80. Sheitani

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Es gab nicht viel, was Iris mit mehr Furcht erfüllt hätte, als das, was sie nun zu tun gedachte

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Es gab nicht viel, was Iris mit mehr Furcht erfüllt hätte, als das, was sie nun zu tun gedachte. Gleichzeitig wusste sie, dass es keinen anderen Weg gab. Wenn Cyan in den Anschlag auf seinen Vater verwickelt war, dann musste sie es herausfinden. Bevor noch etwas Schlimmeres geschah. Das Leid in Zanders Augen, wenn er Cyan verteidigte, hatte den Ausschlag gegeben. Sie wollte ihm Erlösung schenken. Auf die eine oder andere Weise. Doch dazu musste sie etwas tun, das sie nicht tun wollte und von dem sie nicht einmal wusste, ob sie es tun konnte.

Langsam zog sie das Novomagica-Buch, das sie aus Cyans Labor gestohlen hatte, unter ihrem Kopfkissen hervor. Der dunkelgrüne Einband fühlte sich dick und fleischig an. Seestern, der es sich auf ihrem Bett gemütlich gemacht hatte, beobachtete sie aus kreisrunden Augen und winselte leise. »Keine Sorge«, meinte Iris, halb an den Hund und halb an sich selbst gewandt. Die beruhigenden Worte halfen jedoch wenig. Mit einem dumpfen Grummeln im Bauch setzte sie sich auf die Bettkante und legte das Buch in ihren Schoß. Die Nervosität bemächtigte sich ihres Körpers und ließ sie schließlich heftig zusammenzucken, als der Wind laut polternd an den Fensterläden rüttelte. Noch immer regnete und stürmte es mit unverminderter Intensität. Fast wirkte es, als wollte der Gott Jordardt das Forelli-Anwesen vom Fellmonte fegen. 

Es ist nicht das erste Mal, dass du dich so fühlst, sagte Iris zu sich selbst. Du wirst dafür sorgen, dass es vorübergeht. Ganz egal, was es dich kostet. Sie atmete konzentriert durch die Nase aus und schlug das Buch auf. 

Wie zuvor waren die Seiten mit Symbolen und kurzen Gedichten gefüllt. Im Schein der Öllampe, die auf ihrem Nachttisch stand, schien die Tinte feucht zu glänzen, doch wenn sie mit den Fingern über die gedruckten Worte strich, blieb keine Farbe daran zurück, nur ein leichter Schwefelgeruch. »MANTUS, BILWIS, HABORYM, ASAG, KELET, DOGAl«, las Iris die Wörter, die auf verschnörkelte Weise in die magischen Symbole eingeflochten waren. Bereits nach kurzer Suche stieß sie auf den erwarteten Namen: SHEITANI. Die Buchstaben und das dazugehörige Symbol besaßen eine eigenartige Eleganz wie eine gut ausbalancierte Waage oder ein symmetrisch konstruierter Torbogen.

»Sheitani«, murmelte Iris. Wenn es jemanden gab, der ihr sagen konnte, was mit Cyan in Myr Paluda geschehen oder was ihm vor zwei Wochen prophezeit worden war, dann nur Sheitani. Er hörte vielleicht nicht mehr auf Cyans Rufe und Beschwörungsversuche, doch Iris war – wie der Myrkur selbst erkannt hatte – eine Tochter der Göttin Eydna. In ihren Adern pulsierte altes Blut. Möglicherweise konnte sie Sheitani dazu bringen, sich zu zeigen. Und vielleicht konnte sie ihn auch davon überzeugen, ihr die Wahrheit über Cyan anzuvertrauen.

Eine Sturmböe fegte um das Anwesen. Die Fensterläden sprangen auf und krachten gegen das Mauerwerk. Regentropfen prasselten an die nun ungeschützte Fensterscheibe. Iris fröstelte und spürte, wie ihr Mut ins Wanken geriet. Sie fürchtete sich vor Sheitani. Aber das durfte sie nicht aufhalten, wenn sie Cyan und Zander helfen wollte. Mit zittrigen Knien richtete sie sich auf und trat an ihren Waschtisch. Auf der Ablage darunter fand sie eine Dose mit einem Gemisch aus Wachs, Honig und roten Farbpigmenten, die sie aus Myr Paluda mitgebracht hatte. Sie nutzte die Paste zu besonderen Anlässen, um ihre Lippen einzufärben. Es raschelte, als Seestern recht unelegant vom Bett hüpfte und sich dabei fast überschlug.

Die Forelli-Dynastie: Göttliches ErbeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt