82. Vom Wert eines Namens

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Iris träumte, ohne zu schlafen

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Iris träumte, ohne zu schlafen. Wach lag sie im Dunkeln und starrte an die Wand neben dem Fenster, während hinter ihrer Stirn die Bilder vorbeizogen, die Sheitani ihr gezeigt hatte.

Cyan, der mit Kreide Sheitanis Siegel auf den Boden seiner Geheimkammer zeichnete und dabei bittere Tränen vergoss. Die erste Beschwörung, die so furchtbar aus dem Ruder gelaufen war. Cyans Bemühungen, Sheitani in der Dachkammer über seinem Labor mit Fleisch und anderen Küchenabfällen zu versorgen. Sheitanis Versteck in einer der Höhlen am Hang des Fellmonte, zwischen moosbewachsenen Felsen und brütenden Kapitänstauchern. Der schreckliche Streit zwischen Cyan und seinem Vater. Cyans Reise ins schneebedeckte Myr Paluda, seine Zurückweisung an den Pforten der Magier-Gilde und seine Unterhaltung mit Kanto Dan de Nowy. Seine Rückkehr nach Myr Ryba und sein Treffen mit den Aciarischen Attentätern. Zwei finstere Gestalten in Rybaler Tracht, denen man ihre Herkunft dennoch deutlich ansah. Iris' Begegnung mit Cyan in der Nacht, in der sie Butt getötet hatte. Wie der junge Herr Forelli ihren Hut in den Händen hielt und ihn nachdenklich hin und her drehte.

Diesem Bild folgte eine verblassende, schwer zu begreifende Düsternis, die von zerfallenden Formen und Gebilden durchzogen war. Wie ein Aquarell-Gemälde, das sich langsam auflöste. Einmagische Mauer, hatte Sheitani ihr erklärt. Ein mächtiger Wall, der den fatalen Zauber umgab und ihn vor neugierigen Blicken abschirmte. Nur ein begabter Magier, der Zugang zur Magie mächtiger Myrkuren hatte - wie beispielsweise Gwydion Dan de Potas – vermochte es, diesen Wall zu durchdringen.

Noch ehe sich die Dunkelheit wieder ganz verflüchtigt hatte, konnte Iris den Streit hören, den sie am Morgen nach dem Anschlag auf Rogner Forelli in Cyans Schlafzimmer belauscht hatte. Eine heftige Auseinandersetzung zwischen Mensch und Myrkur, die einige Tage später darin gegipfelt war, dass Sheitani seinem Befreier eine Vision von Vergangenheit und Zukunft geschickt hatte, in der vagen Hoffnung, ihn auf diese Weise zur Vernunft bringen zu können. Iris erinnerte sich an diese Nacht. Wie sie und Seestern im Garten des Forelli-Anwesens auf Sheitani getroffen waren und in nackter Panik die Flucht ergriffen hatten.

Doch je näher ihre Vision der Gegenwart und der Zukunft kam, desto verwaschener wurden die Bilder, desto unklarer die Geräusche. Manchmal wirkte es, als würden sich einzelne Eindrücke überlagern, wie transparente Stoffe unterschiedlicher Farbe und Webart. Gleichzeitig wurde der Strom der Bilder immer schneller. Iris fühlte sich wie ein losgelöstes Rad auf abschüssiger Piste. Sie raste dem Ende der Vision entgegen. 

Auf einmal waren um sie herum wieder grelle Lichter. Fröhliche Musik spielte. Sie hörte das Klirren von Gläsern und vornehmes Gelächter, roch süßliches Parfüm und appetitliche Speisedüfte. Menschen in edlen Kleidern und Anzügen rauschten an ihr vorbei, während sie sich aus dem Königssaal hinaus ins Freie bewegte. Kaum hatte sie den Wintergarten durchquert, kippte die Stimmung. Die Musik verstummte. Das Gelächter verwandelte sich in Geschrei, die angenehmen Gerüche in den Gestank von Feuer und Schwefel. 

Plötzlich kam sie sich nicht mehr willenlos gelenkt vor. Etwas war hinter ihr her und sie rannte, um ihm zu entkommen. Etwas Großes, Finsteres, mit brennenden Schwingen und Klauen, die wie Aciarische Krummschwerter gebogen waren. Iris hetzte durch die Gartenanlage. Ihre Stiefel knirschten auf den Kieswegen. Das Geschrei schien aus allen Richtungen zugleich zukommen und dabei an- und abzuschwellen wie das Rauschen des Ozeans. Sie wagte nicht, sich umzublicken, aus Angst vor dem, was sie dann sehen würde. Ihr Mantel verhedderte sich in einem Rosenbusch. Der Stoff riss. Aber Iris bemerkte es kaum. Was sie spürte, war die Hitze im Nacken, die immer heißer zu werden schien. Und dann waren die Klippen da. Die Klippen des Fellmonte, die viele Meter steil in die Tiefe führten und an einem tödlichen Felsenriff endeten. Iris verlor den Boden unter den Füßen. Sie stolperte und fiel. Und fiel. Und fiel. Bis die Felsen und das Meer ihr ganzes Sichtfeld ausfüllten.

Die Forelli-Dynastie: Göttliches ErbeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt