten Tag, Miss Lancaster." Die Stimme klang vollkommen anders, als die auf dem Telefon. Rauer, härter, kälter, ruppiger. Er verschränkte die Arme vor der Brust. Kalter Schweiß brach in mir aus. „Hallo, Mister Doubleman. Freut mich sehr." Ich versuchte zu wenigstens ein bisschen ehrlich zu lächeln. Streng presste er die schmalen Lippen zu einem dünnen Strich aufeinander und zog die buschig grauen Augenbrauen zusammen. Ich versuchte an etwas anderes zu denken, doch das war unmöglich. Ich versuchte wo anders hinzusehen. Ich starrte auf die Hand, die zusammengefaltet in meinen Schoß lag.

Er fuhr fort und erzählte mir über die Firma, wie sein Großvater sie aufgebaut hat und ich wunderte mich, warum er mir das überhaupt erzählte. Ich war doch nur die Verkäuferin. Irgendwann drang seine Stimme nur noch gedämpft zu mir durch und erreichte schon gar nicht mehr mein Gehirn. Ich dachte an etwas anderes. Das Vorstellungsgespräch damals mit Melissa. Es war so viel anders, als ich erwartet habe.

Ich war unglaublich nervös und zitterte damals am ganzen Körper vor Aufregung. „Du bist mir sympathisch, Rose." meinte sie schlussendlich lächelnd und reichte mir den Arbeitsvertrag. In diesem Moment war ich so glücklich wie lange nicht mehr und mir fielen Steine vom Herzen. Bei den vielen Gedanken an Melissa, zog sich mein Magen zusammen.

„Sagen Sie, hören Sie mir eigentlich zu, Miss?" riss mich Doubleman aus den Gedanken. Ich fuhr hoch und wurde kreidebleich. Verdammt, ich musste mir etwas einfallen lassen und das zwar schleunigst.

Ich blinzelte. „Wie bitte? Klar, äh, ich meinte nein. Es tut mir Leid, ich war in . . . in Gedanken. Entschuldigen Sie bitte." stammelte ich und versuchte zu lächeln. Doubleman ließ sich Zeit mit seiner Antwort. Wahrscheinlich mochte er es, die Kontrolle zu haben, genoss meine Angst, nutzte meine zunehmendere Unsicherheit schamlos aus. Verdammter Psycho. „Ach ja?", gab er trocken zurück. Die Augenbraue schoss abermals nach oben. Kurz angebunden nickte ich und hoffte, dass er ein anderes Thema ansteuerte. „Nun", er seufzte tief, blätterte in den Unterlagen vor sich herum und tippte dann auf etwas, das ich von hier aus nicht lesen konnte, „Sie haben geschrieben, dass joggen, Inline skaten und Fahrrad fahren zu ihren Hobbys gehören." Abermals nickte ich. Der Grauhaarige seufzte erneut und legte den Kopf ein wenig schräg. „Ich denke, dafür wird Ihnen nur noch wenig Zeit bleiben, Miss." Mir gefror das Blut in den Adern. Im Moment brachte ich nicht mehr als ein harsches "Was?" zustande. Ich habe es deutlich gehört, was er gesagt hatte, konnte es nur nicht glauben.

Doubleman stieß einen verächtlichen Laut aus, die Mundwinkel zuckten. "Sie haben mich schon verstanden, Miss." Er musterte mich. Lange.. Der Blick hatte etwas durchbohrendes an sich. So wie ein Tiger seine Beute beobachtete. Ruhig und doch völlig angespannt. Beinahe hätte ich schallend aufgelacht. Dachte er allen Ernstes das ich den Sport wegen eines dämlichen Jobs an den Nagel hängen würde? Klar brauchte ich das Geld, doch so weit würde ich nicht gehen. Der Sport war eines der wichtigsten Dinge in meinem Leben. Ich war regelrecht besessen davon. Es war wie, wenn man zu einem Alkoholiker sagen würde Trink keinen Alkohol mehr.

Nein, das konnte der gute Mann aber sowas von vergessen. „Nun, ich denke soweit ist alles geregelt. Kommen wir zum formellen Teil." Ein falsches Lächeln zierte seine spröden Lippen, als er mir einen Kugelschreiber mit mindestens fünf Seiten darunter zuschob. Schnell griff ich danach, überflog die, wie sich herausstellte acht Seiten schnell. Ich wusste gar nicht, dass ein Arbeitsvertrag so lang sein konnte. Danach unterschrieb ich und die Sache war geregelt. „Am Montag um sieben ist Arbeitsbeginn bis um vier. Sie werden sich schnell einleben, da bin ich mir sicher." Zwar lag kein Lächeln auf seinen Lippen, doch seine Worte schenkten mir genug Zuversicht. Sichtlich zufrieden stand ich auf, schüttelte meinem Chef die Hand und verließ sein Büro.

-

Gedankenverloren starrte ich auf das Bild, welches über meinen Bett wie eine Tropähe oder ein Pokal trohnte. Toni Garrn. Mit anderen Worten. Perfekt. Ich stellte mir vor, wie ich einen rosafarbenen Victoria Sectret BH's trug, auf eine Fashion Week lief. In der ersten Reihe saßen Leute wie Viktoria Beckham, Katy Perry oder Amanda Seyfried und mitten unter ihnen er - Harry. Wie sein anerkennender Blick über meine nackten gebräunten und schlanken Beine glitt. Wie stolz er auf mich wäre, wie er sich nicht für mich schämen musste.

Das altbekannte Klingeln der Haustüre riss mich aus den Gedanken und holte mich zurück in die Wirklichkeit. Ehe ich noch länger über das deutsche Model nachdenken konnte, war schon die Treppen hinuntergerannt. Ich öffnete die Tür, starrte auf das PVC, dachte ich wüsste, wer vor mir stand. Dabei habe ich mich so ziemich getäuscht. Mit klopfendem Herzen murnelte ich, „Hi." Der Junge musterte mich, dann lag ein Lächeln auf seinen Lippen. „Hey, Rose." Mit einer einladenden Handbewegung folgte er mir wortlos in das Wohnzimmer und ließ sich auf der Couch nieder. „Was zu trinken?" fragte ich komplett verkorkst und fühlte mich, als wäre Jonas mein erstes Date, obwohl ich ihn schon seit Jahren kannte. „Rotwein, bitte." sagte er und biss sich auf die Unterlippe. War er etwa nervös? Beinahe musste ich schmunzeln, als ich den Rotwein in zwei Gläßer füllte. Er und nervös, das passte einfach nicht zusammen. Nein, so gar nicht.

Mit zitternden Händen ging ich zurück, wobei ich keine Ahnung hatte, warum sie zitterten. „Wie geht's?"

Als ob dieses „Wie geht's?" ein Anstoß gewesen wäre, erzählte ich ihm alles. Die ständigen Streiterein mit Harry, das Vorstellungsgespräch, selbst von der Kündigung.

„Hör nicht auf ihn. Klar, hast du drastisch abgenommen, aber ich finde es schön so." hauchte er ganz nah an seinem Ohr, sodass ich den Rotwein roch. Ich errötete.

Die blauen Augen dicht umrahmt von hellen lang geschwungenen Wimpern, von denen ich nur zu träumen wagte. Der melancholische Blick ließ mein Herz wie Eis schmelzen. „Du hast mir sehr gefehlt, Jonas." Ja, und wie er mir gefehlt hat. Ein Blick ging über sein Gesicht. „Du mir auch."

Ich räusperte mich. „Noch was zu trinken?", hörte ich mich fragen. Er nickte. Sofort stand auf und schon war ich in die Küche verschwunden. Als ich zurückkam, lag ein Schmunzeln auf seinen Lippen.

Plötzlich langen seine samtweichen Lippen auf meine. Erschrocken wich ich zurück und riss die Augen auf. Was war nur in mich gefahren? Erneut fuhr ich mir mit den Fingern durch die Haare. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Seine weiche Hand lag plötzlich auf meiner und ließ mich zusammenfahren. Abrupt zog ich sie weg. Nein. Nein. Nein. Das war alles zuviel. Das hätte nicht passieren dürfen.

Ich versuchte mir vorzustellen, wie Harry ausrasten würde, wenn er das hier sehen würde. Erst jetzt bemerkte ich, wie ich am ganzen Körper zitterte. Nach einer Ewigkeit fand ich als erste von uns beiden die Worte wieder. „Jonas, der Kuss, er war wunderschön, aber-" Er fiel mir harsch ins Wort: „Ich bin nicht Harry." Den Namen meines Freundes fauchte er besonders zynisch. So, als wäre er giftig. Er kippte seinen restlichen Rotwein auf Ex hinunter. Benommen starrte ich auf das leere Glas und schluckte. „Schon klar." fügte er mit bitterer Stimme hinzu und versetzte mir einen Stich im Herz.

"J-jonas, warte." Ein kehliges Flüstern. Hilflos packte ich seinen Arm, doch er entzog ihn sofort und war schon bei der Türe.

Er drehte sich zu mir um, sah durch mich hindurch, als ob ich nicht da wäre. Trotzdem flackerte ein klein wenig Hoffnung tief in mir auf.

„Weißt du was?", zischte er wütend, seine Ader am Hals pulsierte. Die Hoffnung war wie eine Seifenblase einfach so zerplatzt. Ich schluckte schwer. „Spar's dir einfach!"

Ich hoffe euch hat es gefallen. :)

Nina x

I hate it to be hungry #Wattys2015Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt