27. Die Tortur des Seidenspinners

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Nachdem sie die Tür zu Zanders Zimmer hinter sich geschlossen hatte, führte Iris mit dem verwirrten Seestern im Arm einen kleinen Freudentanz auf

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Nachdem sie die Tür zu Zanders Zimmer hinter sich geschlossen hatte, führte Iris mit dem verwirrten Seestern im Arm einen kleinen Freudentanz auf. »Ein drittes Knöppchen! Mit vierundzwanzig Jahren schon mein drittes Knöppchen«, teilte sie dem Hund mit und rieb ihre Nasenspitze an seiner feuchten Riechknolle. Dann drehte sie sich im Kreis, sodass ihr Rock durch die Luft wirbelte und stimmte ein Kinderlied aus ihrer Heimat Trandafir an:

Bau dir dein eigenes Reich,
aus Seide, so schön und weich.
Faden auf Faden, leg an.
Bild' dein Gespinst, nur voran.
Fleiß und Geduld, Tatendrang!

Dann halte still, Tag für Tag.
Und sei es auch noch so hart.
Mit etwas Glück irgendwann,
kommt der Sonnenaufgang
Und nimmt sich deiner an!

An dieser Stelle bemerkte Iris, dass Zander die Tür zu seinem Zimmer wieder geöffnet hatte und lächelnd im Türrahmen lehnte. Sofort spürte sie, wie ihr die Hitze ins Gesicht stieg. Schon früh hatte sie die ernüchternde Erfahrung machen müssen, dass sie alles andere als eine geborene Sängerin war. Auf dem Tanzparkett machte ihr so schnell niemand etwas vor, aber die richtigen Töne traf sie – zumindest beim Singen – eher selten. Das minderte jedoch nicht ihr Verlangen, in glücklichen Momenten ein Liedchen anzustimmen, oft zum Leidwesen ihrer Mitmenschen.

Zander wirkte jedoch nicht verärgert, eher belustigt. »Nur weiter, Fräulein«, meinte er auffordernd.

Iris bemühte sich, souverän zu wirken. »Jetzt kommt der Refrain«, erklärte sie ihm, drückte Seestern an ihre Brust und trällerte: »Siehst du das Licht, komm raus und sing! Hier bin ich, der Seiden-Schmetterling!«

Als ihre Stimme auf dem langen Flur verklungen war, verbeugte sie sich dramatisch und tat, als würde sie einem imaginären Publikum danken. Zander applaudierte höflich. »Die Tortur des Seidenspinners von Viorel Dan de Lion, meinem Urgroßvater, der nicht nur ein adeliger Seidenraupen-Farmer, sondern auch noch ein mehr oder weniger berühmter Dichter war«, erläuterte Iris. »Bekannt geworden ist er aber nur, weil er mal jemandem mit der Schreibfeder ein Auge ausgestochen hat.«

Zanders Lächeln wurde noch etwas breiter. Gleichzeitig kehrte ein wenig Farbe in seine Wangen zurück. »Du steckst wirklich voller Überraschungen.«

»Vielen Dank«, erwiderte Iris, wandte sich ab und spazierte den Flur hinunter. Sie konnte Zanders Blicke auf ihrem Rücken spüren. Nur zu gern hätte sie gewusst, was er dachte und warum jedes Gespräch mit ihm in ein Verhör ausartete. Dann besann sie sich wieder auf das Schreiben in ihrer Hand und Stolz keimte in ihrer Brust auf. Mit vierundzwanzig Jahren schon drei Knöppchen zu besitzen, war ein wahrer Traum. Sie konnte sich kaum vorstellen, was ihre Eltern oder ihre Lehrerinnen und Kolleginnen von der Schule für Sprachvermittlerinnen sagen würden, wenn sie davon erfuhren. Solange sich ihr Einsatz für die Forellis derart bezahlt machte, konnte Zander so viele Fragen stellen wie er wollte. 

Vergnügt sprang sie die Treppe zu den Gesindeunterkünften und Lagerräumen hinunter und eilte von dort in die Küche, um zu frühstücken. Der große, hohe Raum hätte aus einem der Küchenmagazine, die ihre Zofe Poppy immer las, stammen können. Sein Zentrum bildete unbestreitbar der gemauerte Feuerherd, der mit Eisen- und Keramikplatten verkleidet und mit jedem erdenklichen Luxus ausgestattet war. Anders als auf ihrem Familienanwesen in Trandafir gab es in der Küche der Forellis schon fließendes Wasser, sodass die Küchenmädchen keine schweren Eimer oder Kannen mehr schleppen mussten. Zum Kochen wurde hochwertiges Nickel- und Kupfergeschirr verwendet, zum Anrichten standen hübsch verzierte Porzellanteller und -Schüsseln bereit, meist in den Farben der Stadt oder mit dem Familienwappen versehen. Es duftete nach frischem Teig, Rosmarin und exotischen Gewürzen, die Iris nicht benennen konnte.

Die Forelli-Dynastie: Göttliches ErbeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt