30. Am Abgrund

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»Und was willst du jetzt machen?«, fragte Tuna, während sie Zander über eine schmale Treppe zu den Gesindeunterkünften folgte

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»Und was willst du jetzt machen?«, fragte Tuna, während sie Zander über eine schmale Treppe zu den Gesindeunterkünften folgte. »Ich meine, was, wenn du dich irrst?«

»Wie oft habe ich mich schon geirrt?« Zanders Miene verfinsterte sich. »Cyan verschweigt uns etwas und ich werde herausfinden, was.« 

Er wich einer Dienstmagd aus und wandte sich der Tür zu, die in den Garten und zur preisgekrönten Orangerie des Anwesens führte. Tuna heftete sich an seine Fersen. Sofort wurden sie von einer feuchten Böe erfasst. Für einige Herzschläge rangen sie mit dem tosenden Wind, dann flaute der Sturm ab und ließ sie ins Freie hinaustreten.

Der Garten des Forelli-Anwesens wurde im Osten vom Hauptgebäude und im Norden und Süden von seinen beiden Anbauten umschlossen. Im Westen bildeten die Steilklippen eine natürliche Grenze. Lautstark prasselte der Regen auf den Wintergarten und die ebenfalls verglasten Gewächshäuser. Der Wind, der vom Meer her über die Stadt fegte, fing sich in den Säulengängen entlang der beiden Anbauten, was ein schauriges Brausen und Heulen erzeugte. 

Das ganze Haus ist ein verdammtes Orchester, schimpfte Anchois manchmal und damit hatte sie durchaus recht. Nicht nur bei Sturm machte das Anwesen gern unheimliche Geräusche. Einige davon gingen auf das Transport- und Pumpsystem im Innern des Fellmonte zurück, andere waren Anzeichen für den langsamen Verfall der Bausubstanz und anderweitige Materialermüdungen, denen sie Jahr für Jahr zu Leibe rücken mussten, um schlimmere Folgen zu verhindern. So ein altes Schloss war ein prächtiger und durchaus romantischer Wohnort, wie es die Gäste der Forellis gern formulierten, doch hinter den Kulissen machte das Gebäude in erster Linie jede Menge Arbeit.

»Kannst du ihn sehen?«, fragte Zander und schirmte seine Augen mit einer Hand vor dem Regen ab, was einen scharfen Schmerz durch seine Schulter bis in seine Brust sandte.

»Von hier aus nicht«, antwortete Tuna, presste sich den Hut auf den Kopf und marschierte los. 

Zander beeilte sich, um mit ihr Schritt zu halten. Sie folgten dem nördlichen Säulengang, vorbei am Götterbrunnen und den Zitrusgewächsen entlang der verschnörkelten Kieswege, die bei schönem Wetter zum beschaulichen Flanieren einluden, auch wenn Zander zugeben musste, dass er kein besonders geduldiger Spaziergänger war. Es war nicht so, dass er sich nicht gern bewegt hätte. Eher im Gegenteil. Er liebte es, auf den Beinen zu sein und konnte sich ein Leben ohne morgendliches Schwimmen im Meer nicht vorstellen, aber langsames Schreiten auf ebenen Wegen in einer friedlichen Parkanlage kam für ihn nur infrage, wenn er sich in Begleitung einer interessanten Dame befand – und selbst dann hielt er es nicht besonders lange aus. Leicht belustigt überlegte er, ob er Tuna jemals in einer Parkanlage oder im Garten der Forellis flanieren gesehen hatte, und kam zu der Überzeugung, dass sie vermutlich gar nicht wusste, wozu diese verspielten Wege angelegt worden waren.

Als sie den Schutz der Mauern verließen, brauste der Wind noch heftiger über sie hinweg. Die Wolken, die sich am Himmel auftürmten, verhießen ein länger andauerndes Sturmtief. Färbt sich der Himmel im Westen grün, sei nicht kühn und lass die Sturmlampen glüh'n, hieß es in einem bekannten Fischerreim, auch wenn sich für sämtliche gedichteten Ratschläge immer auch eine gegenteilige Empfehlung finden ließ. Während sich jeder halbwegs vernünftige Mensch bei dieser Prognose in einen wärmenden Unterschlupf zurückgezogen hätte, tat Cyan das komplette Gegenteil. Er suchte den Sturm, den Regen und die Blitze, um daran seine aufkeimenden magischen Kräfte zu erproben. Aus diesem Grund fand man ihn oft am Überhang der Steilklippen, wo die Naturgewalten am heftigsten tobten.

Die Forelli-Dynastie: Göttliches ErbeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt