39.

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Eine Weile starrte er auf das Bild seines Bruders. Es war etwas in seinem Innersten, das ihm den Magen verdrehte, ihn anbettelte zu bemerken, dass etwas nicht stimmte. Nicht stimmen konnte. Sein Bruder, er war älter gewesen und Thronerbe. Verschollen. Auf dem Bild hatte er Locken, sah Louis und seiner Schwester überhaupt nicht ähnlich - Es traf den Prinzen wie ein Schlag mit einem Holzbrett. Heftig, schmerzhaft. Es drückte ihm die Luft aus den Lungen und ließ ihn für einen Moment schwarz sehen. Er hatte doch nicht etwa? Edward, so hatte Harry sich doch bereits im Anwesen ihrer Tante vorgestellt. Doch, er hatte wohl mit seinem Bruder verkehrt.

Also mit dem eigenen Bruder roch ihm das dann doch zu stark nach Inzest, obwohl Louis' Urgroßtante auch seine Schwiegercousine zweiten Grades war. Aber mit dem Bruder? Pfui. Er wollte sich dringend reinigen. Aber vor allem war er wütend, wütend auf sich, weil er so mit sich spielen ließ und vor Allem wütend auf Harry, weil er ihm nichts gesagt hatte.

Louis wusste zwar noch nicht genau, warum Harry nun Pirat war und den Hof verlassen hatte, aber er konnte sich gut vorstellen, dass er in einer pubertären Abenteurerphase das Weite gesucht hatte und ihr Vater ihn nicht ohne weiteres wieder aufnehmen wollte. Das würde dann auch den Hass erklären, den Harry für den König übrig hatte. Es würde auch erklären, weshalb Harry überhaupt schreiben kann. Oder woher er so viel über den Aufbau des Schlosses weiß, um seine aufständischen Gruppen dort mal ein paar Rohstoffe mitgehen zu lassen.

Zurück in das Jetzt: Was sollte er tun? Zurück auf das englische Schiff? Die Piraten verraten? Nein, letzteres nicht. Er hatte sich vielleicht in Harry getäuscht, stellte Louis ernüchtert fest, aber Zayn und Niall, seinetwegen auch Liam und vielleicht ach Henry hätten es nicht verdient, so hintergangen zu werden. Vielleicht hatten sie ein Tagwerk, das sie nach dem Gesetz zum Hängen bringen konnte - und wenn sie bei einer Mission versagten, dann solle es so sein - aber sie hatten nie entschieden, einen Freund zu täuschen. Und Louis würde jenes mit ihnen auch nicht tun.

Nur, wenn er einfach wieder zurück ging, dann würden sie vielleicht, nein, vermutlich nach ihm suchen und ihn notfalls eigenhändig aus den Händen der englischen Flotten zu reißen, weil sie überzeugt sein würden, Louis würde festgehalten. So stellte der Prinz es sich zumindest vor. Wenn er also schon zurückkehren würde, könnte er sich vorher wenigstens noch einmal bei seinen neuen Freunden und Harry blicken lassen.

Louis war fest davon überzeugt, dass sie ihn wieder gehen lassen würden und nicht festhalten, obwohl er nur wegen der Entführung bei ihnen gelandet war.

"Ich glaube, ich kann jetzt auch wieder gehen. Danke.", äußerte er sich leise, bevor er durch die Tür huschte und die große Bibliothek hinter sich ließ.

Die Schnelligkeit, mit der er sich bewegte, ließ dir zuvor unterdrückte Wut in ihm aufflammen. Zorn darüber, dass Harry es ihm verschwiegen hatte. Zorn darüber, dass er ihn trotzdem genommen hatte.
Er kam sich so dumm vor.
Harry könnte ihm außerdem den Thron streitig machen, zu jeder Zeit, denn er war der rechtmäßige Erbe.

Um seinen Atem wieder zu beruhigen, ging er wieder langsamer, als er das Schiff erkennen konnte. Es war zwar noch nicht Nacht, aber Dämmerung war bereits eingetreten. Und es konnte ihm im Grunde ja auch egal sein, ob der Plan reibungslos verlief.

Der Prinz wartete, das Buch seiner Ahnen in der linken Hand und eine Waffe in der Rechten.
Er hatte sich auf dieser Reise selbst vergessen und war nun bereit, Recht einzufordern. Er würde hoffentlich nichts bereuen müssen.

"Louis? Es ist noch so früh!", rief Zayn, wohl verwirrt, dass er jetzt schon bereit zum Aufbruch war. Aber für Zayn war es wohl auch noch eine gute Nachricht.

Er ließ die Waffe unter seinem Hemd verschwinden. "Ich muss mit Harry reden.", erklärte er laut genug, um gehört zu werden und machte sich mithilfe eines ihm zugeworfenen Taus daran, auf das Schiff zu kommen.

Er sah den Lockenkopf aus der Masse treten und ihn mustern. Verwirrt lagen seine grünen Augen, welche in Louis so viel Aufruhr verursachen konnten, auf dem Buch in seiner Hand. Erkenntnis schien dennoch nicht eingetreten zu sein.

"Alleine. Gebt uns fünf Minuten bevor ihr ablegt."
Louis ging auf Harrys Kammer zu und hörte die schweren Schritte, die ihm signalisierten, dass Harry folgte.

"Ihr ablegt?", fragte er unsicher hinter ihm. "Du bringst irgendwie eine seltsame Stimmung mit dir Louis, oder täusche ich mich?", die Tür hinter den Beiden fiel zu.

"Setz dich bitte.", forderte Louis ein.
Harry tat wie ihm gesagt und sah zunehmend irritierter zu Louis hoch, der ihm nun das Buch vor die Nase legte.

Er blätterte herum, bis er zu den letzten beschriebenen paar Seiten kam.

"Das ist mein Stammbaum, Harry. Wobei, viel mehr sollte ich sagen, unserer?"

Und damit erblasste Harry um die Nase herum. Erst begann er stotternd, etwas zum Gespräch beizutragen, verschluckte sich vor lauter Panik aber an den eigenen Worten.

"So ist das alles nicht!", drückte er mit zusammengebissenen Zähnen aus.
Sein Atem ging stoßweise und kurz war Louis sich sicher, er würde gleich kollabieren.

"Wie ist es dann, Edward?"

the pirate prince | larryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt