sechsunddreißig

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Ohne der Außenwelt und den schimpfenden Menschen um mich herum, Beachtung zu schenken, bahnte ich mir eilig den Weg durch die großen Menschenmassen. Ich schob mir die silberfarbene Pilotensonnenbrille auf die Nase und zog den grauen Beanie tiefer ins Gesicht. Mir fiel ein riesiger Stein vom Herzen, als ich endlich den Laden direkt vor mir entdeckte. Ich wusste nicht, wieviel es werden würde, also nahm ich mir einen Einkaufswagen. Es klang seltsam, doch es war neu. Alles hier. Das Einkaufszentrum, generell, dass ich einkaufen ging.  Wann war ich das letzte Mal einkaufen gegangen? Mir fiel es nicht mehr ein. Es war zu lange her. Ich schüttelte den Kopf und schob den Wagen durch die automatisch betriebenen Türen, die sich öffneten. Sofort umhüllte mich ein Geurch von frischen Bagels, Pancakes, Donuts, Muffins. Ich schluckte hörbar, als ich die kleinen Süßwarenstand in unmittelbarer Nähe entdeckte. Nein, ich würde warten und noch nicht zuschlagen.

Dem Gemüse- sowie Obstregalen schenkte ich keinerlei Beachtung. Ich ging einfach weiter, als ob es nicht existiere. Vorbei an einer Auswahl von Müsli, Getränken wie Smoothies, Schnaps, Bier, Wein und Fertigprodukten. Meine Beine wurden mit jedem Schritt den ich tat, schwerer. Das Stechen in der Hüfte und die Kälte, die meinen Körper wie eine Eisschicht umschloss, ignorierte ich. Ich blieb stehen, hielt meine Hand an die Hüfte, das Stechen hatte noch kein bisschen nachgelassen, verzog schmerzverzerrt das Gesicht. Als ob es hälfe, schnappte ich mir drei Tafeln von einer Sorte und schmiss sie in den Wagen. Ehe ich vom Schokoladenregal zur Gummibärchenabteilung wankte, fing etwas anderes meinen Blick. Etwas schwarzes eine Ka-... Ich wagte es nicht weiter darüber nachzudenken. Nein! Ich hatte ja schon Halluzinationen.

Ich schüttelte den Kopf und krallte mir sofort alle Packungen, die ich zwischen die Finger bekam. Es war wie in einem Traum. Einem Traum, aus dem ich vielleicht nie wieder aufwachen würde. Ich schauderte und warf meine Ausbeute in den Wagen, welcher schon bis zur Hälfte gefüllt war. Mein Magen rumorte. Ich musste schleunigst bezahlen, sonst würde ich hier noch Lebensmittel aufpacken und verschlingen. „Sorry" Ich räusperte mich, sodass die ältere Frau mit grau mellierten Haaren vor mir, zu mir nach oben blickte.

Sie war in der Hocke, trug Ein-Weg-Handschuhe und sortierte gerade soetwas wie Frischfleisch ein. Was daran frisch sein sollte, wusste ich nicht. Es war nichts als ein dunkelrosafarbener Batzen, der im übrigen auch noch fett machte. Unwillkürlich verzog ich das Gesicht. „Wo ist denn hier die Tiefkühlabteilung?" fragte ich die Verkäuferin mit den übertrieben stark geschminkten knallig pinken Lippen. Ich glaubte zu hören, wie sie leise aufstöhnte, war mir jedoch nicht sicher. Statt mir eine Antwort zu geben, richtete sie sich auf und fing sie ungeniert an mich zu mustern. Von oben bis unten. Es war mir unangenehm. Meine Fingernägel wickelten unruhig ein paar Haarsträhnen herum. Ich wollte meine Beine verdecken, meinen Bauch, Oberkörper, wabbeliges Kinn, ALLES! Unwillkürlich dachte ich zurück an Daisy. Ihre perfekten langen schlanken Beine. Meine Mom sagte früher immer, ich solle mich nicht vergleichen, das würde nur traurig machen. Doch das war mir im Moment egal. Ich würde alles dafür geben, um ihre Figur zu haben.

Am liebsten wäre ich davongerannt und nie mehr wiedergekommen. Doch das ging nicht, nicht jetzt. Dafür war mein Hunger viel zu stark. Lange würde ich es nicht mehr aushalten. „Den Gang entlang und dann links." Sie sah wieder zu mir auf und wandte sich dann erneut ihrere vorherigen Arbeit zu. Ich befolgte ihre Worte und fand dann doch endlich die Abteilung, die ich gesucht hatte. Das hier war das reinste Paradis. Das all diese Lebensmittel, die ich in den Einkaufswagen schmiss, vor Kalorien nur so platzen, verdrängte ich und dachte gar nicht daran, was für Zuckerbomben dort Minute zu Minute hineinwanderten. Ich bekam es gar nicht mit. Mein Gehirn funktiomierte nicht mehr. Ich konnte nichts denken, nur ein Wort immer wieder.

Essen, essen, essen, essen, essen, essen . . .

Nur zögerlich griff ich nach den letzten zwei Toastpackungen und schmiss sie in den Wagen. Eine ältere Frau, ich würde sie auf Mitte sechzig schätzen, sah mich mit zusammengepressten Lippen an. Die Augen zu schmalen Schlitzen verengt. Wie hieß es?

I hate it to be hungry #Wattys2015Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt