siebenundfünfzig

2.4K 130 52
                                    

„Wer ist das?" Das letzte Wort fauchte er besonders zynisch. So, als wäre es ätzendes Gift. Mit der Hand deutete er auf den blondhaarigen Jungen, neben dem ich auf dem Bild saß, mit ihm lachte, ihm fasziniert zuhörte, ihm, seinen Witzen lachte. Die aufgestaute Wut auf die Papparazzis und all die anderen Pressefuzzis wuchs und wuchs, je mehr tonlose Sekunden verstrichen. „Harry das ..-" Meine Stimme versagte. Ich rang nach Worten, suchte sie, wollte mir passende parrat legen, doch kein Laut kam mir über die Lippen. Mit meinen rot lackierten Fingernägeln zupfte ich an dem weichem Saum meines Oberteils herum, dachte fieberhaft nach. Los, lass dir was einfallen und das schleunigst, spornte ich mich an. Doch da kam nichts. Kein Geistesblitz, kein plötzlicher Gedankensprung, keiner Erinnerung, die mir aus der Patsche helfen konnte.

„Lass stecken." flüsterte Harry tonlos ohne auch nur eine einzige Emotion in der Stimme.

Das PVC unter meinen Füßen bebte, als er energisch die Tür zu schlug. Ich seufzte, trank ein paar kräftige Züge vom Wasser und hoffte inständig, das Hungergefühl würde nach und nach verschwinden. Nichts da. Das Trinken half nichts. Ich fluchte, öffnete den Kühlschrank, um ihn gleich danach wieder zuzuschlagen. Trotzig kreutze ich die Arme vor der Brust. Warum musste die Lebensmittelindustrie nur überall soviel Unmengen an Zucker, Süßungsmitteln und anderen Fettmachern reinhauen?

Da waren diese Stimmen in meinem Kopf. „Komm schon, du brauchst Nahrung." Dann die andere. „Wenn du wieder genauso fett wie früher werden willst - nur zu." Ein Mal seit langem, ein Mal hörte ich auf die erste Stimme.

Ich riss die Schranktür mit den trockenen Lebensmitteln auf und zog eine Knäckbrotpackung heraus. Meine Packung. Die, mit den wenigsten Kalorien. Die, welche am wenigsten Zucker und Fett beinhaltete. Ich nahm sie wie einen heiligen Grahl an mich und schloss die Augen. Ein Glückgefühl schoss durch meine Adern, als mir das abermals bewusst wurde.

Langsam, ganz langsam biss ich das erste Stück der Scheibe ab. Es war wie ein Feuerwerk, das da in meinem Mund explodierte und ich kaute genüsslich. Es war mit Weihnachten, Geburtstag und Ostern im Auge eines Kindes, zu vergleichen. War das gut, endlich mal wieder genießen zu können.

Doch das schlechte Gewissen, fraß sich schneller denn je in meine Psyche ein. Ich Vielfraß hatte die ganze Scheibe gefressen. Versager, flüsterten die Stimmen in meinem Kopf immer und immer wieder. Mein Herz bebte und ich schloss die Augen. „Aufhören!", schrie ich und hielt mir die Ohren zu. Doch da war keiner, der mir zuhörte, geschweige denn antwortete. Ich war alleine. Die Stimmen stammten schließlich von keiner menschlichen Person, sondern von meiner Psyche, meinem Verstand.

Was sollte ich nun tun?

So groß der Drang auch war, ins Fitnessstudio zu gehen, wiederstand ich ihm. Zu groß war die Angst, Dan würde erneut Harry alles brühwarm erzählen. Dann wäre ich aber sowas von geliefert. Ich stellte mir vor, wie Harry mir zum dutzenden Male Dinge an den Kopf werfen, mir erzählen, ich solle mit der „Scheiße", wie er es so gerne nannte, aufhören und so weiter. Bei dem Gedanken schauderte ich und kaute auf meiner Unterlippe herum.

Da kam mir eine Idee. Ich ging in mein Zimmer und schob mir die neue CD von Macklemore in die Stereoanlage. Zufrieden zückte ich mein Handy, schlüpfte dann in meine Jogginghose und breitete mir eine Sportmatte auf dem Boden aus. Die Haare band ich mir zu einem lockerem Pferdeschwanz zusammen. Meine Motivation? Die Kalorien, welche ahnungslos in meinem Körper waren. Die unzählen Kalorien. Die sich dann als Fett ansetzten. As Fett, von dem ich schon mehr als genug hatte.

Noch einmal trank ich etwas Wasser und fing an. Verkreuzte die Arme hinter meinem Kopf, legte mich wie ein Brett auf die Matte und stemmte meinen Oberkörper nach oben. Halten!

1

2

3

4

I hate it to be hungry #Wattys2015Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt